Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


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einen Scheit zur willkommenen Waffe in der Not.

      Seine Bangigkeit stieg mit jedem Schritte des weiten Umweges, den er zu machen hatte, und als er bald undurchdringlich verwachsenem Gestrüpp ausweichen mußte, bald im stachligen Netze der Ranken der über den Waldboden gesponnenen Brombeeren und Himbeeren seine Füße hangen blieben; noch mehr aber, als er auf dem öden Rücken der Bampf die bekannte Bäuerin allein stehen und Epiphania nicht mehr bei derselben sah.

      Endlich erreichte er die andere Seite des Berges, doch zugleich blieb sein Fuß, wie in die Erde gewurzelt, stehen und sein Blut starrte in den Adern.

      Zwischen den gelbrötlichen Säulen hundertjähriger Kienföhren, durch welche die Abendsonne grelle Lichter warf, stand Epiphania mit vor sich hingefalteten Händen in demutsvoller Stellung, und vor ihr ein Mann in edler Haltung, welcher die Hand feierlich gen Himmel erhob. Obgleich Fabian noch einige hundert Schritte entfernt war, verriet ihm dennoch das schwarze Barett, dessen Goldschnüre im Sonnenstrahl schimmerten, der lange, schwarze Leibrock, und die ganze Gestalt in ihrer ruhigen Bewegung, daß dieser Mann kein anderer, als der Fremdling sei, der ihm schon in der Berghütte über Stüßlingen gerechten Argwohn eingeflößt hatte. Umsonst hielt der erschrockene Jüngling den Atem an, die Worte des Herrn von Groenkerkenbosch oder Epiphanias zu erlauschen. Er stand zu fern; es war aber auch unmöglich, ohne entdeckt zu werden, näher zu schleichen, weil zwischen dem Dickicht, das ihn verbarg, und dem Hain der Föhren, offenes Wiesenland lag.

      Er suchte sein Gehör in die Augen zu legen und glaubte zu erhorchen, daß Epiphania weine. Dann sah er mit unbeschreiblichem Erstaunen, wie sie plötzlich vor dem Menschen auf die Kniee fiel; wie sie dann jammernd ihre Hände zu ihm aufstreckte, dann mit ihren Armen seine Kniee umfaßte, und ihre Stirn an dieselben lehnte. Er aber breitete erst seine Arme, mit vorgebogenem Leibe, gegen die Knieende nieder, schlug dann mit den Fingern der rechten Hand, nach priesterlicher Weise, ein dreifaches Kreuz in der Luft über die Knieende und beugte sich, sie emporzuheben. Lange währte der Kampf zwischen ihr und ihm, denn sie schien ihre ehrerbietige Stellung nicht verlassen zu wollen.

      Endlich sah sie Fabian den anhaltenden Bitten gehorchen. Sie richtete sich auf und faltete, indem sie ihm wieder gegenüber stand, wie in unaussprechlich tiefer und heftiger Bewegung des Gemütes, die Hände auf ihrer Brust mit Inbrunst zusammen, und hob sie dann, wie betend, zum Himmel. Don Nardo aber trat jetzt mit offenen Armen gegen die Jungfrau hin, umfaßte sie und drückte sie küssend an seine Brust. Epiphania ließ es ruhig geschehen. Keine Bewegung verriet ihren Widerstand. Ein heller Sonnenstrahl fiel blendend zwischen den Baumstämmen hindurch, deren blaßgrüne Zweige sich hoch wölbten, auf das wunderbare Paar.

      Dem guten Fabian hing bald alles Dieses dämmernd und dunkel vor den Augen. »Sie ist verloren!« rief es wie eine Ahnung in ihm. »Der Pfaff hat sich ihrer schwärmerischen Träumereien und Neigungen zu bemeistern gewußt; Epiphania hat ihren Glauben abgeschworen, sie ist zum Papsttum übergetreten, sie ist verloren; die verschmitzte Scheinheiligkeit des lüsternen Priesters hat gesiegt. Das verhehlte sie mir!«

      Er umklammerte mit der Hand krampfhaft die Keule und war im Begriff, aus seinem Hinterhalt hervorzustürzen, doch er taumelte, wie ein Trunkener, und mußte sich an einer jungen Buche aufrecht halten. Er blieb stehen. Seine Besonnenheit kehrte schnell zurück und er faßte den Entschluß, sich selbst zu überwinden und das Ende des herzzerreißenden Schauspiels zu erwarten, in welchem ein gutmütiges, schwärmerisches Kind das Opfer der blindesten Leichtgläubigkeit und der gleisnerischsten Priesterlist wurde.

      Er blickte hin. Die Umarmung dauerte fort, doch so, daß, während Epiphania an der Brust des Fremden lag, dieser von Zeit zu Zeit die rechte Hand mäßig und mit vorgestrecktem Zeigefinger, wie ein Lehrender, erhob. Dann und wann nur richtete die Jungfrau das Angesicht wie fragend zu ihm hin, und dann wurde Fabian wieder vom Krampf befallen, wenn er Augenzeuge davon sein mußte, wie sich die Lippen des Lehrenden wieder zum Kusse auf des Mädchens Stirn senkten. Eine lange halbe Stunde hatte diese Unterhaltung gedauert. Dem heimlichen Beobachter schien die Sonne am Himmel still zu stehen, denn nach seinem Dafürhalten hätte sie in dieser Frist nicht nur hinter den Alpen unter-, sondern auch im Osten wieder aufgehen können.

      Epiphania schien zuerst an die notwendige Trennung zu denken. Sie trat einen kleinen Schritt von ihrem geistlichen Lehrer zurück, in dessen beide vorgestreckten Hände sie jedoch die ihrigen legte. Jetzt schien, der Bewegung ihres Köpfchens nach, die Reihe des Redens an sie gekommen zu sein. Einigemal wandte sie das Gesicht hinter sich, als suche sie die Bäuerin, welche auf der Höhe wahrscheinlich Wache hielt. Dann wurde das Gespräch wieder fortgesetzt, und in der Lebendigkeit desselben sah Fabian sogar, daß Epiphania mit allzu zärtlicher Ehrerbietung die Hand des Niederländers an ihren Mund drückte, während dieser seinerseits die andere auf ihr Haupt legte, wie zur Erteilung des geistlichen Segens. Fabian murmelte im Übermaß seiner Ungeduld unchristliche Verwünschungen zwischen den Zähnen, bis er Epiphania's Stimme deutlich durch den Wald tönen hörte. Sie rief der Bäuerin zu, und trennte sich dann alsbald von ihrem bisherigen Gesellschafter bis auf eine ziemliche Entfernung.

      Als der Lauscher das zurückgebliebne Weib nun wirklich vom Berge herschreiten sah, machte er sich auf, um Addrich's Hütte im Moos vor Epiphania, doch unbemerkt von ihr, zu erreichen. Daher mußte er den gemachten Umweg durch die Gebüsche wiederholen. Er hatte bei sich fest beschlossen, Epiphania nicht ahnen zu lassen, daß er Zeuge dieser heimlichen Zusammenkunft gewesen sei. Beobachten, allmählich ausforschen wollte er sie, und nicht ruhen, bis er das traurige Geheimnis enthüllt, oder gesehen hätte, wie weit es ein Mädchen, mit Geberden voll Unschuld, in der Verstellungskunst treiben könne.

      35.

       Die Fragen.

       Inhaltsverzeichnis

      Fliegenden Fußes eilte er durch Dorn und Dickicht. Einigemal hielt er im Laufe an, legte die Hand an seine Stirn, und schien unentschlossen nachzudenken, was er in diesen Augenblicken zu wählen habe, um es nicht bereuen zu müssen. Dann wandelte er langsamer vorwärts, bis der wiederkehrende Schmerz ihn von neuem zum Laufen anspornte.

      In diesem Augenblick, wo er bleich und atemlos, die braunen Locken verwildert um das Haupt hängend, aus dem Gebüsche auf den Fußweg trat, der zum kleinen Moosthale Addrichs führte, flog von der andern Seite Epiphania mit nicht geringerer Eile daher; die Wangen glühend, die Augen Entzücken strahlend; der Busen stürmisch sich hebend und senkend. Beide, durch das unerwartete Zusammentreten überrascht, blieben stumm auf ihren Stellen stehen. Ihm entging nicht die Seligkeit, in der Epiphanias Antlitz strahlte, ihr nicht seine totenartig blasse Farbe und seine Verwilderung. Beide erschraken vor einander.

      »Du noch hier, Fabi?« sagte sie endlich. »Ich glaubte Dich längst bei Addrich. Fabi, wie bist Du so schrecklich verstört? Was ist Dir geschehen? Rede doch!«

      »Ein großes Unglück,« seufzte Fabian.

      »Ein Unglück?« wiederholte Epiphania zitternd, und trat mit langsamen Schritten zu ihm hin, und legte ihre Hand auf seinen Arm, während ihre Augen seine weggewandten Blicke suchten. Er aber, ohne zu ihr aufzuschauen, drängte sie sanft von sich zurück und sagte: »Ich habe meinen ganzen Himmel verloren, denn Du bist nun, ohne Wiederkehr, aus ihm verschwunden.«

      »Rede, Fabi, rede!« sagte sie voll gutherzigen Mitleids und trat wieder zu ihm hin. »Dein Himmel verloren und ich daraus entschwunden? Sprich, was ist Dir geschehen? Dränge mich nicht zurück; bin ich nicht Deine Schwester? Vertraue mir!«

      »O, Dir vertrauen, Dir!« rief er voll innigen Schmerzes. »Du hast alle meine Zuversicht gebrochen; nicht Vertrauen mit Vertrauen vergolten. Wozu noch Erklärungen unter uns? Komme hinab ins Thal zu Addrich. Gott hat's gefügt, daß ich heute die Hinfälligkeit alles Irdischen, die Eitelkeit aller Hoffnungen erfahren sollte. Ich bin jetzt unendlich ärmer als bei meinem Eintritt ins Leben; ich habe Dich verloren. Morgen verlasse ich die Schweiz und gehe in die weite Welt hinaus, soweit mich der Boden trägt. Komm' hinab ins Thal!«

      Epiphania wurde blaß und erstarrte fast. Stumm ergriff sie seine Hand, die er aber zurückzog. Sie betrachtete ihn mit forschendem,