Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


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      In der langen Weile seiner mehrwöchentlichen Verhaftung wechselte Fabian, wie Gefangene zu thun pflegen, vom Morgen bis zum Abend mit Singen und Fluchen, Ergebungen in das Verhängnis und Entwürfen zur Flucht, Vorsätzen der Rache und dichterischem Ausmalen seiner Zukunft, wenn er jemals wieder der goldenen Freiheit genösse. Es versteht sich, daß Epiphania die Bilder der Zukunft ihm im reinsten Lichtglanze verherrlichte. Doch das schwesterliche Verhältnis nahm während der Betrachtungen in der gefänglichen Einsamkeit zu Olten eine ganz andere Färbung an. Es schien, als hätten ihn Addrichs und Don Nardos Reden auf einen Gedanken geleitet, der ihm vorher, wie der Gedanke an Blutschande, abscheulich erschienen war. Er sah nun erst ein, daß ihm Epiphania, die ihm auch nicht aufs Entfernteste verwandt sei, unmöglich in ein fremdes Land und Haus folgen könne, ohne ihren guten Ruf in der Welt zu verlieren. Er dachte sie nun auch unter dem Bilde einer jungen Gattin, und konnte anfangs den keuschen Widerwillen, die innere Scham kaum überwinden, die bei diesem Worte laut wurden, welches einem Frevel an der reinen Engelsnatur der Jungfrau gleich schien. Je vertrauter ihm aber nach und nach die reizende Möglichkeit wurde, daß er Epiphania als Weib aus der Schweiz führen und sie sich durch die heiligste Weihe anschließen könne, desto mächtiger wuchs zugleich seine Furcht vor des katholischen Niederländers bedenklichen Äußerungen, und in seiner Brust der schmerzende Brand der Eifersucht gegen den schönen Gideon. Seine Ungeduld nach Freiheit ging daher zuweilen fast in Verzweiflung über. Er sprach viel mit sich selbst und überlaut; er schlug die Wände mit geballten Fäusten und rüttelte die dicken Eisenstäbe des Fenstergitters, daß die steinernen Gesimse erbebten. Die Stunden wurden ihm zu Tagen, die Tage glichen Wochen; die Wochen dehnten sich zu Jahren aus. Den Wächtern wurde bange, er werde den Verstand verlieren.

      In der That hätte es geschehen können, wäre ihm nicht endlich, nach beinahe vier Wochen, der Kerker aufgeschlossen worden. Bewaffnete Bauern führten ihn in ein anderes Zimmer, wo mehrere wohlgekleidete Landleute, obwohl es noch früh war, bei Wein und Brot um einen großen runden Tisch saßen, Unter den Männern erkannte Fabian sogleich die breite Gestalt des Addrich, und neben demselben jene Person, welche sich auf dem Zuge nach Olten als der Untervogt von Buchsiten bemerkbar gemacht hatte.

      Die Versammlung brach, als Fabian hereintrat, ihr bisheriges lautes Gespräch plötzlich ab, nahm ein ernsthaftes Wesen an, und suchte sich in die möglichste Würde zu setzen. Dieser hier stellte das aufgehobene Weinglas nieder, jener dort legte Brot und Messer aus der Hand und schlug die Arme untereinander, oder faltete die Finger zusammen, oder rückte den Stuhl zurück, um Knie auf Knie zu legen.

      »Fabian von der Almen,« sagte Herr Adam Zeltner, der Untervogt, »obwohl wir wissen, daß Du in Deinem törichten Herzen erzbernerisch gesinnt bist, und als Sohn eines wackern Landmanns schändlicher Weise zu den Städtern hältst, wollen wir doch Gnade für Recht über Dich ergehen lassen. Du magst daraus erkennen, daß wir freien Landleute gnädiger sein können als die Herren zu Solothurn und Bern, die sich »gnädig« schelten lassen, und Verbrechen an uns suchen, um uns an Geld und Blut zu strafen. Deine wider uns und das teure Vaterland verübten Umtriebe und Helfershelferdienste hätten billig den Strang verdient, der Verrätern zukommt, aber . . .«

      »Ich bin niemals ein Verräter gewesen,« unterbrach ihn Fabian.

      »Schweig, wir wissen alles,« fuhr Herr Zeltner mit fester Stimme fort. »Bist Du nicht von Bern nach Aarau mit Briefen zum Schultheißen Hagenbuch gelaufen?«

      »Allerdings,« versetzte Fabian, »doch ich wußte nichts vom Inhalt dieser Briefe, und noch weniger davon, daß ich Männern, die meine Herren und Oberen sind, keinen Dienst leisten dürfe.«

      »Schweige! Jetzt sind wir aber Deine Herren und Oberen; darum begnadigen wir Dich, und erwarten dagegen von Dir Ehrerbietung und dankbare Ergebenheit. Die wirst Du uns also angeloben?«

      »In jeder erlaubten und gerechten Sache.«

      »Es ist nichts erlaubt als das Gerechte, und wir werden nichts von Dir begehren als das Gerechte. Jedennoch möchte auf Dein Wort und Angeloben wenig zu bauen sein, wenn unsere und des werten Vaterlandes Sache nicht schon über alle Gefahr obgesiegt hätte. Darum können wir Dich ohne Furcht der Haft entlassen, selbst wenn Du in gerader Richtung von hier nach Bern zurück liefest. Zudem hat auch dieser unser lieber Nachbar und ehrenwerter Eid- und Bundesgenosse – der Untervogt deutete mit der Hand auf Addrich – gut für Dich gesagt, was Du ihm zeitlebens danken magst.«

      »Ich danke meinem Freund Addrich gern, und vor Euch allen, denn ich weiß, er meint es gut mit mir und kennt mich. Hättet Ihr Euch aber, anstatt mich vier Wochen lang ohne Verhör und Untersuchung rechtswidrig festzuhalten, von meiner Unschuld früher überzeugt; hättet Ihr meine frechen Ankläger mir unter die Augen gestellt, daß sie durch meine Rechtfertigung zu Schanden gemacht worden wären: so würde ich noch lieber Eurer Gerechtigkeitsliebe als dem Addrich schuldigen Dank gesagt haben.«

      »Du sträubest Dich zwar mit Deiner Unschuld, wie sieben Eier in einem Krättlein, aber glaube mir, Du keckes Bürschchen, wir haben Dich nicht um eines Gastpfennigs willen in unserem Gewahrsam gehalten. Der Erste, welcher wider Dich zeugte und uns warnte, Dich nicht aus unserer Gewalt zu lassen, war ein sehr glaubwürdiger, vornehmer Herr, der Dich nur kurze Zeit gesehen, aber dennoch genug von Dir vernommen hatte. Du wirst Dich des Edelherrn von Groenkerkenbosch erinnern, der mit Dir gefangen worden ist? Er hatte durchaus kein Interesse gegen Dich . . .«

      »Der Niederträchtige! Er also? Der?« rief Fabian auffahrend. »Ihr vielklugen, gerechten Männer glaubt in Eurer Weisheit der tückischen Zunge eines wildfremden Abenteurers und kerkert darauf hin, ohne allen Beweis der Wahrheit, einen Schweizer, einen Mitlandsmann ein wie einen Verbrecher?«

      »Höre, Grünschnabelchen,« rief bei diesen Worten Fabians ein alter Bauer hinterm Tisch, »habe Respekt, denke, vor wem Du stehst, und schlucke Deine unverschämten Redensarten hinunter; es wird Dir kein Kropf davon wachsen, wenn Du sie in der Kehle behältst.«

      Der Untervogt winkte mit der Hand dem Alten zum Schweigen und fuhr gegen Fabian also fort: »Wenn der erste Zeuge wider Dich nicht genügt hätte, würde ein zweiter wohl hundert andere aufgewogen haben. Das ist ein erprobter Vaterlandsmann, dem die Wohlfahrt gemeinen Wesens über alle Rücksicht und Freundschaft geht, die er leider! für Dich gehegt haben mag. Er ist's, von welchem wir schon umständlich vernommen haben, wie viel die Berner Dir zahlten und aus welchen Ursachen Du ins Aargau gekommen bist. Da ist der mannhafte und tapfere Hauptmann Gideon Renold. Den wirst Du gelten lassen, hoffe ich.«

      »Den lasse ich gelten als einen Schelm vom Wirbel bis auf die Sohle. Dieser Judas und ich sind von jeher Freunde gewesen wie Katze und Hund. Warum stellet Ihr mir den schwedischen Lohnknecht, der schon im Mutterleibe so giftiger Natur war, daß die im Kindsbett sterben mußte, die ihn zur Welt brachte, nicht Angesicht gegen Angesicht?«

      »Wenn Du alle Ehrenmänner so schamlos lästern kannst,« fuhr der Untervogt mit Bitterkeit fort, »so lästere, wenn Du kannst, noch einen Dritten, dessen Zeugnis mit allen anderen zusammenstimmte. Die Wahrheit hat nur eine Farbe, die Liebe mancherlei. Und dieser Dritte ist der, welcher für Dein Wohlverhalten bei uns gutgesagt hat und Dein Bürge geworden ist.«

      »Wie? Addrich, Du?« sagte Fabian und warf einen Blick unwilligen Erstaunens auf den Alten.

      Addrich hatte schon während der letzten Reden des Untervogts die dicken Augenbraunen finster zusammengezogen und einen stechenden Blick auf den Sprecher der Versammlung geworfen. Jetzt brummte er: »Viel und erbaulich schwatzen ist selten beisammen.« Dann wandte er sich zum Jünglinge und sagte: »Nein, Fabian, ich habe keineswegs wider Dich gezeugt; denn ich wußte aus Deinem Munde, wie Du weder kalt noch warm seiest, und so wenig mit dem Volke wie mit den Städten halten magst. Du bist ein unerfahrenes Kind und hast Deine Rute wohl verdient. Erst hatten Dich die Baseler in die Klemme genommen; ich befreite Dich. Nun fielest Du in die Hand des Volkes. Wenn sich Wolf und Hund beißen, sollst Du nicht zwischen beiden hindurchspazieren wollen und sagen: ›Was geht's mich an?‹ Wer in bürgerlichen Händeln nicht zu einer der Parteien tritt, bekommt die Fäuste beider in die Haare. Hüte Dich vor dem Gideon; Du hast viel bei ihm im Salze. Ganz zufällig vernahm ich vor einigen Wochen, man halte Dich hier gefangen. Das war mir recht,