Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


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zum tauben Ohr eines Waldbaches, der über die Felder hinausbricht, so würde ich raten, auf meine Kunst am wenigsten zu rechnen, sondern lieber auf der Stelle gegen die künftigen Hieb-, Schuß und Stichwunden das einzige und wahre Schutzmittel zu suchen.«

      Addrich, der Fabians Hand noch in der seinigen hielt, zog ihn an derselben zu sich über den Tisch herüber, unzufrieden mit der Rede des Jünglings, die neuen Lärm erregen konnte.

      »Sappermost!« schrie ein langer Kerl, dem ein gewaltiger Schnauzbart und ein paar breite Narben ein fürchterliches Ansehen gaben. »Mich soll der Moloch vor Euren Augen in zehntausend Stücke zerfetzen, wenn der Kamerad nicht recht hat. So lange ich meine Gemskugel im französischen Regiment bei mir trug, konnte keine Batterie mir etwas anhaben. Wir haben aber jetzt den rechten Mann unter uns. Mooser, versorge uns alle gut. Wir wissen, Du bist der Rechte; Du kannst es.«

      Sämtliche Anwesende richteten ihre Blicke mit Neugier und zum Teil mit heimlichem Grausen auf Addrich, der allen, wenn nicht von Person, doch dem Namen nach durch das Gerücht bekannt war.

      Mit finster zusammengerunzeltem Gesicht erwiderte Addrich dem neuen Redner: »Ich verstehe Dein Gedolmetsch nicht.«

      »Alle hunderttausend Teufel, Mooser, verstelle Dich nicht,« schrie der abgedankte Soldat. »Wir kennen Dich wohl. Du kannst, wenn's sein muß, aus dem Mantel fahren, wie in einem Segelschiff; weißt die Passauer Kunst meisterlich auszuüben, daß man in Scharmützeln oder Treffen gefroren und ganz eisenfest gegen den Hieb steht, selbst wenn der Degen vorher in warmes Brot gesteckt worden, oder vom Stichblatt bis zur Spitze ganz vergoldet gewesen wäre. Oder lehre uns nur – das kannst Du gar wohl – vierundzwanzig Stunden vor'm tötlichen Gewehr gesichert zu bleiben. Das ist ein Kapitalstück in Schlachten, täglich drei freie Schüsse zu haben, daß, ohne zu zielen, die Kugel läuft, wohin man denkt, wäre auch nicht zu verschmähen.«

      Addrich unterbrach den Schwätzer, indem er rasch, wie im Zorn, zu ihm hintrat, die Hand erhob und mit bedeutungsvollem Tone rief. »Schweige! Davon zu anderer Zeit, Du alter Stocknarr! Solche Dinge werden nicht in offener Landsgemeinde abgethan.«

      Der Soldat verbeugte sich, ohne ein Wort zu sagen, mit halbem Leibe sehr ernsthaft gegen Addrich, aber seine Geberde verriet Pfiffigkeit, und daß er den Wink wohl begriffen habe. Indessen wandte sich Addrich wieder zu Fabian mit der Frage: »Wohin eigentlich willst Du?«

      »Mein Weg ging zu Dir in's Moos,« sagte der Jüngling.

      »So habe ich ihn Dir um die Hälfte verkürzt,« versetzte Addrich. »Begleite mich nach Aarau. Wir wollen dahin voraus, ehe der ganze Zug geht.« Mit diesen Worten begaben sich beide durch das Menschengedränge aus dem Zimmer. Die Leute wichen, geräumige Gassen bildend, scheu zurück, und sahen dem alten, finstern Schwarzkünstler aufmerksam nach, indem einige dabei den Kopf schüttelten, andere sich mit dem Finger verlegen hinter'm Ohr kratzten, wieder andere sich gegenseitig bedenklich zunickten.

      21.

       Die Unterredung im Gönhard.

       Inhaltsverzeichnis

      Während im Wirtshause von Gränichen das Gespräch über die beiden Abgegangenen fortgesetzt wurde, wanderten diese zum Dorfe hinaus durch die feuchten Wiesen nach Suhr. Man bemerkte überall waffentragende Bauern, einzeln und truppweise, in Bewegung. Jedoch achteten die beiden wenig darauf, denn sie waren mit Gesprächen und ihren Gedanken allzusehr beschäftigt. Addrich, durch Erfahrung und Alter besser berechnend, als der Jüngling, verschob seine wichtigen Fragen und Angelegenheiten bis zuletzt, während hingegen dieser das zuerst vorbrachte, was zu erfahren es ihn am heftigsten drängte. Sobald man über Eleonorens Krankheit gesprochen hatte, sagte Fabian: »Also hat Deine Nichte gestern keinen fröhlichen Geburtstag gefeiert?«

      »Allerdings! Es fehlte nicht an Geschenken, überbracht vom Morgen bis zum Abend; schöne Blumen zum Beispiel, und ein plaudernder Staar, der aber wieder davon flog . . .«

      »Und nicht wieder gefangen wurde?« unterbrach ihn schnell Fabian.

      »Alles Deine Schuld! Du kamst zu meinem Hause, wie ein Dieb in der Nacht, nur mit dem Unterschiede, daß Du nicht nahmst, sondern brachtest. Aber meinen treuen Hund hättest Du nicht töten müssen.«

      »Also wurde ich von Renold erkannt? Er hetzte die Bestie; ich mußte mich meines Leibes und Lebens wehren.«

      »Auch Deine Schuld! Wenn Du das Sonnenlicht scheuest, poche an in der Nacht, Dir wird im Moos aufgethan.«

      »Ich konnte mich nicht verweilen. Gestern sollte ich schon vor Tagesanbruch in Aarau sein; dafür hatte ich das Ehrenwort zum Pfande eingesetzt. Der Sprung über ein paar Berge war ein geringer Umweg für Epiphanias Geburtsfest. Und dazu der verlobte Bräutigam im Hause, der noch nie mein Freund gewesen. Also in der That, Addrich, sie ist Renold's Braut?«

      »Ihm erst halb und halb anverlobt.«

      »Möge er ihr wenigstens den halben Himmel zutragen, den sie ihm ganz giebt. Ich kenne ihn nicht, diesen Renold, doch Epiphania liebt ihn. Sie ist mit ihm in die Einsamkeit der Berge gewandelt, wie ehemals mit mir, ohne an seiner Seite den schneidenden Wind der Höhen zu empfinden; in die Verborgenheit der winterlichen Gebüsche, die seine Gegenwart ihr zum Frühlingsgarten verwandelte; er hielt die Heilige an seiner Brust . . . O ich weiß alles, alles habe ich erfahren, alles. Ihre Liebe entsündigt und adelt jeden vor Erde und Himmel; und wäre er ein Bösewicht gewesen, durch sie wird er rein wie ein Engel. Ich kenne ihn nicht genau genug, diesen Renold. Vielleicht lag in seiner Natur nichts Feindseliges, als nur gegen mich, oder ich sah sein Thun mit den Augen der sich selbst nicht bewußten Abneigung an. Vielleicht würde ich ihn lieben, wenn ich ein Weib wäre, denn wahrhaftig! er ist schön. Einem gefälligeren Manne bin ich noch nicht begegnet. Nur schien er zuweilen allzu geckenhaft-zierlich und fremd, sowohl im Ausputzen seines Leibes, wie in den Einkleidungen seiner Gedanken, in gesuchten, geschwülstigen Worten. Das aber sind Kleinigkeiten.«

      »Sprich ehrlich, Fabian. Liebtest Du vielleicht Epiphania ernsthaft?«

      »Ob ich? . . . Welche Frage! So lange ich atme . . . doch deute meine Worte nicht falsch.«

      »Du hattest also keine Absicht auf sie?«

      »Keine, als die der Bruder haben kann. Bei ihr ist für mich alles anders, als bei andern Weibern, aber keine ist ihr zu vergleichen, wenn sie auch alle schöner wären. Ihr gegenüber verstummt die Neigung und Geschlechtsbegierde. Ich hätte mich der Sünde geschämt, ihre Hand zu begehren. Sie war und ist für mich nicht ein weibliches Wesen, sondern sie ist und war mein Leib, mein Blut. Hast Du je gehört, daß ein Mensch sich selber begehre, obgleich er nicht aufhört, sich zu lieben?«

      Dies Gespräch spann sich so lange fort, als der Weg nach Suhr dauerte. Nahe vor dem Dorfe aber wandte sich Addrich mit seinem Begleiter links durch die Wiesen gegen die langen, finstern Waldhügel des Gönhard, um nicht in das Getümmel der Landstürmer zu geraten, die sich im Dorfe versammelten. Fabian hatte indessen, was er zu wissen wünschen konnte, erfahren: die Sendung des Junkers Mey von Rued, Epiphania zu entführen; die Sendung des Weibes von Seon mit den köstlichen Geschenken des Unbekannten, und dem Auftrage desselben, Epiphania zu bewegen, nach Aarau zu ihrem Paten zu gehen.

      »Nun denn,« sagte Addrich, als sie einen sandigen Fußweg zwischen den Tannen am Berge hinanstiegen, »die Zeit wird's offenbaren, warum man aller Orten geschäftig ist, mir das Kind zu entreißen.«

      »Damit Du die Schuldlose nicht in Dein trauriges Schicksal verwickelst, Addrich, denn Du wirst für den Rädelsführer dieses Aufstandes im Aargau gehalten. Darum war ich auf dem Wege ins Moos. Ich konnte es nicht, wollte es nicht glauben. Deine Anwesenheit in der Mitte der Rebellen von Gränichen, Deine kriegerische Rüstung, Dein Ansehen unter den wilden Menschen dort haben mich unglücklicherweise eines anderen belehrt.«

      »Unglücklicherweise?« rief Addrich erstaunt und betrachtete den Jüngling, ob er scherze. »Woher kommst Du? Aus den Kerkern in Bern? Haben die den letzten Funken des Mannesmutes in Dir ausgelöscht, daß Du sogar der Fürsprecher