Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


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Amtes Schenkenberg auf dieser Seite des Flusses. Wenige Stunden später erblickte man auf den Höhen zahlreiche bewaffnete Scharen in Bewegung und zum Angriff bereit. Der Oberst von Basel versammelte alsbald seine Schlachthaufen und pflog Rats mit den Offizieren, als die Ankunft einer Gesandtschaft der feindlichen Rotten gemeldet wurde. Die Verlegenheit sämtlicher Hauptleute sprach aus ihren Worten und Geberden. Sie hatten in den Mut und die Treue ihrer Soldaten so wenig Vertrauen, als auf die Großmut des empörten Landvolkes. Der Zahl nach zu schwach gegen die Schwärme des allgemeinen Aufstandes und an Kriegszucht und Waffenübungen denselben nicht überlegen, sahen sie ihren unvermeidlichen Untergang voraus.

      »Bei meiner armen Seele!« rief Hauptmann Bekel endlich, indem er die bestürzten Geberden seiner Waffengefährten betrachtete, und darüber in ein Gelächter ausbrach, das ihm Thränen erpreßte. »Solch verfluchter Krieg ist in der Welt nicht erhört, Ihr Herren. Machen wir zuletzt Spaß aus der Sache, wie Hanswurst in der Komödie, wenn der Teufel mit den sieben Todsünden gegen ihn ins Feld rückt. Stellen wir uns auf die Zehen; machen wir uns zu Riesen; füllen wir den Mund mit Armeen, Kartaunen und Granaten; verwandeln wir unsere armselige Mannschaft in eine Vorhut von 20 000 Mann, die uns auf dem Fuße nachkommt; schildern wir unsere Leute, als wären sie wütige Eisenfresser. Das kann uns retten, oder nichts. Wir müssen den Bauern Angst einjagen, und mit ihnen von oben herab, gebietend, wie Berner Landvögte reden. Ich wette, sie bücken sich unterthänigst und ziehen den Filz vom Kopf!«

      Während er so, stets vom eigenen Lachen unterbrochen, sprach, ergriff die Lachlust auch alle Übrigen in solchem Maße, daß sie kaum ein Wort hervorbringen konnten. In großer Verlegenheit sind lustige Leichtfertigkeit und traurige Verzweiflung oft neben einander laufende Auswege, und nichts grenzt so nahe an das Ernsthafteste, als das Lächerliche. Inzwischen wirkte der Anblick der fröhlichen Hauptleute wohlthätig auf die Gemüter des Baseler und Mühlhausener Heerbannes, die in Schlachtordnung auf dem sogenannten Leuenfelde, an der Straße von Aarau nach den Bergdörfern hin, aufgestellt waren, und des Ausgangs der Dinge mit Bangigkeit harrten. Sie schlossen aus dem Gelächter, die Gefahr müsse wenigstens nicht groß sein. Ganz entgegengesetzten Eindruck schien dies närrische laute Lachen auf die herankommende Bauern-Gesandtschaft zu machen, welche, aus mehr als zwanzig Männern zusammengesetzt, dreimal still stand und, darüber beratend, sich in einen dichten Knäuel zusammenrollte.

      Oberst Zörnli, von den Hauptleuten begleitet, nahm, als die Bauern herantraten, eine ernste Miene an, warf sich in die Brust und rief: »Nun Ihr Leute, wie stehts? Wollt Ihr Euch unterwerfen?«

      Ein stattlicher Landmann, im Sonntagsrock, mit zwei Fuß hohem, schwarzem Federbusch auf dem runden Hute, trat aus dem Haufen hervor, bückte sich mit halbem Leibe und sagte: »Glückseligen, guten Morgen, Ihr Herren! Wenn Ihr da der Oberst Zörnli von Basel seid, thuts mich wohl erfreuen. Ihr sollt wissen und ich thue Euch hiermit anzeigen, daß Ihr nicht vermeinet, ich sei bloß der Schmied von Veltheim, sondern ich bin der General von unserer Armee.«

      »Du bist ein guter Kerl, Schmied,« antwortete der Oberst, »und verstehst Dein Handwerk, wie ich von allen Seiten höre. Sage mir, wie viele Schmiedeknechte hältst Du? Denn wenn Du billige Preise machst, sollst Du Arbeit vollauf bekommen. Viertausend Reiter und vierzig Kanonen des Fußvolks sind heute über die Schafmatt und den Hauenstein im Anzuge; da geht auf den schändlichen Straßen mancher Radnagel, manches Hufeisen verloren.«

      Der Oberst sprach dies mit solcher Zuversicht und vornehmer Miene, daß der Schmied von Veltheim fast die Fassung verlor, den Hut hinterwärts abzog und mit der Hand sich verlegen hinterm Ohr krauete. »Was das anbelangt,« sagte er, »so wäre es von Euch keine üble Meinung, Herr Oberst, und der Verdienst wäre wohl mitzunehmen, denn die Zeiten sind heutigen Tages schlecht. Jedennoch muß ich Euch hiermit berichten thun, daß ich eigentlich komme . . .«

      »Wir bezahlen übrigens bar,« unterbrach ihn der Oberst, »das ist der Befehl unserer gnädigen Herren und Obern. Ich bin mit meiner Vorhut vorangeschickt, alles einzurichten. Bei Veltheim und Schinznach kommt das Gepäck und Fuhrwerk von zehntausend Mann zu stehen. Ich weiß zwar, Meister, Du hast Feinde. Man hat mir behauptet, Du wärest ungeschickt, könntest keinen Pflug herstellen und Dein Eisen hätte den roten und kalten Bruch . . .«

      »Herr Oberst,« schrie der Schmied von Veltheim aufgebracht, »das ist erstunken und erlogen, und rührt von dem versoffen Schmied von Thalheim her, seit ich die Arbeit im Schlosse Kastelen habe. Aber besser Neider als Mitleider, pflege ich zu sagen, Herr Oberst.«

      »Das sage ich eben auch, Meister,« unterbrach ihn der Oberst. »Aber wer sind die guten Leute da bei Dir? Giebts nicht Müller, Bäcker, Schuster und andere Handwerker darunter? Hat einer von ihnen Getreidevorrat, Mastvieh? Ich kaufe alles für die Armee auf.«

      Hier drängte sich der größte von den Landleuten aus dem Haufen hervor und rief mit heiserer Kehle und grimmigem Blicke: »Wir sind insgesamt Schmiedeknechte, Herr, und im Begriff, Euren frechen Hochmut unter den Hammer zu nehmen.«

      »Donner!« schrie der Schmied von Veltheim. »Lasse mich doch reden. Ich bin ja der General und Du gehörst nicht ins Amt Schenkenberg. Rede Du drüben, jenseits der Aar, für Deine Kulmer, hier hast Du kein Recht.«

      »Nichts, Schmied, schweig! Der Mooser soll das Wort führen,« schrie lärmend der Haufen der Abgeordneten. »Er versteht's; Addrich, rede!«

      »Nun, was giebt's?« rief der Oberst mit gerunzelter Stirn. »Wer bist Du, guter Alter?«

      Addrich trat ihm entgegen und sagte mit festem, kräftigem Ton: »Ihr seid umzingelt von den Fahnen des Schenkenberger Amtes. Euer Rückweg zur Schafmatt ist von zweitausend Solothurnern, welche bis Erlisbach hin stehen, abgeschnitten. Aarau ist diese Nacht von unseren Leuten besetzt worden und die Schaffhausener haben von Brugg schon ihren Rückzug angetreten. Eure Armee mit viertausend Reitern und vierzig Kanonen ist noch beim Baseler Pastetenbäcker im Ofen. Streckt das Gewehr, Ihr seid gefangen! Wo nicht, so hauen wir alle in die Pfanne, bis auf einen, den wir ohne Ohren und Nase heimschicken, damit er melde, wo Ihr andern ins Gras gebissen habt.«

      Der Oberst, überrascht durch diese Anrede, sammelte sich schnell wieder, fluchte, drohte vorzudringen, alle Dörfer in Brand zu stecken und des Kindes im Mutterleibe nicht zu schonen.

      Addrich erwiderte kalt: »Komme, versuch's! Willst Du Deine tapfern Leute zuvor aber kennen lernen, Oberst, so laß mich nur drei Worte zu ihnen sagen. Wenn sie Dich und Deine Hauptleute dann nicht selbst gefangen nehmen oder niederschießen, so will ich Dein Gefangener sein und am Galgen zu Basel gehenkt werden.«

      »Ist der wüste Kerl nicht der Satan selbst,« flüsterte Hauptmann Bekel dem Obersten ins Ohr, »so ist er sein Zwillingsbruder. Er kennt unsere Zeisige. Nehmt die Wette nicht an.«

      Oberst Zörnli strich sich nachdenkend den Bart, trat mit den Offizieren auf die Seite und beredete sich mit ihnen. Einige Schüsse, die auf den Höhen, von den näher gekommenen Haufen des Landvolks, abgefeuert wurden, sowie das weit umher vernehmbare Schlagen ihrer Trommeln, kürzten die Beratung ab.

      »Guter Freund,« sagte der Oberst zu Addrich, »es ist allem Kriegsgebrauch entgegen, daß Eure Leute vorrücken, während wir hier unterhandeln. Wollet Ihr den Frieden, so beginnt keine Feindseligkeiten.«

      »Wir wollen keinen Frieden,« entgegnete Addrich, »sondern Krieg. Wir gestatten Euch eine Galgenfrist, die so lange währt, bis die Spieße unsere Leute Eure Rippen erreichen können. Wählt also. Das Landvolk von Basel steht in diesem Augenblick unter Waffen, wie wir, und hält jetzt schon Abrechnung mit Eurem Bürgermeister und Rat.«

      »Ist's wahr, daß die Schaffhausener sich von Brugg zurückgezogen haben?« fragte der Oberst nach einigem Besinnen.

      »So gewiß als Euer nahes Ende. Sie haben auf Ankunft des Züricher Volkes gewartet, wie die Kuh um Weihnachten auf grünes Futter,«

      »Verdammt!« rief der Oberst, zu seinen Hauptleuten gewendet. »Man hat uns auch verheißen, es sollten in Aarau fünfzehnhundert Züricher zu unsern Fahnen stoßen. Jetzt ist's am besten, wir ziehen in das Gebiet von Basel zurück, Ihr Leute, sparen wir Blutvergießen. Gestattet Ihr uns ruhigen Abzug, so scheiden wir als Freunde von Euch.«

      Dieser Vorschlag veranlaßte