Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


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verkündete den Zorn der heimgekehrten Eigentümerin. Die Bauern bemächtigten sich, unter lautem Geschrei, der Personen.

      »Was soll's hier geben, Ihr Männer?« schrie Fabian von der Almen entrüstet. »Ist das ehrlicher Kriegsbrauch, Reisende auf der Straße anzufallen und wehrlose Männer gefangen zu nehmen? Oder haben wir die Gestalt der Landstreicher und Zigeuner, daß Ihr uns festhaltet? Ich bin Schweizer, wie Ihr alle, vom Berner Oberlande. Scheine ich Euch verdächtig, so bin ich allezeit bereit, Rede und Antwort zu geben. Jener Herr aber ist ein Ausländer, der mit unsern Händeln nichts zu schaffen hat; darum lasset ihn mit seinen Leuten unangetastet und in Frieden seines Weges ziehen. Ich hoffe, Ihr werdet ihn nicht ausplündern und ihn nicht zwingen, daß er in fremden Ländern über uns Schweizer klage, als wären wir ungastlich und nichts als Räuber und Gauner.«

      »Was welschet der Milchbart!« rief einer der nächsten Bauern, während die einen um ihn her jauchzten, andere zankten oder sangen. »Gebt's ihm auf den gelben Schnabel. Seht Ihr's ihm nicht am Schwanze an, wie das Vöglein heißt? Ein Stadtspion ist es, der Kundschafterei treibt.«

      »Werft den Schelm zu Boden!« brüllte ein anderer. »Wir . . . wir haben den größten Sieg erlebt, und die Baseler und Mühlhausener zum Lande hinausgejagt; nun soll uns der Strolch da nicht Gauner und Räuber heißen.«

      »Nichts!« schrie ein dritter dazwischen. »Hier ist ein gutes Vogelnest ausgehoben. Daheim wollen wir die Alten und Jungen ordentlich rupfen, ehe wir sie braten Fort! Wir bringen sie alle nach Olten, da muß sie der Untervogt von Buchsiten beichten lassen.«

      Während des Tobens der Menge und Fabians Widerstand, von welchem ein großer Teil der Bauern gar nichts hörte, verhielt sich der Herr von Groenkerkenbosch, welchem man den prächtigen Dolch aus dem Leibgürtel gerissen hatte, mit unbefangener Miene, wie ein gleichgültiger Zuschauer. Er drehte sich endlich gegen Fabian und sagte: »Wie es scheint, müssen wir also wider Willen einander doch noch Gesellschaft leisten. Wehret indessen diesen guten Leuten nicht, zu thun, was sie für Pflicht halten, und erbittert sie nicht mit vergeblichen und trotzigen Worten. Daß Ihr Euch meiner, als eines Fremden, annehmen wollt, macht Eurem Schweizergemüt alle Ehre. Sorget aber lieber für Euch selbst, denn es ist keine Gefahr für mich vorhanden.«

      Fabian erwiderte ihm nichts, sondern haderte mit den Bauern fort, die nun auch Don Nardos Jäger und Mohren, beide ihrer Waffen beraubt, und auch die Pferde herbeiführten. Ihr Lärmen vermehrte sich mit ihrer Anzahl, denn es kamen immer neue Haufen herzu. Es bestanden diese Leute meistens aus jenen Solothurnern, die am vorigen Tage bei Erlisbach und unter der Schafmatt den Rückzug des Obersten Zörnli bewacht hatten. Alle glühten noch wein- und siegestrunken, und umstanden nun neugierig die Reisenden, deren ausländische Trachten ihre Aufmerksamkeit in hohem Grade beschäftigten, so wie die schwarze Haut des Mohren noch mehr ihr Erstaunen erregte.

      »He!« schrien einige plötzlich, indem sie auseinandertraten, um Neuankommenden Platz zu machen. »Da bringen sie abermals einen Gefangenen. Laßt uns nur noch mehr suchen, Ihr Männer; der Berg hier wimmelt von Schelmen und Stadtleuten.«

      »Den fettesten Bissen haben wir gefangen,« rief mit stolzer Lustigkeit einer der Ankommenden. »Er hat gewiß in seinem ganzen Leben heute zum ersten Male über seinen schönen Wanst geflucht, als er uns mit ihm entwischen wollte.«

      Es war von keinem andern als vom würdigen Meister Heinrich Wirri die Rede, der sich eben den Schweiß vom Gesicht trocknete und aus der Tiefe seiner Brust Atem schöpfte. »Wie geht's, Meister?« redete ihn Don Nardo an. »Ihr brachet ohne Nutzen heute so früh auf.«

      »Es geht, wie es kann,« erwiderte seufzend der Spielmann und zuckte die Achseln, indem er die Versammlung ringsum mit den Augen musterte. »Es geht, wie es mag, und geht doch nie recht. Ich merke nun wohl, mit Allgemach kommt man auch weit. Meinethalben, der Teufel ist im Lande los, daß niemand weiß, wo aus noch ein; mein Lebtage habe ich solche verkehrte Wirtschaft nicht gesehen. Sind die Menschen nicht närrisch geworden, so muß der Jüngste Tag unterwegs sein.«

      »Schweig, Du spritzende Blutwurst!« fuhr ihn einer der Bauern an. »Oder wir warten Dir anders auf. Wovon wärest Du so feist, wenn Du nicht aus des Landvogts Schüssel unsere Hühner und Eier gegessen hättest? Nun sind wir endlich Meister, und Ihr Stadtleute sollt schweigen und Respekt vor Unsereinem haben, sage ich Euch.«

      »Ihr Herren reitet jetzt auf gar hohen Gäulen,« antwortete der Meistersänger, »aber sorget, daß Ihr nicht vom Pferde auf den Esel kommet. Was meine Wenigkeit betrifft, so habt Ihr für Euren Beutel einen Fang gethan, der Euch gereuen wird. Ich bin kein Ratsherr, sondern von Profession ein Spielmann; und wer mir etwas nehmen will, muß mir's erst bringen. Schlachtet also keine Katze für einen Hasen. Aber, Ihr Herren, ich rate Euch, machte überhaupt glimpflich und spannet den Bogen nicht zu straff. Laßt mich gehen, denn ich habe Euch nichts zu leide gethan.«

      »Du Fettklumpen, wir wollen Dich zum braten, nicht zum raten,« rief der vorige Bauer. »Heute spielen wir den Städtern Trumpf aus und sie müssen daran glauben. Das Recht ist auf unserer Seite und wir sind unserer Hunderttausend. Drum schweige!«

      »Ich glaube, ich darf den Schnabel gebrauchen, wozu er mir gewachsen ist, so gut, wie Ihr,« antwortete der Spielmann.

      »Still, Ihr Leute, Frieden! Keinen dieser Gefangenen mißhandelt! Führt sie ab nach Olten!« rief ein wohlgekleidetes, munteres, hageres Männchen, dem alle Anwesenden Platz machten. Es war der Untervogt von Buchsiten. »Und Ihr, guter Freund,« sagte er, zum Meister Wirri gewandt, »behaltet Eure Sprüche im Sack; sie werden darin nicht fauler, als sie schon sind, und Ihr könnet keinen von uns damit weder belehren noch bethören.«

      »Freilich nicht,« entgegnete Wirri. »Wenn zwei Esel einander unterrichten, wird keiner ein Doktor dabei. Ich verlange aber nichts, als was gerecht und billig ist. Ich bin ein Ehrenmann. Warum schleppt man mich mit Gewalt fort? Wenn Ihr, Herr Freund, hier etwas mehr zu befehlen habt, als ich, so gewähret Gerechtigkeit. Ich gehe nicht nach Olten; nicht von der Stelle.«

      »Aber auch nicht nach Aarau,« entgegnete der Untervogt mit strenger Geberde.

      »Hängen wir ihn also unterdessen zwischen beiden Städten an einen Baum auf,« rief der vorige Bauer.

      »Es ist leider kein Ast stark genug, die Last zu tragen,« versetzte der Untervogt. Die Versammlung lachte aus vollem Halse und schrie:

      »Doch, doch!« . . . Der Meistersänger erblaßte, schielte nach einer hohen Eiche in der Nähe und trat seinen übrigen Unglücksgefährten näher, als hoffe er von ihnen auf Schutz.

      »Meister, seid klug,« sprach der Niederländer zu ihm. »Suchet lieber Eure Gnade, als Euer Recht.«

      »Ja, ja!« versetzte der erschrockene Spielmann. »Ein Quentchen Gunst gilt allezeit mehr, als der schwerste Zentner Gerechtigkeit.«

      »Marsch!« rief der Untervogt von Buchsiten, und der ganze Zug setzte sich, unter Trommelschlag, Jauchzen und Johlen, in Bewegung.

      Die Bauern hielten einen triumphierenden Einzug in das Städtchen Olten. Hier wurden die Gefangenen an verschiedene Orte verteilt. Fabian bekam ein kleines, dunkles Gemach mit vergitterten Fenstern; vor der Thür eine Wache und einen Laubsack zum Nachtlager. Das Schicksal seiner Gefährten blieb ihm unbekannt. Am folgenden Morgen, als er durch's Fenster niederschaute, sah er mit nicht geringer Verwunderung den Herrn von Groenkerkenbosch, begleitet von seinem Mohren und Jäger, frei zur Stadt hinaus reiten.

      »Glückliche Reise!« rief Fabian ärgerlich. Don Nardo sah aufwärts, nickte, ohne eine Miene zu verziehen, grüßend, und machte mit der ausgestreckten Hand eine Bewegung, wie zum Abschiede. Er verschwand.

      Der Jüngling zweifelte keinen Augenblick daran, daß auch seine Freilassung schnell erfolgen würde. Er irrte aber sehr; man bewachte ihn vielmehr von Tag zu Tag strenger. Sein Wächter sprach von aufgefangenen Kundschaftern der Städte, auch wie einige dieser Leute aufgehangen worden wären, und ließ, als guter Katholik, dem Fabian merken, er thue wohl, sich von der lutherischen Ketzerei zum wahren Glauben zu bekehren, um wenigstens ein seliges Ende zu nehmen.

      28.