Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


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und betrogene Schweizerland!«

      Der Geheimschreiber des französischen Botschafters horchte kopfnickend und Beifall lächelnd der Rede des heisern Alten und sagte: »Wahrlich, meine Herren, dieser alte, gute Mann hat nicht übel gesprochen und meint es redlich. Nur in einem Teile dessen, was er vorausschickte, ging er irre. Die wahre Politik der Herren Schweizer . . .«

      »Mit Erlaubnis,« unterbrach ihn Addrich höflich, »die Politik der Schweizer besteht allein im schlichten Mute, Recht zu thun und dann niemanden zu scheuen. Wir haben zu grobe Fäuste für die feinen Spinnengewebe der politischen Arglist. Hier ist unser Vaterland, da wollen wir uns frei betten, so gut wirs vermögen, und niemand hat dazwischen zu reden, er trage eine Kappe oder eine Krone. Wer anders thut und fremde Macht zur Hilfe ruft, begehet Hochverrat.«

      »Richtig! Bei Gott! Was sage ich anderes?« antwortete der Geheimschreiber. »Nur beliebt eines Umstandes nicht zu vergessen. Frankreich ist der erste Bundesgenosse der hochlöblichen Eidgenossenschaft, und diese hat, im Falle der Not, das Recht, den Beistand des Königs, meines Herrn, anzurufen. Gesetzt, der Beistand würde gefordert; der König ließe seine Truppen in die Schweiz einrücken; Ihr aber hättet versäumt, Euch mit dem Marquis de Marolles in Einverständnis zu setzen, um von dieser Seite Eure Rechte zu sichern; gesetzt . . .«

      »Alles gesetzt,« rief Addrich, »so ist Hochverrat gesetzt, und dessen sind die Städte noch heute so fähig, wie vor zweihundert Jahren, als Zürich die Österreicher und Franzosen ins Land rief.«

      Der Franzose lächelte und nickte ihm wieder Beifall zu, zog dann aber bedenklich die Augenbrauen weit in die Höhe, und sagte: »Man muß jede Möglichkeit in Rechnung bringen. Wie nun aber, wenn . . . zum Exempel . . . wenn Frankreich sechzigtausend Mann an Eure Grenzen schickt . . . was wird dann das Ende sein?«

      Addrich sagte mit seinem hämischen Grinsen: »Frage der Herr doch in St. Jakob nach! Oder vielleicht wird er selbst am besten wissen, wo seine Landsleute dort begraben liegen!«

      Der Abgeordnete des Herrn de la Barde machte mit komischem Anstande eine Verbeugung nach allen Seiten, erhob sich dann plötzlich, warf sich stolz in die Brust und sagte mit warnender Hoheit: »Ihr Herren, ich gebe Euch Bedenkzeit bis morgen. Bleibt Ihr bei Eurer Ansicht, so wird das Schreiben des königlichen Gesandten vor dem ganzen Volke verlesen. Ich aber wasche meine Hände in Unschuld!«

      Dann schritt er durch die Versammlung und verließ, nach kurzem, gemessenem Umhergrüßen, den Saal. Adam Zeltner und einige andere sprangen ihm nach, um ihm mit Höflichkeit das Geleit bis zum Wirtshause zu geben.

      Der ganze Morgen verstrich unter lärmenden und fruchtlosen Beratungen über die Anträge der französischen Gesandtschaft. Nachmittags wurden Gesandte der Stadt und Republik Bern angemeldet und vor dem Ausschuß des Landvolks angehört, doch erlangten sie ebenso wenig einen Erfolg von ihrer Beredtsamkeit als der Bote des Marquis de Marolles. Diejenigen der wortführenden Landleute, welche, aus Klugheit oder Furcht vielleicht, am aufrichtigsten und von Herzen eine Versöhnung mit den Regierungen wollten, schwiegen, um nicht vor dem Volke als feige Männer oder selbstsüchtige Verräter der großen Sache zu erscheinen. Das eine, wie das andere hätte ihnen lebensgefährlich werden können. Die Übrigen sprachen desto lauter gegen alle Vorschläge der Aussöhnung. Die abgeordneten Patrizier des Bernischen Senats hingegen konnten sich um so weniger überwinden, auch nur im Äußerlichen das mindeste von der Rolle geborner gnädiger Herren und Obern fahren zu lassen, als man ihnen gerade das Recht dazu streitig machen wollte. Ihr vornehmes Sichherablassen beleidigte nun aber das stolze Selbstgefühl der Landleute weit empfindlicher als die sonst übliche väterliche Sprache der Herren, und die Drohworte eines Senats, der innerhalb seiner Stadtmauern nur zur eigenen Verteidigung rüstete, mußte wenig Eindruck auf Leute machen, die sich vom Arme und dem Mute vieler Tausende ihres Gleichen geschützt sahen. So geschah es sehr natürlich, daß die Unterhandlung, welche den Bruch zwischen Obrigkeit und Unterthanen ausgleichen sollte, ihn nur erweiterte.

      Niklaus Leuenberg führte das Wort mit größerer Gewandtheit und Würde als die bernischen Abgeordneten von einem Manne seines Standes erwartet hatten. Mit höflichem Achselzucken und im Tone des Bedauerns erklärte ihnen Leuenberg zuletzt, einen Antrag, wie diesen, müßten die Herren des Rats und der wohlehrwürdigen Geistlichkeit den versammelten Ausschüssen des ganzen Volkes selbst machen. Der Aufstand sei nicht Sache und Werk einiger Personen, sondern eines großen Teils der Nation. Weder er, als Obmann, noch einer der im Saale Anwesenden, hätten das Recht, im Namen der Tauende Begnadigung zu verlangen oder anzunehmen, noch die Macht, das Volk zu einer Sinnesänderung zu zwingen. Man müsse das öffentlich, im freien Felde verhandeln.

      Bei dieser Erwiderung konnte sich einer der bernischen Ratsherren des aufwallenden Zornes nicht erwehren, drückte das Barett tiefer über die Stirn und sagte: »Nun denn, in Gottes Namen! So muß die Sache im freien Felde abgethan werden . . . aber nicht, wie Ihr meint, mit dem Worte, sondern mit dem Schwerte. Warum habt Ihr uns frecherweise hierher gelockt, wenn Ihr keine Vollmacht hattet, namens Eurer rebellischen Spießgesellen mit uns zu verhandeln? Warum stellet Ihr Euch vor unser Angesicht, wenn Ihr ohne Auftrag seid? Was haben wir mit einem aus allen Winkeln zusammengelaufenen Volke zu schaffen, darunter auch die Angehörigen Solothurns, Basels und Luzerns sind, denen wir nichts anzubieten und die nichts von uns zu begehren haben? Stadt und Republik Bern will und kann großmütig nur ihren eigenen meuterischen Untertanen, nicht jenen fremden, Gnade für Recht widerfahren lassen. Ja, Gnade für Recht! Euer Aufruhr besudelt den Schweizernamen mit ewiger Schmach. Und wenden wir Euch den Rücken, so wendet ihn die Barmherzigkeit selbst auf immer!«

      Die Landleute und selbst Leuenberg waren nach dieser donnernden Anrede still und etwas verlegen. Nur Addrich lächelte bitter und sagte: »Wohlgethan! Wendet den Rücken! Wir verlangen diese Barmherzigkeit nicht, die uns zur Verzweiflung getrieben hat. Wir begehren – versteht es wohl und berichtet es Euren Herren! – wir begehren keine Gnade. Ihr aber wollet lieber gnädige Herren sein, als gerechte Herren, weil Ihr bei der Gerechtigkeit den Kürzern zöget, aber bei der Gnade willkürlich verfahren könnet. Gott sei dem Volke gnädig, das ein paar hundert gnädige Herren füttern muß!«

      »Schamloser Gesell, wer bist denn Du?« schnob ihn der Ratsherr mit zornrotem Gesicht an.

      Addrich erwiderte ganz kalt: »Ein Schweizer, wenn auch nicht von der Berner Falschmünzerei, dennoch vom alten Schrot und Korn.«

      »Packe Dich, eisgrauer Lügner!« schrie der Ratsherr. »Du Strolch hast nie ein Vaterland gehabt!«

      »Wer trägt die Schuld,« entgegnete Addrich, »wenn außer in den Urkantonen und Hauptstädten die übrigen Schweizer alle ohne Vaterland sind? Ihr gnädigen Herren, Ihr habt sie heimtückisch darum betrogen, und ihnen in Eurer Gnade nichts als Obdach, Äcker und Gerät gelassen, um für Euch frohnen zu können. Soviel mußtet Ihr natürlich auch dem Viehe im Stalle lassen, von dem Ihr Milch verlanget. Die Schweizer fordern ihr Vaterland wieder, das Ihr in Euren Stadtbann zusammengeschnürt habt. Ihr ließet uns nur ein Geburtsland, das auch der Sklave hat, der unter der Geißel des Aufsehers ohne Recht, ohne Willen seinem gnädigen Herrn mit Zittern das Feld baut. Wir verlangen Vaterland und Recht, nicht Eure Barmherzigkeit und Eure Gnade!«

      »Wills Gott,« rief der Ratsherr, »sehe ich Dich noch auf den Knieen nach dieser Gnade wimmern!«

      Addrich drehte ihm stolz den Rücken und sagte über die Achseln zurückblickend mit lauter Stimme: »Es wünscht wohl mancher Herrgott zu werden, ehe er in's Irrenhaus kommt.«

      Nicht minder durch diese blutige Beleidigung als durch das halbverbissene Lachen der anwesenden Bauern empört, brach die Gesandtschaft schleunig auf und entfernte sich, ohne ein Wort zu erwidern, und ohne Gruß. Leuenberg sprang den Davoneilenden bis zur Thür nach, um sie zu besänftigen. »Lasset Euch,« sagte er, »durch das lose Maul dieses Alten nicht vom heilsamen Friedenswerk abwendig machen. Er ist ein Igel und sticht, wo man ihn anrührt.«

      »Wir haben mit Euch nicht länger zu verkehren,« wurde ihm zur Antwort. »Setzen wir den Fuß in den Steigbügel, kommt Eure Unterwerfungen spät.«

      Kaum hatten die Berner Gesandten Hutwyl verlassen, so wurde dem Ausschusse des Landvolks im Rathause die Ankunft eines Boten der eidgenössischen Tagsatzung verkündet,