Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


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fallen, so oder so!«

      »Davon ist aber in Euren Bundesartikeln keine Rede,« entgegnete Fabian. »Ihr wollet die Obrigkeit ehren und ihr gehorchen.«

      »Allerdings,« versetzte Addrich, »wenn sie den Hutwyler Landesbund anerkennt. Du Narr, sie wird sich aber lieber beschneiden lassen und türkisch werden, als unsern Glauben annehmen. Folglich . . . das Übrige zähle Dir an den Fingern ab! Wir eilen morgen Beide ins Oberland. Das Volk ist in diesem Augenblick zu allem aufgelegt. Man muß das Eisen schmieden, so lange es warm ist. Die Städte sind unter sich uneinig. Ehe sie einander verstehen, haben wir sie im Sack. Wenn sich die Hirten zanken, hat der Wolf leichten Einkauf bei der Herde.«

      Wirklich reiste Addrich, von Fabian begleitet, des folgenden Morgens ins Oberland. Er war unermüdlich. Wo Beratung gehalten, wo die Treue einer Gegend verdächtig wurde, wo man von einem Auflauf hörte . . . überall sah man ihn. Mit unglaublicher Gewandtheit schmiegte er sich den entgegengesetzten Denkungsarten und den einander widersprechenden Entwürfen an, um sie in sich selbst zu zerstören, wenn sie ihm mißfielen, oder um sie seinem Hauptplan dienstbar zu machen. Er wollte die Einmütigkeit aller, zur Freiheit aller; daher die gänzliche Vernichtung aller städtischen Vorrechte; Vereitelung jedes Antrages der Regierungen zu freundlicher Ausgleichung, Er fürchtete die rasch zu täuschende Leichtgläubigkeit der Bauern, ihre durch lange Gewohnheit erblich gewordene Ehrfurcht vor den Städten: und daneben auch die tiefeingewurzelte Neigung des Schweizervolkes, sobald es unabhängig handeln konnte, sich nicht nur von Kanton zu Kanton, sondern von Landschaft zu Landschaft, von Thal zu Thal, von Dorf zu Dorf gegen einander, als besondere unabhängige Republiken, mit eigenen Verfassungen, Gesetzen und Vorstehern zu vereinzeln, ja selbst jedem Dorfe nur das Ansehen eines kleinen Bundesstaates von Haushaltungen zu geben.

      Wie bewundernswürdig aber auch die Geschäftigkeit des Alten aus dem Dürrenäscher Moose war, so hörte man doch nie, daß er einer der Hauptmänner des Aufstandes sei. Nirgends erschien er selbst an der Spitze. Er glich vielmehr bloß einem der vielen ganz untergeordneten Umherläufer, Schreier und Zwischenträger. Was er im Grunde für das gewagte Unternehmen leistete, wurde erst dem deutlich, der, wie z. B. Fabian, wissen konnte, wie er an hundert verschiedenen Orten, überall gleichförmig und seinem Zweck entsprechend, wirkte. Auf jedem einzelnen Punkt erschien sein Thun ganz unerheblich.

      Der Tag bei Hutwyl war entscheidend gewesen. Diejenigen, welche an demselben ihre Teilnahme am Bunde beschworen hatten, trugen die Flammen ihrer Begeisterung den entferntsten Thälern zu und verbreiteten die Neigung zum Aufstande. Wehe dem, der ohne Teilnahme bleiben wollte! Er wurde als Vaterlandsverräter von der Partei der Harten bis aufs Leben verfolgt. Der zerrissene Zaum des Gehorsams und der herkömmlichen Sitte ließ jeder Leidenschaft freies Feld. Manche Hütte ging in Rauch auf; mancher Unglückliche fiel verstümmelt durch die Wut des Pöbels. Wie immer bei solcher Entfesselung von allem Gesetz, trieb auch hier bald nur der rohe Eigennutz, der kalte Ehrgeiz, der tückische Parteihaß sein trauriges Spiel durch eine Schreckensherrschaft. Die Hefen schwammen oben: verlumptes Bettelvolk verlangte die Plünderung der Reichen, bestraftes Gesindel suchte Rache an seinen ehemaligen Vorgesetzten zu nehmen.

      Die Bauern besetzten alle Pässe mit starken Wachen; hielten die gewöhnlichen Briefposten an, erbrachen die Briefe, besonders die der Obrigkeiten, verschonten selbst die der französischen Gesandtschaft nicht; sie schleppten Reisende in Verhaft und entließen sie selten ganz ungerupft.

      Es war in den ersten Wochen des Mai. Aller Orten wurden jegliche Art Waffen gesammelt, neue geschmiedet, obrigkeitliche Gebäude, die nicht ganz fest waren, erbrochen und ausgeleert. Man scharte sich tausendweise zusammen und lebte auf Unkosten der Gegenden, die man durchzog.

      Die Landleute von Basel versammelten sich mit Ober- und Untergewehr bei Liestal und bedrohten ihre Hauptstadt. Christen Schybi mit den Entlebuchern und dem Volke der übrigen Ämter rückte gegen die Stadt Luzern, schnitt ihr von der Landseite her die Zufuhr ab und drohte mit ihrer Einäscherung Die Landesfahnen von Schwyz, Uri, Unterwalden und Zug rückten noch zeitig genug zum Schutze der Stadt heran; doch die Schwyzer, Zuger und Unterwaldner hatten es kein Hehl: sie wollten die Stadt wohl schirmen, jedoch nicht zur Unterdrückung des Landmanns kämpfen. Oberst Zweyer trieb zwar durch einen mutigen Ausfall, den er mit zweihundert Urnern machte, die Empörten zurück und entriß ihnen den Paß an der Emme. Er verlor dabei einige Gefangene und Tote; wie auch den Aufständischen acht Mann erschossen wurden. Die Zwietracht jedoch innerhalb der Mauern der Stadt Luzern selbst lähmte eine Zeit lang ihre Unternehmungen. Die Bürgerschaft haderte mit dem Patriziat um die ihr durch List und Stärke nach und nach entwundenen Vorrechte bei der Wahl der Obrigkeit, bei Besetzung des großen Rates, der Ämter und Vogteien. Sie benutzte jetzt den günstigen Augenblick, das Verlorne zurückzuerzwingen. Kraftloser noch als Luzern, zitterte die Stadt Solothurn bei ihren verschlossenen Thoren. Ihr gesamtes Volk stand in Waffen, und war, weil es von der Stadt selbst nichts zu fürchten hatte, in ungebundenen Schwärmen teils den Stadtmauern nahe geblieben, teils in starken Banden zu den Bundesgenossen anderer Gegenden gezogen.

      Gleiche Gährungen und Verwirrungen herrschten im Aargau. Hier hatten sich die Empörten der Fähre von Windisch, über die Reuß, bemächtigt; vierhundert Mann der Ihrigen standen als Vorposten gegen Brugg, in Königsfelden. Die Bauern aus den Freiämtern hielten die Stadt Mellingen besetzt, während die Reußbrücken von Sins, Gisikon und Bremgarten durch die Zuger bewacht wurden. Die übrigen Städte des Aargau's behaupteten indessen in diesem allgemeinen Sturm noch ihre Selbständigkeit. Aarburg und Lenzburg, am Fuße ihrer hohen Felsenschlösser, waren durch diese gegen die umherstreifenden Banden gesichert; Baden schlug es Freunden und Feinden ab, eine Besatzung einzunehmen; Brugg, innerhalb dessen Ringmauer Berns flüchtige Amtleute Schutz fanden, rüstete zu starkem Widerstande; dasselbe that Zofingen, von dessen Bürgerschaft Niklaus Leuenberg vergebens schweres Geschütz begehrt hatte. Am heftigsten wurde Aarau bedrängt und von unzähligem Volk viele Tage berannt, um den Durchmarsch zu erzwingen; der Mühlenbach, welcher den städtischen Gemeinden mannichfach diente, wurde abgeleitet und alles, was draußen lag, verödet. Als aber, nach vielen gütlichen Versuchen der Aarauer, selbst die Beredsamkeit des greisen Dekans Nüsperli, der an der Spitze einiger Ratsmitglieder in das Lager der Landstürmer hinausgesandt worden und die Gefahr, mißhandelt zu werden und selbst das Leben zu verlieren, bestanden hatte, vergeblich geblieben war, schwor die bewaffnete Bürgerschaft der Stadt, ihre morschen Ringmauern mit ihren Leibern zu decken und bis auf den letzten Mann Gegenwehr zu leisten. Zum Glück wurde das Blutvergießen durch die nach einigen Tagen eintreffende Botschaft verhindert, daß Bern (am 17. Mai) auf dem Murifelde mit dem Obmann des Bundes endlich einen Vergleich getroffen und Frieden geschlossen habe.

      Der Rat zu Bern hatte auch nach dem Landtage zu Hutwyl die Unterhaltungen mit Leuenberg fortgesetzt, der zuletzt an der Spitze von 6000 Oberländern und einigem schweren Geschütz gegen die Hauptstadt vorgerückt war. Er lagerte nur noch einige Stunden von ihr entfernt, bei Ostermundingen, während das wenige Kriegsvolk der Stadt bei der Schloßhalde in guten Verschanzungen stand. Bern wollte Zeit gewinnen, die ihm zugesagten Hilfsvölker aus Welschland, Freiburg und dem Fürstentum Neuenburg an sich zu ziehen. Um diesen Preis sah es der Verwüstung der, der Stadt gehörigen Güter, der Plünderung der ringsumher gelegenen Landhäuser gelassen zu. Endlich bemerkte der Obmann des Bundes, daß er von den Bernern mit Absicht hingehalten und überlistet worden sei. Boten brachten die Nachricht, es rücke ein beträchtlicher Heerhaufen von Muten gegen den Paß von Gumminen und den Saanefluß hin der Stadt zu Hilfe und neuenburgische Schlachthaufen zögen gegen Aarberg. Nun beschleunigte Leuenberg, mit der Drohung plötzlichen Angriffs, den Ausgang der Unterhandlungen. Er wollte sich mit allem begnügen, wenn nur die Hauptsätze des zu Hutwyl geschwornen Bundes unangefochten blieben, und die Stadt an sein Volk 50 000 Pfund Goldes, als Entschädigung für die Kriegskosten, zahlen würde.

      Bern, nicht ohne Furcht, gegen die Übermacht und Verzweiflung empörter Unterthanen einen ungleichen Kampf bestehen zu müssen, und, weil alle Boten durch Wachsamkeit der Bauern aufgefangen wurden, ohne Kunde von den Hilfsvölkern, die es erwartete, entschloß sich, einen Vertrag zu unterzeichnen, der bei günstiger Wendung der Umstände vielleicht doch ohne Erfüllung bleiben konnte. Es war allein darauf bedacht, in dieser Lage zu retten, was für den Augenblick zu retten war . . . seine hoheitliche Ehre. Es bewilligte also die geforderten 50 000 Pfund, nicht aber für Kriegskosten, oder als Ersatz für