Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


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Epiphania?«

      »Es ist das, was der Mensch wie seinen Erbfeind verfolgt und was ein Gott im Himmel nicht reif werden läßt. Es ist die Tugend, die mit Spott und Schanden betteln muß; die Freiheit, welcher man Kerker baut; die Wahrheit, der man Scheiterhaufen anzündet, und das wehrlose Recht, das man mit Tortur, Rad und Galgen stumm macht. Gideon, ich weiß wahrhaftig nicht, wozu die Welt da ist, wenn in ihr nichts besseres vorhanden ist, als sie selbst; oder wenn mein Wille das heiligste darin wäre. Aber möge jenseits des Lebens etwas anderes zu erwarten, oder mit dem letzten Pulsschlag alles zu Ende sein: ich will hochstehen, höher als Schöpfung und blindes Schicksal. So bin ich, wo nichts höheres ist, der Gott, und heiliger als alles Dasein.«

      »Mit Gunst!« rief Renold, und starrte dem Alten erschrocken und forschend ins finstre Gesicht. »Ich verstehe Dein Kauderwelsch nicht. Spricht der Kirschgeist oder noch ein böserer aus Dir? Das klang mir halb wie Tollheit, halb wie Gotteslästerung. Bist Du verdrießlich, Vater Addrich, so fluche lieber ein paar Millionen Teufel zusammen. Das ist Deiner Seele gesunder, als solche Lästerung. Zwei Kannen Branntwein lassen sich eher ohne Nachteil nehmen, als ein einziges Tröpfchen Gift. Die Krankheit Deiner Tochter macht Dir freilich schweres Herzeleid, doch verzweifle nicht.«

      »O nein, was sagst Du? Das alte Herz ist bald verblutet. Ich habe die Welt aufgegeben, darum will ich frei handeln. Ich bin nur noch ein Gespenst; Gespenster freuen sich nicht mehr an vergoldeten Nußschalen und fürchten nicht mehr die Weibel, Henker, Scharfrichter und übrigen Vogelscheuchen der Obrigkeit,«

      »Mit Gunst, Addrich, Du hast Deine schwarze Stunde. Ich vermag nicht länger mit Dir allein zu reden. Laß uns ins Haus zurückgehen. Befiehl Epiphania, die Laute zu schlagen, damit sie den bösen Geist Sauls vertreibe, wie weiland David mit der Harfe.«

      »Wie Du es versteht, armer Tropf! . . . Nie war der Geist heiliger in mir, als in diesem Augenblicke. Doch genug davon. Ich irrte mich und mag keine Perlen vor die Säue werfen. Was wolltest Du von mir?«

      »Hast Du es vergessen? Die Hand Deiner schönen Nichte. Sie ist die Bedingung, unter welcher ich Dir das Hazardspiel ausspielen helfe. Du wirst mich in diesen Wirren gebrauchen können. Es sind unter den aufständischen Landleuten wenig gediente Soldaten und Männer von Fach. Die Herren Berner hatten jederzeit die Vorsicht, bei den Milizen ihre Offizierstellen nur Söhnen der Stadtpatrizier zu übertragen, damit die Mannschaft ohne Führer niemals etwas für sich selbst leisten könne. Also, Addrich, laß mich Deinen Entschluß vernehmen. Jetzt ist der Zeitpunkt, in welchem Du über mich entscheidest. Widersetzest Du Dich meiner Leidenschaft, so fahre wohl. Wenn es Schlappen setzt, so bin ich nicht verpflichtet, die Scharten auszuwetzen.«

      »Gideon, thue was Du willst. Es ist Dir bekannt, daß ich nicht wider Dich bin. Nimm meinethalben Epiphania zum Weibe, wenn sie Dir nicht einen Korb giebt. Sie ist Herrin über ihren Leib, und du wirst nicht begehren, daß ich sie Dir bei den Haaren zuschleppe.«

      »Die Hand darauf, Vater Addrich! Ich verlange in diesem Geschäft nichts als Deine Neutralität; nicht einmal Deine Mitwirkung ist zum Abschluß nötig. Ich halte die schöne Festung schon lange eng eingeschlossen, und sie ist zur Übergabe nicht abgeneigt. Doch forderte sie bisher immer Deine Zustimmung, als zum Abschluß unseres Vorhabens unentbehrlich.«

      »Bist Du des Mädchenherzens schon so sicher, Gideon? Hüte Dich! Du solltest die Weiber kennen.«

      »Nun ich im Besitze Deines Wortes bin, guter Addrich, nun Du mein Oheim sein willst, soll Deine Nichte mein Weib werden. Sie leistet keinen Widerstand. Ich weiß es, Epiphania liebt mich; ich habe ihr das Geständnis schon siegreich von den errötenden Wangen geküßt.«

      »Bist Du wirklich soweit mit ihr gekommen? Sie schien Dich immer zu meiden und flieht, wo sie Dich erblickt.«

      »Ein fliehender Feind ist nicht gefährlich, Addrich. Ich kenne die Frauen.«

      »Jetzt aber ist's für Dich nicht an der Zeit zu Liebeshändeln. Du scheinst zu vergessen, daß vielleicht heute noch der Landsturm aufbricht. Stelle das Getändel auf die Seite, Schwert und Speer her! Epiphanias Brautgemach wird sich Dir nicht eher öffnen, als bis unsere Fahnen siegreich den Stalden von Bern hinabziehen und durchs gesprengte Thor dort hinein flattern.«

      »Vater Addrich, das ist des Soldaten Freude und ein lustiges Vorspiel zur Hochzeit. Ich denke, Bern soll uns preisgegeben werden, und ich will mir so viele Schlägel und Fässer mit köstlichem Rheinfall und Malvasier aus der Champagne heimschleppen. daß ich noch zur silbernen und goldenen Hochzeit meine Gäste damit erfreuen kann.«

      »Ich wollte, Du brächest dort einen Keller auf, der einen viel edleren Schatz verwahrt, als Rheinfall und Malvasier. Wenn schon der brave Fabian von den Almen Dein Nebenbuhler war, verdient er doch unser Mitleid. Den ganzen Winter durch im Kerker zu sitzen und aus welchem Grunde? Weil er einem stolzen Grobian von Landvogt nicht zum Schand- und Sündendeckel dienen wollte und ihm ein paar Maulschellen versetzte.«

      »Du hältst den Fabian noch immer für einen heiligen Engel, wiewohl er ein loser Geselle ist, der allen Schürzen nachlief. Ich rede nicht gegen ihn, weil er seine Netze nach meiner schönen Braut ausgeworfen hatte. Solch einen Stocknarren von Rival fürchtet unsereiner nicht, Ich habe andere Majestäten gesehen. Dieser Prahlhans hat sein Schicksal wohl verdient. Es hieß, man werde ihn auf die Galeeren schicken. Das Weib hatte in den Wehen den Ärzten ausgesagt, er sei der Mann, der ihr den Jungfernkranz vor der Zeit abgenommen habe; vergiß das nicht, Addrich, vergiß das nicht! Und der unverschämte Bursche wollte darauf das Kind dem Landvogte aufhängen«

      »Sprich, wie Du willst, Gideon! Ich verbürge mit meinem grauen Kopfe, Fabian von den Almen ist unschuldig. Er war allezeit ein gutes, ehrliches Kind, aufrichtig, wahrheitliebend, mäßig und züchtig, jedoch auffahrend, wie Schießpulver, wenn ihm ein Naseweis mit der Lunte zu nahe kam . . . Hast Du mir nichts weiter zu sagen, Gideon?«

      »Unser Vertrag ist abgeschlossen; ich bin vollständig zufrieden und weigere mich nicht, nun zu allen Deinen Unternehmungen die Hand zu bieten.«

      »So laß uns zu den Gästen zurückkehren; wir müssen mit den Minuten haushalten,« sagte Addrich, wandte sich rasch und ging mit großen Schritten aus dem Walde zum Hause zurück, während Renold langsamer zu folgen schien.

      12.

       Das Angebinde.

       Inhaltsverzeichnis

      »Addrich, sieh! Sieh, Addrich!« rief dem Alten ein junges Mädchen zu, welches ihm, wie die Göttin der Freude, über die Schwelle der Hausthür entgegenflog, die edeln Mienen im Entzücken verklärt, die Arme halb erhoben und ausgebreitet, in der Rechten ein krystallhelles blitzendes Trinkglas, in der Linken einen Blumenstrauß haltend.

      »Guten Morgen, Faneli!« erwiderte der Alte freundlich.

      »O Dein Wunsch kommt zu spät, Addrich!« rief die Vergnügte. »Der Morgen ist schon gut und schön, mehr als einer, und der allerschönste, seit ich atme. Habe ich's nicht vorhergesagt? Es ist der achtzehnte März, eine wunderheilige Zahl; denke, in der 18 liegen sechsmal 3! Und heute ist mein Geburtstag, Addrich, ich trete in mein achtzehntes, und dreimal drei ist doppelt in diese 18 gelegt, ja doppelt! Ach, für ihn auch eine heilige Neun! Siehst Du, was ich trage?«

      »Ein Angebinde,« sagte Addrich lächelnd. »Aber jauchze nicht zu laut, er ist in der Nähe; die Jungfrau soll nicht verraten . . .«

      »In der Nähe!« rief Epiphania, sprang zum Brunnen, legte Glas und Blumen daneben, kehrte ebenso schnell zum Alten zurück und sagte mit zitternder, leiser Stimme: »Wo denn, Addrich, wo ist er? Warum darf er sich nicht zeigen? Ist er dem ungerechten Gefängnis entronnen, ein Flüchtling? Rede doch!«

      »Ich meine den Hauptmann Renold. Er ist nicht weit von uns im Walde,« erwiderte Addrich.

      »Nein, nein, nein!« sagte Epiphania mit Heftigkeit und Zuversichtlichkeit, doch leise, indem sie beide Hände auf Addrichs Arm drückte. »Mein armer Bruder lebt in der Nähe. Er ist frei! Er und kein anderer hat