Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


Скачать книгу

eine Weile Euer Begleiter zu sein. Ihr sprachet, wie mich dünkt, von des gemeinsamen Vaterlandes Freiheit und Wohlstand; gestattet, daß ich Euer Zuhörer sein dürfe, und glaubet, daß auch ich einer von denen sei, welche für das edle Kleinod Alles wagen und dransetzen.«

      Der Junker, dem die letzte Äußerung verdächtig klingen mochte, musterte den Mann von der Seite, während er den Weg langsam mit ihm fortsetzte.

      »Herr,« sagte der Spielmann von Aarau zu dem Fremden, »Ihr habt läuten hören, wißt aber gewiß nicht, in welchem Dorfe? Doch das ist gleichviel! Ihr seid also ein Schweizer? Eure seinen Redensarten scheinen aus einem andern Lande gebürtig.«

      »Ihr habt einen scharfen Blick,« erwiderte der Fremde mit verbindlichem Lächeln. »In der That habe ich fast länger im Auslande gelebt, als zwischen den Bergen meiner Heimat. Nachdem ich die Hochschule besucht hatte, ging ich in die Lehre des Kriegsgottes, und mußte mich in vieler Herren Länder herumtummeln.«

      »Nun ja,« sagte Wirri, »viel Land, viel Bräuch'! Jetzt aber wird's Euch beim schlechten Habermuß, den man zu Hause kocht, nicht sonderlich gefallen. Jedoch vom geringen Tisch ist am sichersten essen; bei Soldatenbrot sitzt allezeit der Tod.«

      »Und ohne Zweifel habt Ihr im Kriege reiche Beute erworben?« fügte Junker Mey hinzu. »Die bringt nirgends so viel Lust und Ehre, als in der Heimat.«

      »Mit Eurer Gunst, meine Herren!« versetzte der Kriegsmann, »Ich kann nicht gleicher Meinung sein. Zwar hat der furchtbare Schlachtengott Mars für treu geleistete Dienste sich mir nicht undankbar erwiesen, jedennoch würde ich heute aufsatteln und hinziehen, wo man die Trommel statt der Betglocke rührt, und lieber auf dem Wahlplatze alles mit Ehren verlieren, als hier auf der Bärenhaut mit Leib und Seele verdorren.«

      »Das ist die Sprache des Soldaten!« entgegnete der Oberherr. »Doch sollte Euch, falls Ihr ein Schweizer seid, das teure Vaterland über alles gelten.«

      Der Fremde verzog den Mund ein wenig und sagte: »Des Herrn Bemerkung würde allerdings gegründet sein, so ich die Ehre hätte, Edelherr in einer regierenden Stadt zu heißen. Die übrigen armen Städtchen, wie Euch zweifelsohne nicht unbekannt ist, müssen sich mit den magern Brosamen ihrer Freiheiten und Rechte begnügen lassen, und das Landvolk wird gefüttert, gleich der Schafherde, seiner Milch und Wolle wegen.«

      Der Oberherr warf abermals einen argwöhnischen Seitenblick auf den Mann, doch schien es ihm nicht unzweckmäßig, ihn weiter auszuforschen und dessen Namen, Stand und Wohnort zu erfahren. Er verbarg also eine rege werdende Empfindlichkeit und sagte mit gewohnter Unbefangenheit: »Mich dünkt, Ihr urteilet fast zu hart, denn wenn Ihr den Wohlstand in unsern Dörfern sähet, und den Ackerbau des ganzes Landes, würdet Ihr, hoffe ich, der väterlichen Gesinnung unserer Regierungen mehr Gerechtigkeit widerfahren lassen.«

      »Der gedeihliche Wohlstand des Landes,« erwiderte der Unbekannte, »ist wohl schwerlich den Regierungen zu danken, sondern dem Fleiß und Schweiß des Volkes. Mir ist nicht bekannt, was die Obrigkeit hinzuthut, wohl aber, was sie davon nimmt. Alles mit einem Male zu nehmen, wäre thöricht, denn so nichts mehr verbliebe, hieße es nicht unbillig, den Bach verlangen, und doch die Brunnquellen abgraben. Lasset Euch nicht befremden, daß ich in dieser Materie etwas hartnäckig bin, denn ich habe das Lehrgeld bezahlt. Oder saget an, was gilt hier ein Ehrenmann, wenn er nicht das Ratsherrn-Barettlein ansprechen darf? Ohne Ruhm zu melden, hat mich, wie Ihr mich hier sehet, der große Kriegsheld, der unvergeßliche Feldmarschall Torstenson, wie sein eigenes Kind gehalten; der Fürst von Siebenbürgen, der berühmte Ragoczi, behandelte mich wie seines Gleichen, und oftmals habe ich mit Prinzen zu Tafel gesessen. Hier meint sich jedes Jünkerlein mehr, und schaut von oben auf unsereins herab, als auf seinen angebornen Knecht, und erwartet, man solle ihm den Hof machen. Ich habe andere Majestäten gesehen. Ha! Ha!«

      »Vermutlich hat man Eure Dienste nicht gekannt,« sagte der Oberherr mit feinem, kaum merklichem Lächeln. »Ihr habt sie allzu bescheiden verschwiegen.«

      »Mit Eurer Gunst, Herr!« versetzte der Kriegsmann. »Es stände mir nicht zu, mit Verdiensten zu prahlen. wenn ich sie mir erworben hätte; aber es steht auch keinem Stadtjunker zu, mich hochmütig anzublasen, wenn ich ihm die Schuhe nicht putze. Würde man aber nicht außerdem noch gesetzmäßiger Weise ausgeplündert, könnte man allenfalls über den Spaß lachen.«

      »Wie versteht Ihr das Ausplündern?« fragte der Oberherr etwas ernster.

      »Wie jedermann,« antwortete der Fremde. »Denn ob Ihr durch Umhertreiber und Räuber oder durch ein Münzmandat die Hälfte Eurer wohlerworbenen Barschaft davonfliegen sehet, Ihr werdet eins wie das andere nicht zu den ehrlichen Gebräuchen rechnen. Ich habe allein bei zweitausend Gulden durch den landesväterlichen Streich eingebüßt. Zuerst überschwemmte man das Land, wie Ihr wisset, mit dem schäbigen Kupfergelde, und nachdem die Herren in den Städten ihre Beutel von Unflat gesäubert und das Silber einkassiert hatten, verfügten sie, der Batzen sei um einen halben Teil minder wert, als wofür sie ihn ausgegeben hatten. Das Volk war geprellt, und die Städter lachten dazu in's Fäustchen. Der Großtürk macht's gnädiger als die christliche Obrigkeit.«

      Bei diesen Worten stand der Oberherr still, maß mit scharfem Blick den Sprecher und sagte: »Wer Ihr auch sein möget, Euch gebühret nicht, in solchem Tone von der landesherrlichen Gewalt zu reden. Wie heißet Ihr? Woher seid Ihr?«

      Der Fremde, durch die rauhe Anrede des Oberherrn mehr in Verwunderung gesetzt, als überrascht, erwiderte: »Mit Eurer Gunst, welcher Floh sticht Euch? Ich sollte jene Frage vielmehr an Euch richten. daß ich wisse, ob ich zur Antwort verpflichtet sei.«

      »Ich bin der Junker Mey, Oberherr von Rued.«

      »Also um Eure eigene Hoheit handelt es sich! Nun denn, ich habe andere Majestäten gesehen, und nie gehört, daß Ihr mein Oberherr seid. Ziehet's Euch nicht zu Gemüt. Je nachdem der Mann, danach brät't man die Wurst, gilt hier, und damit genug. Gehabt Euch wohl!«

      »Bleibt stehen!« donnerte ihm der Oberherr zu.

      Der Fremde kehrte wieder um, trat hart vor den Junker hin, betrachtete ihn eine Weile, indem Blitze aus seinen großen, schwarzen Augen schossen und sagte: »Trüget Ihr eine Klinge, so würde es mich gelüsten, Euch zu lehren, wie Ihr mit Ehrenleuten umzugehen habt, die nur auf dem Schlachtfelde ihr Avancement gemacht haben. Ich und mein Degen wiegen so schwer als Ihr mit Eurer ganzen Oberherrlichkeit; daß Ihr's wisset! Ich gebe Euch mein Ehrenwort, daß Ihr Gelegenheit finden sollt, mich kennen zu lernen, wenn's Euch daran gelegen ist.«

      Der Oberherr behielt bei diesen hochfahrenden Reden unverändert die angenommene gebieterische Haltung und rief: »Ich befehle, Ihr bleibet, oder . . .«

      »Sagt an, was liegt hinter oder?« entgegnete der Kriegsmann mit stolzem Lächeln. »Ich habe die Oder mit dem Feldmarschall Torstenson zweimal passiert und bei Euch geschieht's zum dritten Male. Obwohl Ihr Eurer Zwei seid, wäre es Euch übel geraten, mich zu belästigen. Das kleine, dicke Männlein an Eurer Seite da bisse beim ersten Nasenstüber ins Gras.«

      »Nichts für ungut,« sagte Meister Wirri, indem er etwas bestürzt einige Schritte rückwärts machte, »wer keine Hand hat, kann keine Faust machen. Ich will keine Erbsen mit Euch lesen; also laßt mich in Frieden, jedoch vergeßt nicht, daß kleine Leute auch große Schatten werfen können.«

      »Wißt Ihr nichts besseres, so sage ich Euch Lebewohl!« sprach der kecke Tischgenoß des Fürsten Ragoczi, wandte sich, ging mit raschem Schritte davon und verschwand bald hinter den Tannen.

      Der Oberherr stand eine Weile unschlüssig da, als wollte er ihm nacheilen. Endlich aber nahm er mit dem Meistersänger den Rückzug zum Schlosse, indem er sagte: »Der freche Bursch wird in der Welt zu finden sein. Verdoppele Deinen Schritt, Meister Heini, daß wir das Schloß erreichen. Ich werde ihm meinen Jäger nachschicken und ihn im ersten Dorfe verhaften lassen. Der Prahler soll es büßen.«

      »Das denke ich eben auch,« erwiderte der Spielmann von Aarau, »dann wird er anders pfeifen. Es sind schon manche krumme Hölzchen gerade geworden. Fürwahr, mich freut's schon, diesen stolzen Fant noch heute in Handschellen eingebracht zu sehen. Vier Wochen krumm geschlossen, bei Wasser und Brot im Turm zu sitzen, verdient