Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


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die kleine Thörin. Sie wird sich sträuben . . .« fuhr Addrich ruhig fort.

      »Nein, glaube es nicht,« rief Fabian. »Sie hat gelobt, keines andern Weib zu werden, wenn nicht das meinige.«

      »Desto besser!« sagte der Alte. »Diese Tage freilich haben das Ansehen, mehr Witwen als Bräute zu machen, doch Leonoren muß die letzte Freude werden. Also bleibts dabei! Aber Fabian, unter uns beiden muß zuvörderst noch etwas abgethan sein. Reiche mir die Hand, und versprich zu erfüllen, was ich von Dir verlange.«

      »Rede erst, Addrich! Ich gebe meine Hand nicht, ohne zu sehen, wohin?«

      »Wie, Bursche, Du möchtest gewinnen, aber nichts auf die Karte setzen? Wie hoch gilt Dir meine Nichte?«

      »Mehr als das Leben, Addrich!«

      »So hoch ist der Preis nicht, den ich für sie fordere. Hand her! Schlag ein!«

      »Nein, thue den Sack vorher auf und laß mich hineinschauen, ehe ich die Ware kaufe!«

      »Nun denn! Du versprichst mir, Epiphania nicht zu zwingen oder zu beschwatzen, mein Haus zu verlassen, so lange Leonore am Leben ist.«

      »Hier, Addrich, die Hand! Ein Mann ein Mann, ein Wort ein Wort!« Fabian legte die seinige in Addrichs Hand.

      »Gut!« sagte Addrich. »Ich halte sie fest für ein zweites Wort!«

      »Sie hilft Dir nicht, ehe ich das zweite Wort gegeben; laß hören!« Fabian zog die Hand zurück.

      »Du mußt mir in den gegenwärtigen Zeiten treu zur Seite bleiben, Fabian; ich bedarf Deiner vielleicht. Du hast Wissenschaft und kannst die Feder besser führen als mancher Pfarrer und Landschreiber; auch bist Du Arzt und Wundarzt. Es wird nächstens manchem der Magen verdorben werden, wenn sich Herren und Bauern gegenseitig mit blauen Bohnen beschenken. Du weichst nicht von mir, bis die Sache des Volkes entschieden ist.«

      »Nein, Addrich, ich helfe der Obrigkeit nicht, das Volk zu unterdrücken, aber ich helfe Deinen wilden Bauern ebenso wenig, gegen die Obrigkeit anbellen.«

      »Bursche, vergiß nicht, Du bist ehrlicher Bauern Kind, und hier heißts: Wer nicht für uns ist, der ist wider uns. Bursche, vergiß nicht, es steht eine Braut und stattliche Aussteuer auf dem Spiele. Der Tanz mit den Städten wird bald abgethan sein, und vor Pfingsten noch, hoffe ich, machen wir ihnen den Kehraus. Jakob diente vierzehn Jahre um Rahel; ich verlange von Dir keine vierzehn Wochen.«

      »Nicht der Lohn macht den Unterschied, sondern die Arbeit.«

      »Was begehre ich, Bursche? Es gilt die gerechteste Sache. Man soll den armen Leuten in diesen Bergen nur gnädigst erlauben, Menschen sein zu dürfen; mehr nicht.«

      »Die Menschwerdung macht bei Euch einen unmenschlichen Anfang. Nein, Addrich, nein, dazu biete ich nicht die Fingerspitze.«

      »Und wenn es Faneli von Dir fordert?«

      »Nein, Addrich!«

      »Bursche, und Du wolltest vorhin das Leben für das arme Mädchen daran setzen?«

      »Ja, mein Leben wohl, aber nicht mein Gewissen . . .«

      »Tropf, ich merke woran ich mit Dir bin. Du kommst vom Pfarrer und Dorfschulmeister, hast aber die Hochschule des Schicksals noch nicht besucht. Du sprichst Bernerdeutsch, ich Schweizerdeutsch, wir verstehen einander nicht.«

      Addrich ging mit hastigen Schritten einigemal schweigend das Zimmer auf und ab, und kehrte endlich langsam zu Fabian mit den Worten zurück: »Du thust mir leid, Fabian. Es hilft Dir alles nichts. Freund oder Feind, hart oder linde mußt Du sein. Was nicht zu den Scheerenklingen gehört, wird zwischen beiden zerschnitten. Ich schlage Dir etwas anderes vor, Deines eigenen Heils wegen. Ich gebe Dir meine Nichte; Du aber begleitest mich morgen nach Hutwyl zur Landsgemeinde aller Bundesgenossen. Da sollst Du hören, was das gesamte Volk begehrt, und ob es Recht oder Unrecht will. Nachher entscheide Dich! . . . Von da begleitest Du mich, und weichst bis zum Austrag des Handels nicht von meiner Seite.«

      Fabian blieb eine Weile nachdenkend und sagte: »Warum das?«

      »Wie Du willst, Deiner oder meiner Sicherheit wegen.«

      »Der Deinigen wegen, Addrich, möchte ichs wohl.«

      »Auch als Arzt kannst Du gute Dienste leisten, und ohne Dein Katechismusgewissen in Gefahr zu stürzen, denn Du kannst mit Deinen Pflastern Juden und Samaritern beispringen.«

      »Auch das kann ich.«

      »Mehr verlange ich nicht, als Dein Wund- und Scheermesser. Der Degen und Spieße haben wir genug, auch ohne Dich. Deine Feder allenfalls nimm mit Dir; es giebt zu schreiben.«

      »Nein, Addrich, für diesen tollen Aufruhr verspritze ich weder Blut noch Tinte. Schwert und Feder haben ungleiches Gewicht; wisse jedoch: ein Schwertstreich kann wohl Fleisch und Knochen spalten, ein Federstrich aber scheidet Länder und Völker. Ich gehe, Addrich, als Dein Schutzengel, wohin Du willst, allein die Feder bleibt daheim.«

      »Mag's gelten. Hand her! Du weichst nicht von mir. Das andere wird sich finden.«

      »Hier die Hand, Addrich! Das andere aber suche nicht, denn Du wirsts nie finden.«

      Fabian gab ihm die Hand, welche der Alte kräftig, doch nicht ohne ein Lächeln schüttelte, in welchem etwas Schalkheit verborgen lag. Addrich führte ihn darauf mit der Lampe in eine anstoßende Kammer und sagte: »Du wirst ermüdet sein, Fabian. Hier steht Dein Bette; morgen sprechen wir weiter. Gute Nacht!«

      Damit entfernte sich der Alte rasch. Fabian trat zum Fenster. Es war noch nicht spät am Abend. Die Thalschlucht lag im bleichen Mondlicht. Wie das Rauschen eines nahen Stromes scholl das Getöse der Tannen im Winde. Da wankte eine menschliche Gestalt unter Fabians Fenster vorüber. Es war Addrich, der in seinen Mantel gewickelt, mit Hut und Degen noch eine geheimnisvolle Nachtreise antrat. Er verschwand bald im Schatten des nahen Waldes.

      37.

       Unerwartete Erfüllung.

       Inhaltsverzeichnis

      Fabian überließ sich in aller Harmlosigkeit seinem gesunden Schlafe und er kam, da es schon eine Stunde Tag war, als der letzte, zur Morgensuppe. Auch Addrich, schon ganz reisefertig, leistete Gesellschaft, sprach viel und lebhaft und mit großen Erwartungen von der nahen Volksversammlung in Hutwyl, der feierlichen Beschwörung des Landbundes und der daraus notwendig hervorgehenden Entscheidung über das Schicksal der gesamten Eidgenossenschaft. »Die Töchter wissen,« fuhr er fort, »daß Du mir das Wort gegeben, mein Begleiter zu sein; und beide kennen auch den Preis dafür. Geh, nimm Abschied von der armen Leonore und weide Dich an der letzten Freude, die aus ihrem sterbenden Auge lächelt.« Der Jüngling gehorchte; der Alte folgte ihm.

      Beide traten leise in das Gemach der Leidenden, in welches die vorgezogenen Umhänge des Fensters nur einem dämmernden Licht einzudringen gestatteten. Epiphania stand am Bett der Freundin und reichte dem schüchtern herantretenden Liebling schweigend die Hand zum Morgengruß. Er wagte kein Wort zu reden. Leonore aber, an erhöhte Kopfkissen in halbsitzender Lage angelehnt, streckte ihm mit himmlischem Lächeln den Arm entgegen, und indem der Widerglanz innerer Freude die blassen Wangen der verschämten Kranken, wie der letzte Abendstrahl der Mai-Sonne den reinen Schnee der Alpenfirnen, rötete, sagte sie mit matter Stimme: »O Fabi, lieber Fabi, Du findest mich noch. Gott Lob, daß Dich mein Auge noch einmal sehen darf, ehe es bricht! Gieb mir Deine Hand, Faneli!«

      Epiphania reichte ihre Hand hin. Leonore legte sie in die des Jünglings, sah mit neuem Erröten und lächelnd zu beiden empor und sagte. »Meine Seele segnet Euch. Vor Gott betet sie für Euer Heil. Ich werde oft bei Euch sein.«

      Fabian und Epiphania standen stumm und mit thränenvollen Augen da. Eleonore bemerkte es, lächelte das Paar zärtlich an und sagte: »Ich weine nicht mehr; Ihr habt noch Thränen. Die Freude weint auch; die Seligkeit nicht. Das Leben ist schön, doch nur ein Schatten . . . Schatten des Überirdischen!«