Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


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Leute reden viel in den Tag hinein; das ist richtig. Die Fanely mag ein frommes Kind sein, wenn auch niemand den Mann lobt, unter dessen Dach es wohnt. Veilchen wachsen ja auch im Unkraut.«

      »Höre mich an. Der Dekan von Aarau meldet mir mit großer Besorgnis und Unruhe, daß es mit Addrich im Moos unsicher stehen soll.«

      »Was schnell aufgeht, fällt schnell wieder ab.«

      »So ists nicht gemeint, Meister! Der Dekan will Nachricht haben, daß Addrich im Moos zu den Rebellen gehöre, oder sie unterstütze. Es sei der Aufruhr im Aargau nahe am Ausbruch, und Addrich sei der Haupträdelsführer, wie man sage. Mir kommts nicht unwahrscheinlich vor, denn der Kerl ist ein Meuterer von Haus aus. Dem ehrwürdigen Dekan ist in dieser Verwirrung, zumal wenn Kriegsvölker einziehen sollten, um das Schicksal der jungen Epiphanie bange und er beschwört mich, kein Mittel unversucht zu lassen, die verwaiste Tochter seines Freundes aus des Addrichs Klauen zu retten und sie zu ihm nach Aarau in Sicherheit zu bringen. Du begreifst aber, Meister Heini, das Kind ist in Aarau nicht geborgen. Wer kann wissen, wie weit im ersten Augenblicke die Verwegenheit der Rebellen, oder wie weit ihr Glück geht? Gesetzt sie brächen in die Stadt ein und gäben sie ihrer Wut preis – oder Addrich selbst wäre mit ihnen – Epiphania würde abermals unglücklich, und den geistlichen Herrn würde weder die Heiligkeit seines Amtes, noch das weiße Haar seines Hauptes vor der Rache des wilden Addrich schützen.«

      »Das wäre zu fürchten, denn Zorn und Rache gehen nicht lange zu Rat.«

      »Wie es kommen möge, wir müssen Epiphania retten. Das Kind soll zu meiner Familie nach Bern, in mein Haus, bis das Land wieder ruhig ist. Es ist ein reiner Engel an Seele und Gestalt. Willst Du mir helfen, solls Dich nicht gereuen. Erkläre Dich; es muß hier gehandelt werden, und sollte es hundert Gulden kosten.«

      »Junker Oberherr, ich bin von jeher Euer gehorsamer Diener gewesen, und laufe für Euch durchs Feuer; aber in diesem Punkte helfen, da sehe ich das Wie nicht. Und wer das Wie nicht weiß, der findet des Juchhei nicht.«

      »Ich gebe Dir morgen einen Brief an Epiphania. Du bist Spielmann, wanderst aller Orten wohlgemut umher; niemand achtet auf Dich. Von meinen Leuten aber kann ich keinen senden, denn jeder kennt diese, und einem Bauer vertraue ich nicht . . . Du wärest von allen Boten der beste. Also Du nimmst einen Vorwand, gehst ins Haus, suchst eine Gelegenheit und steckst dem Mädchen heimlich einen Brief zu, ohne daß Addrich oder sonst jemand davon Ahnung bekommt. Ihr beredet mit einander die Flucht über den Bergrücken durch den Wald nach dem Schlosse Liebegg; da haltet Ihr Euch verborgen, bis ich Epiphania abholen lasse. Ein Brief an den Junker Graviset aus Liebegg soll Dir gute Aufnahme sichern.«

      »Ich wollte, ich säße schon dort! . . . Aber wenn die schöne Jungfrau Epiphania Laune hätte, mir einen Korb zu geben und nicht mit mir auf und davon wollte, was dann?«

      »Dafür laß den Brief sorgen, den Du ihr von mir einhändigen wirst.«

      Meister Wirri schien nicht besondern Hang und Beruf zu der neuen Sendung in sich zu fühlen, die ihm übertragen werden sollte. Indessen siegte zuletzt doch die Beredsamkeit des Oberherrn, und vielleicht mehr noch dessen Freigebigkeit, die ihm, als Vorschuß zu allfälligen Ausgaben für sich und Epiphania, einige Thaler in die hohle Hand fallen ließ, und versprach, nach gelungener Ausrichtung des Auftrags, den Meistersänger von Kopf bis zu Fuß neu zu kleiden. Doch muß die ganze Wahrheit gesagt werden. Es saß noch ein heimlicher Schalk in dem Herzen des Meistersängers, welcher ebenfalls ein Wörtchen für das Wagestück des Abenteurers hinzulegte. So oft nämlich der Oberherr von Epiphania sprach – und er mußte wohl, damit Heinrich Wirri sie genau kenne und mit keiner andern verwechsele – empfing die Beschreibung unvermerkt jenen lebhaften Farbenglanz, mit welchem zartfühlende und gute Menschen gern das Edle und Schöne schmücken, besonders wenn es fern ist, und die Gegenwart sich nur gemein zeigt. Es fehlte nicht, Wirris dichterische Einbildungskraft mußte in Flammen geraten. Er sah das Schönste des Schönen in Epiphanias jungfräulichen Reizen lebendig vor seinen inneren Sinnen schweben, und die lieblichsten Möglichkeiten und mancherlei daraus hervorsprossende Entwürfe benebelten ihn fast mehr als der Wein des Verwalters. Wirri war ein alter Junggesell, und man weiß was das zu sagen hat; dazu Dichter und mithin geborener Anbeter des Erhabenen und Schönen. Gleichwie der Oberherr zuweilen, wenn er von Epiphanias ganz eigentümlicher, wunderbarer Gemütsart redete, seines Zuhörers zu vergessen schien, so vergaß dieser hinwieder eben so oft des Redenden, sah nur das Liebliche im Schimmer der Anmut, sah den Seufzer und die Thräne der verlassenen und verlorenen Waise; fühlte sich dann als ihren Erlöser aus des Hexenmeisters Gewalt, und von ihrem Freudenblick belohnt. Seine Phantasie rechnete noch weiter. Die Dankbarkeit der Geretteten, ihre Anmut näherten sie den geheimen Wünschen des entzückten Befreiers. Konnte es zuletzt fehlen, daß der edelmütige Oberherr von Rued, der Pate zu Aarau und mancher andere Gönner eine reiche Aussteuer zusammenlegen und die stattlichste aller Hochzeiten anstellen würden?

      »Ja, ja, Heini,« sagte der Oberherr, als ihn der Meistersänger wieder anhörte, lächelnd mit dem Finger drohend, »nimm Dein Herz in Obacht und blicke der Fanely nicht zu tief in die hellen Augen, sonst ists um Meister Wirris Ruhe gethan.«

      »Ei, behüte uns!« rief stotternd der Meistersänger. »Euch beliebt mit mir zu scherzen. Nicht doch!

      Jungferngunst und Harfenklang

       Dünkt wohl gut, doch währts nicht lang.

      Darüber bin ich längst hinaus; ich denke an solchen Firlefanz der jungen Welt nicht mehr. Nein, nein, in der Liebe ist wahrlich nicht alles Zucker,

      Frauenlieb' ist fahrende Hab'.

       Röslein heut und morgen Schabab.

      Drum, will ich im Paradiese bleiben, darf ich keine Eva haben.«

      Unter diesen Gesprächen war die Mitternachtsstunde herangekommen. Der Oberherr verhieß ihm auf den folgenden Morgen die Briefe.

      6.

       Gute Gesellschaft.

       Inhaltsverzeichnis

      Obwohl der Meistersänger bis tief in das Licht des Tages hinein schlief, und erst spät erschien, fand er die Schreiben doch nicht ausgefertigt. Er zürnte nicht, seine Abreise verzögert zu sehen, teils weil er, obwohl vergebens, Zeuge des Schauspiels zu werden wünschte, welches ihm der schwedische Schweizer geben sollte, wenn derselbe gefangen eingebracht werben würde, teils auch, weil die Zeit der Morgenmahlzeit herannahte, was man in unsern Tagen Mittagsmahl zu nennen pflegt.

      Die gestern ausgesandten Boten kamen endlich zurück; aber von der Person, welche sie hatten aufsuchen sollen, war weithin nirgends eine Spur gefunden worden. Dagegen dampften um halb elf Uhr die Schüsseln auf dem Tische des Verwalters und Wirri nahm bereitwillig den ihm angewiesenen Ehrenplatz beim Mahle ein. Die Unterhaltung drehte sich vorzüglich um den verschwundenen Zögling des Helden Torstenson. Wirri, der, was er gestern durch das Feuer des Weines als Wunder erkannt, jetzt nüchtern allen Ernstes glaubte, verbarg dem Verwalter seinen Triumph darüber nicht, in dem auf der Berghöhe erschienenen Krieger ein übermenschliches Wesen vermutet zu haben. Auch der Verwalter war nicht mehr weit davon, diesem Urteile des Spielmannes beizustimmen, der vermöge seines Berufs Gelegenheit gehabt hatte, mancherlei in der Welt kennen zu lernen, was das Ruederthal nicht kannte.

      Indessen, die Morgenmahlzeit war beendet. Der Oberherr übergab dem Meistersänger die verheißenen Briefe, erteilte ihm unter vier Augen einige Belehrungen, und entließ ihn mit Glückwünschen für das Wohlgelingen der Sendung.

      Langsamen Schrittes bestieg dieser den Berg, und ging nicht ohne heimliches Grauen an der Stelle im Walde vorüber, auf welcher er und sein Absender den gestrigen Auftritt erlebt hatten. Er fürchtete, jeden Augenblick das furchtbar-schöne Antlitz des Schweden aus den dichten Gesträuchen hervorblicken zu sehen, doch ohne Abenteuer zog er durch den Wald, und dann auf der andern Seite zwischen Wiesen und Äckern hinab, ins heitere Kulmerthal. zum Dorfe. Hier erquickte er im Wirtshause sein müdes Gebein billigerweise noch einmal durch Speise und Trank, und nebenbei auch nicht ohne Nutzen für den Zweck seiner