Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


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und mit dem einen hätte ich ein Geschäft abzuthun; im Grunde nicht für mich, verstehst Du, denn ich kenne sie nicht. Nun aber scheint's mir, es sei da schwer ankommen; der Addrich bewacht sie, wie der Drache den Schatz.«

      »Nicht so sehr, wie Du glaubst. Der Alte ist fast nie zu Hause; die Mägdlein thun was sie wollen und führen ihn an der Nase herum.«

      »Ei, so heißt's da mit Recht: ein Weiberhaar zieht mehr, denn sieben Rosse. Das will mir wohlgefallen. Wie aber ins Haus kommen?«

      »Nur zur Thür hinein. Welches aber von den Mädchen möchtest Du?«

      »Es heißt . . . ich würde es wohl kennen, wenn ich's sähe, der Junker Oberherr hat mir's auf ein Haar beschrieben. Es heißt . . . Zephanja, glaube ich. Hätten wir eine Laterne, so könnte ich Dir's sagen. Der Name steht leserlich auf dem Briefe, den ich überbringen soll.«

      »Ist's sonst nichts, als dem Mädchen einen Brief zuzustecken, so gieb ihn nur her; nichts ist leichter als das.«

      »Nein, guter Freund, ich muß den Sack selber zur Mühle tragen, weil ich das Mehl heimnehmen möchte. Willst Du mir helfen, so dienst Du dem Junker Oberherrn. Zwar auf den Kopf gefallen bin ich nicht, aber ich scheue den wilden Addrich, und der besten Katze kann eine Maus entrinnen. Das Mägdlein muß in Sicherheit, ehe fremdes Kriegsvolk ins Land rückt.«

      »Ist das Volk schon in Aarau?«

      »In drei, vier Tagen, und dann wird mit den Rebellen nicht mehr Federlesens gemacht werden; die Galgen sind gezimmert. Ich wollte, Addrich hinge schon daran, dann hätte ich die halbe Not. Willst Du mir beistehen?«

      »Dem Addrich spielte ich gern einen Streich. Ich könnte unter gutem Vorwande zu ihm gehen, Dich mitnehmen, als hätte ich Dich im Berge verirrt angetroffen. Das Übrige ließe sich dann schon machen. Aber gelt, Du wirst mich nicht verraten?«

      »Du mußt keine Sorge haben, daß der Schnee brennt. Stelle Deine Sache klug an; ich folge Dir.«

      »Jetzt schweige, damit uns niemand hört. Du siehst dort das Feuer hinter den Bäumen; es ist eine Hammerschmiede. Dort habe ich etwas abzugeben; dann gehen wir hinauf ins Moos.«

      Herr Wirri freute sich seines guten Glückes, den Meinungsgenossen, Wegweiser und freundlichen Gesellschafter in einer und derselben Person angetroffen zu haben. »Zwar,« sagte er bei sich selbst, »der Kerl sah, bei Licht betrachtet, dem Teufel nicht ganz unähnlich; man soll jedoch kein Buch nach dem Titelblatt beurteilen.«

      In einer unbestimmten Entfernung flogen von Zeit zu Zeit einzelne dunkelrote Funken durch die Finsternis und ein helles Leuchten zwischen den Zweigen, das bald sichtbar wurde, bald erlosch, bezeichnete die Gegend der Cyklopenwerkstätte. Wirri's Begleiter verließ die Landstraße und schlug einen Seitenweg durch die Gebüsche ein. Der Spielmann folgte ihm geduldig bergan, wie unheimlich es auch im Walde wurde, wo ihm die Gesträuche das Gesicht jeden Augenblick wie mit Ruten peitschten, als wollten sie ihn warnend zurücktreiben. Von Zeit zu Zeit ermunterte ihn die heisere Stimme des Führers zur mutigen Nachfolge.

      »Hier heißt's,« erwiderte der Meistersänger, »wer A gesagt hat, muß auch B sagen. Ich folge Dir, doch will ich keineswegs verhehlen, daß Du mich aus dem Regen in die Traufe gebracht hast. Der Fahrweg war Goldes wert, aber diesen Pfad haben die Geißen nicht für ehrliche Leute gebaut.«

      Bald darauf betraten sie einen freien, von Gehölz umgebenen Köhlerplatz. Man hörte im Hintergrunde hämmern und sah die Schmiede, welche aus einer baufälligen Hütte bestand, durch deren Risse und Öffnungen der Schein des Feuers überall hindurchleuchtete. Ein paar große Hunde sprangen bellend durch die Nacht heran, schwiegen aber auf den Ruf einer unsichtbaren Person. Dann traten mehrere Menschengestalten aus der Dunkelheit hervor, die den Wegweiser vollständig umringten, vom Meistersänger entfernten und zu befragen schienen. Darauf kamen dieselben zum Meistersänger, führten ihn zur Schmiede hin und geboten ihm, auf einer Bank vor derselben niederzusitzen. Sie begleiteten die Einladung mit einer thätlichen Handleitung, die ihn sogleich zum Sitzen brachte.

      7.

       Die Schmiede.

       Inhaltsverzeichnis

      Einer dieser Höflichen sagte darauf: »Meister Wirri, wir wissen bestimmt, daß Du nicht in guter Absicht hier herumschleichst. Mache also keine Umstände, und gieb die Briefe des Junker Mey von Rued heraus, die Du bei Dir trägst. Wenn die Herren Krieg verlangen, sollen sie ihn vollauf haben. Also heraus den Brief!«

      »Was, Brief?« sagte der Meister ganz bestürzt. »Wer sagt Dir, daß ich Briefe bei mir trage? Ich glaube wohl, Du bist ein Fuchs, aber kein Luchs.«

      »Der kleine Finger sagt mir, was Du für ein Kamerad bist und was an Dir ist.«

      »Nun so laß Dir auch von ihm sagen, an wen ich einen Brief zu bringen hätte.«

      »An Jungfrau Fania.«

      »Wirklich? Nun denn, so ist er an die, und nicht an Dich gerichtet. Packe Dich also zum Geier mit Deiner Neugierde und lasse einen rechtlichen Mann in Frieden.«

      »So ist's nicht gemeint, Meister! Die Zeit ist vorbei, in der die Stadtleute allein das Maul groß aufthun konnten. Gieb den Brief gutwillig heraus, oder ich reiße ihn Dir mit Deinem Wams vom Leibe und die Ohren vom Kopfe dazu.«

      Die Drohung schien auf der Stelle in Vollziehung gesetzt werden zu sollen. Zwei Kerle packten den Spielmann und hoben ihn auf, zwei andere machten sich bereit, ihn zu durchsuchen, indem sie erklärten, beim ersten Schrei, welchen er thun würde, sollte ihm die Gurgel zugezogen werden

      »Halt!« rief Wirri, und versuchte seine Arme zu befreien. »Gewalt geht über Recht; das weiß ich. Aber wo ist denn der brave Mann geblieben, der mich hierher geführt hat? Er wird nicht gestatten, daß Ihr mich so behandelt. Er wird für mich Zeugnis ablegen. Drei oder vier über einen Mann herzufallen, ist unchristlich. Viele Hunde sind des Hasen Tod, und der Stärkste schiebt freilich den Schwachen in den Sack. Ich glaubte jedoch nicht zu Räubern, sondern zu ehrlichen Christenleuten zu kommen.«

      »Du Lästerzunge, schweig!« erwiderte einer der Umstehenden. »Wir sind christlicher gesinnt, als Du und Deines Gleichen. Als Spion und Briefträger verdientest Du, nach Kriegsrecht, am nächsten Baumast zu zappeln. Aus menschenfreundlichem Erbarmen gönnen wir Dir das Leben. Du bleibst aber, bis auf weitere Ordre, Kriegsgefangener, leistest Gehorsam in allem, was Dir abverlangt wird, händigst die bei Dir befindlichen Depeschen ohne weitere Umstände aus, und lässest es nicht zum Äußersten gelangen.«

      »Höre, guter Freund,« sagte der Spielmann, »ich würde keinen Pfifferling für Deinen Kanzleistil geben, wenn nicht, statt der Siegel, ein halbes Dutzend grober Fäuste daran hingen. Lasset mir also die Hand los, damit ich den Brief suchen kann. Aber vergesset nicht, das Jahr hat zweiundfünfzig Wochen, und oft kommt über Nacht, woran der Klügste nicht gedacht.«

      »Wohlgesprochen!« erwiderte man dem Meistersänger, »Solches erfährst Du heute an Dir, und die Städte werden es mit Dir erfahren. Also nur den Brief heraus.«

      Wirri suchte den Brief, indem er einige unverständliche Worte murmelte. Sobald er das verlangte Papier abgegeben hatte, entfernten sich alle, bis auf einen Mann, der, als Wachthabender vermutlich, vor der Schmiede auf- und abging.

      Wirri murmelte, sich wieder auf die Bank setzend, zur eigenen Gemütsbesänftigung einige ihm sonst ungewohnte Flüche; vergaß jedoch dabei nicht, den Himmel jedesmal gebührend um Verzeihung zu bitten. Aus langer Weile beobachtete er lange Zeit im Finstern das stumme Hin- und Herwandeln des Wärters; die seitwärts zu seinen Füßen liegenden Hunde; oder die Sterne, welche zwischen den fliegenden Wolken bald sichtbar wurden, bald verschwanden. Es herrschte weit umher eine tiefe Stille; selbst das Hämmern in der Schmiede wurde aufgegeben, und man vernahm nur die Stimmen derer, welche im Gebäude sprachen. Meister Wirri glaubte unter diesen Stimmen auch den heisern Ton seines Führers zu erkennen, und drehte sich um, sich von dessen Anwesenheit zu überzeugen. Unmittelbar hinter seinem Rücken, durch einen breiten