Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


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Esse anblies. Eisenstäbe in großer Menge lagen halb vergraben im Feuer. Einzelne Teile der schwarzen, rußigen Werkstätte, Balken, Sparren, Ketten und Zangen, die neben anderem Geschirre an den Wänden hingen, schienen sich, wie lebendig, bald heller an's Licht hervorzubewegen, bald in die Dunkelheit zurückzuziehen. Als ein wahrhafter Fürst der Finsternis saß Wirri's Begleiter breit und riesenhaft auf dem Amboß, wie auf einem eisernen Throne. Weil er den Rücken der Feueresse zugewendet hatte, glich er einem lebendigen schwarzen Schatten, und das struppige Haar seines Hauptes, vom Widerschein des Feuers beleuchtet, glich einer glühenden Krone. In der halbemporgehobenen Rechten trug er, statt des Szepters, ein zugespitztes Eisen, wie man es in jener Zeit auf Spieße oder Piken zu setzen pflegte.

      Den Meister Heinrich überlief bei diesem Anblicke ein abergläubiges Grausen; noch mehr aber entsetzte er sich, als er unter den drei Bauern, die vor dem gewaltigen Inhaber des Ambosses standen, leibhaftig die Gestalt des Schweden wahrnahm, welche ihm und dem Junker Mey auf dem Ruederberge begegnet war; nur war an die Stelle der schwedischen Kriegstracht die gewöhnliche Bauernkleidung von rohem Zwillich getreten.

      »Woran liegt's?« sagte die heisere Stimme mit einem Ausdrucke von Verdruß. »Nicht dreihundert, sondern dreitausend Stück sollten fertig sein. Wißt Ihr auch, daß die Baseler, Mühlhausener, Berner und Züricher uns schon in einigen Tagen über den Hals kommen?«

      Einer der Umstehenden antwortete: »Fünfzehnhundert Stück werden, wie Du weißt, jetzt schon geschäftet und verteilt. Wir können die Spieße wahrlich nicht im Ofen backen, wie der Bäcker die Waffeln und Semmeln, Eisen will gehämmert sein.«

      »Genug, rühret die Fäuste!« rief der Mann auf dem Amboß. »Schaffet Tag und Nacht; es ist hohe Zeit; oder alles geht zum Teufel. Was meinst Du, Gideon? Diese Spitzen scheinen mir etwas kurz. Sie sollten einen halben Fuß länger und keine Zahnstocher sein.«

      Derselbe, welcher vorher geantwortet hatte, erwiderte auch jetzt: »Sie haben genau das Maß, welches der Hauptmann Gideon hier vor drei Wochen selbst angegeben und befohlen hat. Wurde gefehlt, so ist's seine Schuld; das kümmert mich wenig. Aber bedenke, daß, wenn die Spitze um einen halben Fuß länger wird, sich die Arbeit um die Hälfte verlängert, und Dir, als Zahlmeister, das Geld im Sacke um die Hälfte kürzer macht. Was mich anbetrifft, ich thue, wie Ihr's verlangt.«

      Jetzt nahm der Schwede die Eisenspitze aus der Hand des Alten, betrachtete die Arbeit und sagte: »Nein, dabei bleibt. Was dem Eisen abgeht, ersetzt die Länge des Spießschaftes; und wem dieser Zahnstocher durch den Magen fährt, der hört auf zu kauen.«

      Der Alte auf dem Amboß entgegnete: »Gideon, nimm die Sache nicht allzu leicht. Der Rat zu Bern hat die Welschen aufgeboten, und rühmt sie gar sehr, als eifrig ergebene, tapfere und wohlgeübte Leute.«

      »Mag sein!« versetzte der Hauptmann im Zwillichwams. »Wo der Wein gut ist, da dürfte man keinen Kranz aufstecken. Die Welschen sind am Ende doch nur eilfertig zusammengeraffte neugebackene Soldaten, die nur wenig eingeübt sind, und wir können ihnen ohne Furcht die Spitze bieten. Ich gebe mein Ehrenwort, binnen vierzehn Tagen aus unsern Leuten Soldaten zu machen, die ihr Handwerk verstehen und die welschen Hasenfüße über all Berge treiben.«

      »Wer seinen Feind verachtet,« sagte der Alte, »hat's Spiel schon halb verloren . . .«

      »Gleichermaßen,« unterbrach ihn Gideon, »wer seinen Feind fürchtet. Lasset uns nur sorgfältig wachen, daß von unsern Mitteln und Vorhaben nicht allzu viel in der Welt bekannt werde, und wir dem Feinde, der uns zu überrumpeln gedenkt, das Prävenire spielen können.«

      »Ganz richtig!« entgegnete der Alte. »Bis jetzt ist die Sache unter wenigen und wohlverwahrt.«

      »Darum muß eine Kriegsordnung bestehen,« fuhr der Hauptmann fort. »Dem ersten, der sich auf fahlem Pferde erblicken läßt, ohne Pardon den Kopf ab! Wer Briefe trägt, spioniert, ohne Pardon den Kopf ab!«

      Bei diesen Worten des Hauptmanns, die derselbe, so oft er »Kopf ab!« rief, mit einer ausgreifenden Bewegung des Armes durch die Lust begleitete, als stände er an Scharfrichters Stelle da, verschwanden dem Spielmanne fast die Sinne, denn er erinnerte sich des ihm gewaltsam genommenen Briefes und bezog die Rede auf seine Person, die hier von aller Welt verlassen saß. Er drehte sich hastig von der Mauerspalte fort und sah sich nach einem Wege zur Flucht um. Der Wachthabende ging in der Dunkelheit noch immer langsamen Schrittes auf und ab. In diesem Augenblicke war er gerade am entferntesten; der Wald, wohin die erste Zuflucht genommen werden konnte, ringsum nahe; auch ließ sich hoffen, die Straße durch das Thal ohne Mühe zu finden, sobald die Füße nur dem natürlichen Zuge bergab folgten. Dies bedachte Meister Wirri mit Blitzesschnelle und rasch lief er auf und davon. Er hatte aber noch nicht drei Schritte gethan, als er sich im Nacken festgehalten fühlte und ihm vorn auf die Brust eine zottige Bestie sprang, welche grimmig bellend vor ihm stehen blieb. Er stieß einen lauten Schrei aus. Es waren die beiden wohlabgerichteten Hunde, welche sich seiner bemächtigt hatten, und die in der Eile von ihm gar nicht mehr beachtet worden waren. Der größte von ihnen hatte ihm die Vorderpfoten, wie zur Umarmung, von hinten auf beide Achsen gelegt, und mit dem Rachen das zufällig durch Mantelkragen und Hutkrämpe wohlgeschützte Genick gefaßt. Schnell lief der Wächter herbei und rief den Hunden zu: »Laß ab! Laß ab!«

      Der Spielmann schüttelte sich am ganzen Leibe, als wollte er seiner Befreiung von den reißenden Tieren oder der Unverletztheit seiner Gliedmaßen gewiß werden, und sagte: »Wenn Fluchen keine Sünde wäre, möchte ich dies Mörderloch mit Menschen und Vieh in den tiefsten Abgrund der Hölle hinunter wünschen Es wäre meiner Treu! dort besser am Platze, als in meiner gnädigen Herren und Obern Gebiet.«

      »Du Narr, Du!« sagte lachend der Bauer, der ihn beim Arme festhielt und zurückführen wollte. »Warum saßest Du nicht still? Wer hieß Dich davon zu laufen? Kannst von Glück erzählen, daß Dir mein Beißer die Gurgel zum Schreien offen ließ.«

      »Kann ich nicht gehen, wohin mir's beliebt?« entgegnete Meister Wirri. »Bin ich Euer Gefangener? Wer darf einen Ehrenmann festhalten? Packe Dich zum Henker, der auf Dich wartet.«

      »Halte Dich ruhig,« erwiderte der Bauer, »es wird Dir kein Leides widerfahren. Wir sind keine Gurgelabschneider, sondern so ehrlich, wie Du. Da hast Du mein Wort und dabei bleibt's.«

      »Ja,« sagte Wirri, »Du und Deines Gleichen bleiben beim Wort, wie der Hase bei der Trommel.«

      Während dieses Gezänkes trat ein dunkler Schatten aus der Schmiede. Der Spielmann erkannte am Umriß desselben sogleich seinen breitschultrigen Geleitsmann.

      »Was hast Du mit diesem braven Mann? Er ist mir auf der Straße begegnet und hat mich nur aus Gefälligkeit begleiten wollen,« sagte der Alte zornig zum Bauer. »Jockli, ich warne Dich! Deine Lust, Fremde zu necken, könnte Dir einmal einen Bruch in die Rippen machen und Deinen Hunden das Fell kosten. Komm, Meister,« fuhr er fort und wandte sich in sanfterem Tone, indem er dessen Arm ergriff, zum Spielmann, »wir gehen mit einander. Es ist ungeschlachtes Volk in den Bergen, das keine Lebensart kennt. Komm! Gute Nacht! Jockli!«

      Der Spielmann, zwar froh, so glücklich davon zu kommen, blieb jedoch nach den ersten zehn Schritten wieder stehen und sagte: »Ich weiß wohl, Schmiedskinder sind der Funken gewohnt und Kohlenbrenner färben nicht weiß; mag ihnen auch nichts übel nehmen, allein das ist Schelmengesindel hier. Sie haben mir, als Du fortgegangen warest, den Brief des Oberherrn mit Gewalt entrissen. Ich muß den Brief wieder erhalten, oder ich erhebe Klage beim Landvogt zu Lenzburg, und dann gnade Gott diesen Kerlen!«

      »Still!« flüsterte ihm der Geleitsmann ins Ohr und zog ihn mit sich bergab, ins Gebüsch. »Laß Dich nicht hören! Weißt Du denn nicht, wo wir sind? Willst Du Dich und mich mutwillig ins Verderben reißen? Meuterer, Aufrührer, Rebellen sind's. Wenn die unsere Absicht merken, nehmen sie uns den Schädel unter den Hammer und es kräht kein Hahn danach.«

      »Wahrlich, Du sagst mir nichts neues,« antwortete Wirri, der nun erschrocken und geduldig mittrabte und sich im Finstern an seines Führers Arm hielt. »Ich habe die Zeisige am Gesange erkannt, den sie in der Schmiede anstimmten. Aber warum gingst Du auch zu ihnen? Warum verleitetest Du mich, hierher zu gehen, mich armen Mann, der vor dem Junker von Rued mit Schimpf und Schande