Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


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      Sobald die Abgeordneten, nach ausführlicher Betitelung und Begrüßung, über den Erfolg ihrer Verrichtungen Rechenschaft abgelegt hatten, fragte der Schultheiß die Hauptleute von Mühlhausen und Basel, ob sie dem Begehren der rebellischen Bauern willfahren und die Stadt räumen oder Widerstand leisten wollten.

      »Fürwahr,« rief Oberst Zörnli von Basel, »es bedarf der Frage nicht. Ich stehe mit meinen tapfern Soldaten auf höchsten Befehl in dieser Stadt, und bekümmere mich wenig um die Frechheit jenes verfluchten Gesindels draußen. Wenn ihrer zehntausend wären, würden wir uns zu verteidigen wissen, so lange noch ein Haus steht. Lebendig soll mich niemand hinausbringen, nein, sondern stückweis muß ich von meinem Posten gerissen werden.«

      »Wohlgesprochen, Herr Oberst, ganz schön,« sagte der Schultheiß von Aarau. »Auch könnet Ihr darauf zählen, die Bürgerschaft werde dabei die Hände nicht müßig in den Schoß legen, wenn es gilt, einen Feind, wer er sei, von ihren Mauern abzuweisen. Allein mich bedünkt dennoch, Ihr sollet die Schnur nicht zu weit ausdehnen und vorher schauen, ob Eure tapfern Soldaten das Herz haben, wo Ihr den Willen. Denn es ist kein Geheimnis, und von ihnen rund heraus gesagt worden: sie mögen gegen die Bauern nicht streiten, viel eher gegen die Bürger. Somit hätten wir Aarauer Feinde in der Stadt und außerhalb der Stadt.«

      »Herr Oberst,« sprach der Junker Mey von Rued, »die Besorgnisse des Herrn Schultheißen scheinen gegründet; Mut und Treue Eurer Leute sind verdächtig. Ein großer Teil derselben ist der Sache der Rebellen zugethan. Wollet Ihr gutem Rate folgen, so schließet Euch an mich an, und führet Euer Volk auf das Schloß Lenzburg. Ich begleite Euch und übernehme alle Verantwortung. Aarau ist kein Platz, der sich halten kann. Ihr würdet Euch und die brave Stadt unnützerweise in Not stürzen. In das Lenzburger Schloß wagt sich das rebellische Geschmeiß nicht. Dort steht Ihr sicherer und mit den Schaffhausenern im benachbarten Brugg zu gegenseitiger Hilfe in Verbindung.«

      Der Oberst schüttelte den Kopf und rief: »Hier ist mein Platz. Hier sitze ich fest wie ein eingerosteter Nagel. Meine tapfern Leute denken alle nicht minder entschlossen als ich. Gelt, Herr Hauptmann Paul Bekel?«

      Mit einer Geberde, die genugsam andeutete, welcher Meinung er sei, indem er die Unterlippe, wie zum Hohn, aufwärts, die Augenbraunen tief und verdrießlich bis an die Nasenwurzel zog, antwortete der Hauptmann: »Ohne Zweifel, unsere Mannschaft ist so heldenmütig, wie irgend eine. Es ist nicht leicht ein Kerl darunter zu finden, der nicht seine Narbe trüge, die er als Chiltbube oder hinterm Wirtstisch durch ein Bankbein, oder durch ein Hagscheit, oder durch eine Weinflasche erhielt, die ihm am Schädel zersprang. Die Burschen aber sind von der Schule her schlechte Rechenmeister, halten 10 für 100, wollen nicht aus der Stadt, weil ihrer eine Million Bauern auf dem Felde wartet, und machen es wie einfältige Richter, welche die Gründe nicht nach dem Wert, sondern nach der Anzahl schätzen.«

      »Was?« rief der Oberst ärgerlich. »Wollen nicht aus der Stadt? Herr Hauptmann Paul Bekel, Ihr habt wider Eure . . .«

      Hier wurde er durch die plötzliche Ankunft eines Offiziers unterbrochen, der mit lauter Stimme meldete, daß die Soldaten samt und sonders zum Gewehre griffen; daß alles in größter Unordnung sei; daß die rebellischen Bauern draußen neue Verstärkung empfangen hätten und in großen Haufen gegen die Stadt andrängten.

      »Die sollen mit blutigen Köpfen linksum machen,« sagte der Oberst, »Seht Ihr, Herr Hauptmann Paul Bekel, wie es unsere Mannschaft von Basel und Mühlhausen meint? Auf, Ihr Herren, laßt uns den ungezügelten Mut der Besatzung auf die rechten Punkte leiten. Vorwärts! Wo ist der Sammelplatz unserer Soldaten, Herr Leutnant?«

      Der Offizier, der die Botschaft gebracht hatte, erwiderte: »Herr Oberst, nirgends und überall, wo sich jeder am sichersten glaubt; die einen unterm Stroh, die andern in Ställen und Kellern; viele laufen durcheinander, über die Aarbrücke hinaus. Keiner glaubt, daß er mit dem Leben davonkomme, und die meisten haben wirklich schon Hören und Sehen verloren. Ich bin in manchem Krieg und Streit gewesen, Herr Oberst, aber ich will zum Reitbesen der häßlichsten Hexe werden, wenn ich je solch Krethi und Plethi gesehen habe.«

      Der Oberst stand bei dieser Nachricht lange verblüfft da, während Hauptmann Bekel neben ihm drollige Gesichter schnitt.

      »Meine Herren, hier ist Verräterei im Spiele. Folgt mir!« sagte der Oberst und verließ den Saal. Mehrere Ratsherren folgten ihm.

      In der That sah es in den Gassen aus, als wäre der Feind schon durch alle Thore hereingebrochen. Die Soldaten liefen mit Sack und Pack vorüber, ohne ihres Obersten und seines Fluchens zu achten; die bewaffneten Bürger schrieen einander zu, nach welchem Thore man zur Verteidigung der Stadt eilen müsse. Weiber, rannten erbleicht und schreiend umher, ihre Kinder zu suchen, die vor den Häusern spielten. Indessen erfuhr man eben so bald, daß alles blinder Lärm gewesen, und die Bauern draußen keinen Schritt zum Angriff gethan hätten. Als Oberst Zörnli, begleitet vom Junker Mey und einigen Ratsherren, ebenfalls zur Aar eilte, um die Soldaten zur Rückkehr zu bewegen, fanden sie diese schon geschäftig, die Brücke abzubrechen oder in Brand zu stecken. Einen andern Haufen sahen sie mit Spießen und Gewehren um einen jungen Menschen versammelt, der, mit dem Rücken gegen eine der Wände, den Degen in der Faust, sich gegen alle verteidigen zu wollen schien. Es war der junge Fabian von der Almen.

      »Leistet mir Hilfe, Ihr Herren!« rief er den kommenden Offizieren zu. »Eure Leute wollen mich ermorden, weil ich mich ihnen widersetzte, die Brücke der Stadt unnützerweise zu zerstören.«

      »Nichts, nichts!« schrieen die, welche ihn umzingelt hielten. »Er ist ein Erzschelm, ein Spion, ein Rebellenbefehlshaber. Er muß hangen.«

      Der Oberst sprang dazwischen und rief: »Junger Mensch, wer Du auch bist, den Degen her, gieb Dich gefangen! Vier Mann und ein Feldwebel vor! Führt ihn fort zur Hauptwache! Wehe dem, der ihn antastet! Er steht unter meinem Schutze, bis ich ihn schuldig oder unschuldig weiß. Junger Mansch, auf mein Ehrenwort, gieb mir den Degen. Hast Du ein gutes Gewissen, behältst Du eine heile Haut. Ich bin der Oberst Zörnli von Basel.«

      »Herr Oberst,« sagte Fabian, indem er ihm den Degen überreichte, »ich vertraue Eurem Ehrenwort. Jetzt rettet die Brücke!«

      Einige Bewaffnete umringten den Jüngling, führten ihn aber, trotz aller Befehle und Drohungen des Obersten, statt zur Hauptwache der Stadt, über die Brücke hinaus in das Schützenhaus, indem sie schrieen: »Wir setzen keinen Fuß in die Stadt; da sind wir verraten, Die Bürger halten mit den Rebellen zusammen.« Der Oberst ließ geschehen, was nicht zu hindern war, und mußte froh sein, daß er, mit Beistand des Oberherrn von Rued und einiger Ratsherren, die Soldaten bewegen konnte, die Brücke unabgebrochen zu lassen.

      »Ihr Herren von Basel und Mühlhausen,« sagte Junker Mey nach gestilltem Lärmen, »wie viele Offiziere habt Ihr im Ganzen?«

      »Wir sind unserer siebenundzwanzig auf fünfhundert Gemeine,« antwortete einer der Hauptleute.

      »In dem Falle lebt wohl, Ihr Herren! Ich begebe mich nach Königsfelden in Sicherheit. Ich begreife, Ihr seid zu schwach, weil nur siebenundzwanzig Mann gehorchen, wo fünfhundert Befehlshaber sind.« Mit diesen Worten wandte sich der Oberherr von Rued gegen die Stadt hin.

      Der Oberst aber, indem er die bittere Pille verschluckte, murmelte einige Verwünschungen zwischen den Zähnen, suchte sein neues Hauptquartier zwischen den beiden Aarbrücken auf, ordnete vor dem Schützenhause die dort umhergelagerte Mannschaft, und erfreute sie mit der Nachricht, daß man Speise aus der Stadt herbeischaffen werde. Das Kriegsvolk, vom Schrecken genesen, überließ sich nun ungebunden seiner Fröhlichkeit. Man tanzte, würfelte, trank, spielte und pries die Bürger von Aarau, welche ihre Thore gegen die Rebellen selbst bewachten und dennoch den abgezogenen Beschützern Nahrungsmittel zuführten, Aber die Lust verstummte plötzlich, als gegen Abend, von Westen, aus der Ferne der Donner der Lärmkanone des Schlosses Gösgen erscholl, und das Gerücht ging, es wären bei zwölfhundert Rebellen des Solothurner Gebietes auf dieser Seite des Flusses im Anzuge. Hastig wurde aufgepackt, Kriegsrat gehalten und der Rückzug in die Dorfschaften der Ämter Schenkenberg und Biberstein angeordnet, Umsonst verlangte Fabian Untersuchung oder seine Freilassung; der Oberst nahm den Jüngling als Kriegsgefangenen