Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


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das Habermus und die zarten Fleischscheiben, welche sie für ihn aufgetragen und die in ihrem glänzenden Weiß und Rot wie Lilien und Rosen lachten, nahmen seine Blicke nicht minder in Anspruch, nachdem sich die junge Dienerin mit einem leisen: »Daß es Dir wohlbekomme!« schnell durch die Thür entfernt hatte.

      Da erst, als er das Ungestüm seiner irdischen Bedürfnisse angesichts der leeren Schüsseln hinlänglich befriedigt fühlte, kam er mit seinen Gedanken auf die kleine Hebe zurück, deren gefälliges Äußere mit der ungelenken Art einer rohen Bauernmagd durchaus nichts gemein hatte. Je länger er sich das Bild der schlanken, beweglichen Gestalt vergegenwärtigte, desto deutlicher wurde es ihm, daß dies die unglückliche Pate des Dekans Nüsperli gewesen sein müsse, die zu entführen er hierher gekommen war. Er machte sich gerechte Vorwürfe, nicht schon die Einleitung dazu getroffen zu haben.

      Nach einem Stündchen öffnete sich abermals die Thür und dasselbe Mädchen erschien, um den Tisch abzuräumen. Er säumte nicht, mit der anfangs Schüchternen ein Gespräch anzuknüpfen und sie genauer zu betrachten.

      »Warum denn,« sagte er zu ihr, »warum denn bist Du hier, und weshalb bleibst Du? Gewiß wohnt hier der Addrich selbst? An Deiner Stelle wäre ich längst über alle Berge. Man ist ja in diesem unheimlichen Walde wie von Gott und den Menschen verlassen. Giebt Addrich guten Lohn?«

      »Nichts!«

      »Nun denn, nichts ist sehr gut für die Augen, aber nicht für den Magen. Ich begreife nicht. warum Du Dich halten lässest?«

      »Ich bin eine arme Waise, die Addrich aus Mitleid aufgenommen hat. Wohin soll ich gehen? Gern wäre ich, wenn auch bloß ums liebe Brot, irgend anderswo.«

      »Wohin? Ei nun, nach der Stadt zum Beispiel; nach Aarau, wo ich wohne. Ich bin Spielmann, und verdiene mein blankes Stück Geld; bin in allen guten Häusern angesehen. Bei Kindtaufen, Namenstagen, Hochzeitsfesten wird mein Sinnspruch reich belohnt und noch vieles nebenbei gewonnen. Hätte ich eine brave Hausfrau, ich säße wie die Perle im Golde. Du weißt wohl und ich muß es bezeugen, Junggesellenwirtschaft macht nicht reich; und regnete das Gold zum Dache herein. Wenn wir beide, zum Beispiel, mit einander hausen würden, ließ ich mir den Kummer nicht über das Knie wachsen. Wir hätten vollauf und noch für das dritte genug.«

      »Du redest mir gar wunderlich und ich verstehe Dich wahrlich nicht,« sagte das Mädchen, und sah ihn mit lächelnder Neugier und Augen voller Unschuld an.

      »Ich verstehe mich doch sonst aufs Reden, und Husten und Liebe lassen sich eben nicht gut verbergen. Also, kurz und rund herausgesagt: ich bin entschlossen, wenn Du mit mir gehen willst. Wollte ich in der Stadt meine Hand zum Fenster hinausstrecken, so hinge an jedem Finger ein Mädchen, das meine Braut sein möchte. Aber siehst Du, Deinetwegen bin ich hergekommen in dies abgelegene Nest. Ich hatte sogar einen Brief für Dich vom Junker Mey von Rued, aber das Diebs- und Rebellenpack in der Hammerschmiede hat ihn mir weggenommen. Wir sollten beide mit einander nach Liebegg flüchten.«

      »Gehe mir doch mit Deinem Geschwätze,« sagte das Mädchen und hüpfte lachend am Tisch umher. »Was weiß Junker Oberherr vom armen Änneli hier?«

      »Änneli?« murmelte der Meister Wirri sehr betroffen. »Da klopfte ich an die unrechte Thür. Alter Esel! Laß Dir die Ohren stutzen, wenn Du wie ein Füllen aussehen willst.«

      »Dachte ichs doch gleich, als ich Dich mit Addrich ins Haus treten sah, Du kämest von Aarau; die Herren von Aarau machen sich gern lustig.«

      »Ich mit Addrich?« rief der Meister erschrocken. »Was sagst Du, Änneli? Der Alte, der mit den Augen wie durch rote Frieslappen sieht, ist Addrich?«

      Das Mädchen tanzte und lachte wie närrisch und sagte: »Du mußt Dich besser verstellen. Thue nur, als wenn Du ihn nicht kenntest; mir machst Du nichts weiß.«

      »Da bin ich wieder garstig angerannt!« murmelte der Spielmann. »Versehen heißt auch verspielt; es ist heute ein Unglückstag. Der Teufel hat mich in die Falle gelockt und ich bin gefangen. Sage mir, herziges Änneli, man lebt übrigens doch im Hause hier, denke ich, mit Gottesfurcht, in Frieden und Einigkeit beisammen?«

      Sie zuckte die Achseln und machte seitwärts ein furchtsames Gesicht, indem sie halblaut flüsterte: »Weiß ich denn, was hier vorgeht? Ich bin seit Weihnachten im Hause und kenne es nicht. Es kehrte mancher ein, den ich nicht wieder gehen sah; und mancher ging, der nie wieder kam. Es wird mir oft bange ums Herz, denn hier ists ganz anders, wie bei anderen. Man darf nicht alles hören, nicht alles sagen. Könnte ich in christlicher Leute Dienst kommen, zehn Stunden weit lief ich barfuß über den Schnee dahin.«

      »Hältst Du denn die Leute hier im Thale nicht für christliches Volk, herziges Änneli? Sprich doch offenherzig und unverblümt. Komme ich je wieder nach Aarau, mußt Du im besten Hause dort Kindsmagd werden. Dienst um Dienst! Also nicht christlich wären sie, meinst Du?«

      »Ach, weiß ichs? Erstlich hat Addrich die Kirche nicht gesehen, glaube ich, seit er getauft ist. Er denkt alle Tage anders und thut alle Tage anders. Die Leute sagen ihm gar zu böse Dinge nach. Wäre Addrich nicht so reich, so schlösse man jede Thür vor ihm, und er würde mit seiner Klugheit keine Katze vom Ofen locken.«

      »Allerdings, aber ein silberner Hammer zerbricht eiserne Pforten und goldene Schlüssel öffnen jedes Schloß. Meinethalben, Änneli, so wars in allen Zeiten; doch hunderttausend Jahre dauerndes Unrecht ist darum während keiner Minute Recht. Sage mir doch, sind sämtliche Bewohner dieses Hauses von gleichem Schlage? Es versteht sich, Dich ausgenommen. Es giebt hier eine Jungfrau, genannt Epiphania?«

      »Eine seelengute Tochter ist sie, so gut! . . . aber . . . doch ist's mit ihr nicht ganz richtig. Ich habe sie im Sommer auf den Wiesen den Hexenringen nachgehen sehen. Sie hält's mit Kobolden, Geistern und Schrättelein. Wenn sie zuweilen von ihren geheimen Dingen redet, macht sie mir Seelenangst, denn sie ist gut, spricht wie ein Buch und könnte mich doch wohl einmal zum Bösen verführen.«

      »Daß Dich Gott bewahre, Änneli! Ich habe genug gehört, um davon zu laufen.«

      »Und, Herr, Du solltest erst Addrichs Tochter, das kranke Loreli, sehen! Gewiß und wahrhaftig, es würden sich die Haare Deines Kopfes sträuben. Es kann nicht leben, es kann nicht sterben. Lebt es, so mag es kaum reden. Liegt es bleich und starr wie eine Tote da, dann singt es mit leiser Stimme wunderbare Lieder und Prophezeiungen.«

      Meister Wirri schüttelte sich unwillkürlich frostig, als er diese seltsamen Berichte vernahm, und sagte: »Man sollte hier auf alle Dielen Kreuze machen, denn es ruht auf dem Hause ein böser Fluch. Mache Dich auf sobald Du kannst und schüttle den Staub von Deinen Füßen. Frage nur in Aarau nach mir. Jedes Kind zeigt Dir dort die Wohnung des Meisters Wirri am Ziegelrain. Ein guter Dienst soll Dir nicht fehlen, und vielleicht sage ich Dir noch etwas Besseres, denn Du bist gar nett und freundlich, wie sich dergleichen wohl zu einem Spielmann paßt.«

      Das Mädchen hatte während des Gespräches das Tischgerät abgenommen und hielt alles im Arm. Es lächelte den Meistersänger zutraulich an und sagte: »Wärest Du doch gekommen, als meine Mutter gestorben und ich von aller Welt verlassen war! Die Bauern im Dorfe haben ein gar hartes Herz und sind arm dazu. Um Gottes willen wollte mich keiner aufnehmen, darum mußte ich zu Addrich; doch wußte ich von ihm alles das, was das ganze Dorf wußte, und ging mit Thränen und Schrecken hierher. Ach, dem Reichen geht alles hin, aber ein armes Waisenkind ist ein niedriger Zaun, über den alles hinwegspringt.«

      »Herziges Änneli, führe nicht so traurige Reden!« sagte er, und streichelte leise mit der Hand ihre errötende Wange. »Warum betrachtest Du mich denn mit Zweifel und ziehst das Köpfchen zurück? Ich meine es ehrlich und Du bist reich. Ein schönes Mädchen zahlt mit freundlichen Augen besser als mit harten Thalern. Wenn wir uns beide einmal verstehen, sind wir, denke ich, des Handels bald einig.«

      Sie zog sich verschämt zurück und sagte: »Du bist und bleibst der Aarauer Herr. Gute Nacht!«

      Mit diesen Worten schlüpfte sie zur Thür hinaus, doch nicht, ohne ihm noch einmal freundlich zugenickt zu haben. Herr Wirri blieb lange auf einer Stelle stehen, die Augen zur geschlossenen Thür hingewandt. Die niedliche Gestalt, ihre leichten Bewegungen, die große Rührigkeit