Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


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nur vergesst Ihr, daß ich fremd und unkundig bin, wo Wirtshaus und Dorf zu suchen sei. Ohnehin rückt die Nacht mit starken Schritten heran.«

      »Ich bin, Herr, der Örtlichkeit dieses Landes so unkundig wie Ihr, und begehre ebenfalls ein Obdach. Die Märznächte sind in dieser Höhe unter freiem Himmel kühl, doch denke ich, wir sollen bei der jetzigen frechen Ausgelassenheit der Bauern lieber die Wirtshäuser und Dörfer meiden als suchen, und mit irgend einem abgelegenen Heustalle im Berge, wo wir ihn finden, vorlieb nehmen. Wenn Euch damit geholfen ist, so folget mir.«

      Die Reiter bestiegen sofort ihre Pferde. Fabian ging behenden Fußes durch den Hohlweg voran; ihm nach ritt der Fremde, welchem der Mohr folgte; den Schluß machte der Jäger, welcher ein beladenes Maultier vor sich hertrieb. Der Hohlweg öffnete sich in einer wilden, einsamen Berggegend, die, als man eine gute Weile hinaufgestiegen war, zu einer kahlen, abhängigen Fläche wurde, über welche das Gebirge zur Rechten seine kalten Schatten warf. Ein einzelner Fels, im Hintergrunde hoch emporragend, trug auf seiner Spitze das Schloß Wartenfels über die graue Ebene empor. Am Saume des Himmels leuchteten in unabsehbarer Reihe noch die Firnen der Gletscher im Rosenlichte der untergegangenen Sonne, welches jedoch bald zur frostigen Perlfarbe erlosch.

      Hier verließ Fabian die Geleise des Fahrweges und nahm seinen Weg rechts über die Halde dem nahen Gebirge zu; dann zog er längs einem ungangbaren Walde, wo er von ferne, in einer tief gelegenen Stelle desselben, etwas einer Hütte ähnliches entdeckten haben glaubte. Die Reiter folgten ihm langsamen Schrittes durch die Einöde, in lautem Gespräche unter sich, wovon Fabian jedoch nichts verstand, da sie in einer fremden Sprache redeten.

      Endlich erblickten sie hinter einem Gebüsche, zwischen großen Haufen von Bergschutt liegend, ein halb zerfallenes Strohdach, darunter ein Hütte aus Baumstämmen, die zum Schutze des Viehes aufgerichtet schien. Während die Reisenden abstiegen, musterte Fabian, indem er die Runde machte, das Gebäude, und brachte die frohe Botschaft, hier sei auch eine menschliche Wohnung. Man führte die Pferde in einen leeren Stall, und ging dann dem jungen Führer in die Behausung nach, welche unmittelbar an den Stall grenzte. Es erscholl jedoch kein gastfreundliches Willkommen.

      Durch die niedrige Thür traten sie gebückt in eine enge, schwarzgeräucherte Stube, wo ein schmutziges Bauernweib und einige halb erwachsene Buben und Mädchen neben einem dicken, städtisch gekleideten Herrn in seltsamer Leblosigkeit unbeweglich, starr und stumm, wie ausgestopfte, mit Lumpen behangene Gestalten, dasaßen. Es wendete sich kein Kopf, es zuckte keine Miene; keine Lippe erwiderte Fabian's Gruß. Die Augen dieser Leute hatten insgesamt ihre Richtung nach den weißen Augen und Zähnen des Mohren genommen, Plötzlich endete dies Todesschweigen in den allgemeinen Schrei: »Jesus Maria, Joseph und St. Urs!« und zugleich fuhren Weib und Kinder von ihren Sitzen, und mit der Schnelligkeit des Blitzes aus Stube und Haus, über die Wiesen davon, der städtische Herr aber ebenso schnell hinter sich durch's schmale Fenster. Obgleich der mürbe Rahmen dieses Fensters beim ersten Stoß mit allen Scheiben gewichen und herausgefallen war, so versagte dessenungeachtet der enge Raum einem so beträchtlichen Leibesumfange, wie dem des Flüchtigen, den völligen Durchgang, Fabian lief inzwischen den Entkommenden vergebens über die Halde nach. Keiner achtete seines Rufes. Die Leute waren ihm bald aus dem Gesichte und man mußte sich also zu dem Einzigen wenden, den das Fensterloch als gute Beute festhielt.

      Dieser hatte es nicht an Mühe fehlen lassen, sich frei zu machen; auch mangelte es dazu nicht an baldiger guter Nachhilfe der Umstehenden. Als aber zuletzt alle Anstrengungen den Kriegsgefangenen um keinen Zoll weder vorwärts noch rückwärts gebracht hatten, stöhnte er: »Ihr guten Herren, ich danke Euch; aber hier hat der Zaun kein Loch. Ich sitze fest, wie der gebrochene Stöpsel im Flaschenhalse. Falls Ihr nicht die ganze Wand einstoßet, muß ich bis zum Jüngsten Tage in dieser Mausefalle hängen. Ich spüre sogar empfindlich, daß sich das Hexenloch jeden Augenblick enger zusammenzieht.«

      Die Umstehenden konnten, trotz des Mitleidens, sich des Lachens nicht erwehren. Nur der Priester oder Kaufmann, welcher, ohne Hand anzulegen, Zuschauer geblieben war, verzog keine Miene und fragte: »Wie habt Ihr's angefangen, Euren Kopf, geschweige die ellenbreiten Schultern, hindurch zu zwängen?«

      »Ja, wer sich an alles erinnern könnte, wäre ein gelehrter Mann,« ächzte der Gefangene. »Ihr andern habt gut lachen, Wer den Schaden hat, darf für den Spott nicht sorgen. Doch so wahr ich noch lebe, meine Mutter hat mich nicht zum Fensterladen geboren. Noch einmal frisch an's Werk, Ihr Herren, man muß den Flegel nicht aufhängen, ehe man gedroschen hat.«

      »Ich bin sonst von Natur kein Hase,« sagte der endlich mit großer Not aus der Einklemmung im Fenster Erlöste, indem er tief aufatmete und sein emporgeschobenes Wams über die Fülle seines Leibes niederzog. »Wären die einfältigen Bauern nicht beim Anblicke jenes schwarzen, übrigens hübschen Gesichtes, wie die Gergesener Säue auseinander gefahren, ich hätte keinen Finger zum Fenster hinausgestreckt. Vor acht Tagen würde man mir noch leichter die Haut über die Ohren, als mein Wams über die Halskrause aufgestreift haben. Ich werde offenbar zum Gerippe, ehe ich Aarau wiedersehe. Ja, Angst und Not, Ihr Herren, fressen mehr Speck, als hundert Mäuse. Man wird mich daheim nicht wieder erkennen.«

      »Von Aarau? Und seit wann habt Ihr die Stadt verlassen?« fragte der Herr des Mohren, weniger aus Neugierde als, wie es schien, um nach etwas zu fragen.

      »Wäret Ihr jemals in Aarau gewesen, Herr Freund,« versetzte jener, »Ihr würdet von mir zu reden wissen. Ich bin der Spielmann und Meistersänger Heinrich Wirri, oder vielmehr jetzt nur noch dessen armer Schemen und Schatten. Es mögen vier, sechs, elf Tage sein – fürwahr, es kommt kein Unglück allein, auch mein Gedächtnis magert ab – da übernahm ich einen kleinen Liebesdienst für meinen wohlehrwürdigen Herrn Dechanten Nüsperli beim Junker Oberherrn von Rued. Seitdem also . . .«

      Hier unterbrach ihn der Frager mit dem Ersuchen, die Antwort einen Augenblick zu verschieben, denn es beginne finster zu werden; das Haus sei unwirtlich; er wolle also des Wirtes Stelle vertreten, da hier jeder der Anwesenden fremd zu sein scheine. Nach diesem redete er eine Weile mit dem Jäger und Mohren in einer unbekannten Sprache, welche sich darauf entfernten. Auch Fabian ging hinaus, während der Fremde und der Meistersänger, allein im Zimmer, ihr Gespräch fortsetzten. Weil es von außen kalt in die Stube zog, schob er das gebrochene Fenster, so gut es ging, wieder in das Loch und den äußern Laden davor. Dann half er den Leuten im Stalle die Pferde absatteln, warf Heu von der Bühne herab in die Krippe, während der Jäger die Reiselaterne anzündete und der Mohr die Ladung des Maultiers, nach wiederholten Gängen, in die Stube versetzte. In der Stube wurde eine große Lampe entdeckt, angezündet und auf den Tisch gestellt, über welchen der Mohr einen zierlichen Teppich breitete, um mancherlei kalte Speisen, Fleisch und Backwerk darauf zu legen; sogar ein sauberes sechs Maß haltendes Weinfäßchen mit vergoldeten Reifen und zwei silberne Trinkbecher wurden aufgestellt.

      Von allen Anwesenden beobachtete niemand diese erfreulichem Anstalten mit größerer Zufriedenheit, als der Meistersänger von Aarau, obwohl er seine Freude hinter gleichgültigen Geberden und allerlei Fragen zu verstecken suchte. Während er nach der gastfreien Einladung des vornehmen Wirtes nur noch das Angriffszeichen erwartete, überraschte es ihn sehr unangenehm, als ringsum eine befremdliche Stille entstand. Er wendete seinen Kopf und sah den Geber des Mahles und dessen Gefolge, entblößten Hauptes, leise das Tischgebet verrichten. Auch Fabian war dem Beispiele gefolgt. So wollte auch Wirri nicht zurückbleiben, begann jedoch damit zu spät, als die übrigen sich schon wieder bedeckten und, außer Fabian, mit den Händen das Zeichen des Kreuzes auf Stirn, Mund und Brust machten, wodurch sie ihre Anhänglichkeit an die römisch-katholische Kirche zu erkennen gaben.

      Das Essen begann, Mohr und Jäger jedoch standen zur Aufwartung ihres Gebieters hinter dessen Platze, und bereit, von Zeit zu Zeit den einzigen Silberbecher, dessen sich Fabian und der Spielmann abwechselnd bedienen mußten, im reinen Wasser zu schwenken und, wenn ihn einer geleert hatte, wieder mit Wein zu füllen.

      »Noch eins, Meister Wirri,« hob der fremde Wirt an, indem er die Lobeserhebungen des Meistersängers unterbrach, mit welchen dieser die Erfindung wandernder Küchen und tragbarer Keller überhäufte, »saget – denn Ihr ließet Euch vorhin, als wir allein im Dunkel plauderten, darüber nicht aus – gesetzt, es wäre Euch im Hause des Addrich gelungen, die Epiphania nach dem Schlosse Liebegg