Фридрих Вильгельм Ницше

Gesammelte Werke


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die Er­kennt­nis der mo­ra­li­schen Er­schei­nun­gen, wie sich fast er­ra­ten läßt, nur Nach­tei­le und rück­schrei­ten­de Be­we­gun­gen zur Fol­ge ge­habt. Was ist die gan­ze deut­sche Moral­phi­lo­so­phie, von Kant an ge­rech­net, mit al­len ih­ren fran­zö­si­schen, eng­li­schen und ita­lie­ni­schen Aus­läu­fern und Ne­ben­züg­lern? Ein halb­theo­lo­gi­sches At­ten­tat ge­gen Hel­ve­ti­us, ein Ab­wei­sen der lan­ge und müh­sam er­kämpf­ten Freibli­cke oder Fin­ger­zei­ge des rech­ten We­ges, wel­che er zu­letzt gut aus­ge­spro­chen und zu­sam­men­ge­bracht hat. Bis auf den heu­ti­gen Tag ist Hel­ve­ti­us in Deutsch­land der best­be­schimpf­te al­ler gu­ten Mora­lis­ten und gu­ten Men­schen.

      Klas­sisch und ro­man­tisch. – So­wohl die klas­sisch als die ro­man­tisch ge­sinn­ten Geis­ter- wie es die­se bei­den Gat­tun­gen im­mer gibt – tra­gen sich mit ei­ner Vi­si­on der Zu­kunft: aber die ers­te­ren aus ei­ner Stär­ke ih­rer Zeit her­aus, die letz­te­ren aus de­ren Schwä­che.

      Die Ma­schi­ne als Leh­re­rin. – Die Ma­schi­ne lehrt durch sich sel­ber das In­ein­an­der­grei­fen von Men­schen­hau­fen, bei Ak­tio­nen, wo je­der nur eins zu tun hat: sie gibt das Mus­ter der Par­tei – Or­ga­ni­sa­ti­on und der Kriegs­füh­rung. Sie lehrt da­ge­gen nicht die in­di­vi­du­el­le Selbst­herr­lich­keit: sie macht aus Vie­len Eine Ma­schi­ne, und aus je­dem ein­zel­nen ein Werk­zeug zu Ei­nem Zwe­cke. Ihre all­ge­meins­te Wir­kung ist: den Nut­zen der Zen­tra­li­sa­ti­on zu leh­ren.

      Nicht seß­haft. – Man wohnt ger­ne in der klei­nen Stadt; aber von Zeit zu Zeit treibt ge­ra­de sie uns in die ein­sams­te un­en­t­hüll­tes­te Na­tur: dann näm­lich, wenn jene uns ein­mal wie­der zu durch­sich­tig ge­wor­den ist. End­lich ge­hen wir, um uns wie­der von die­ser Na­tur zu er­ho­len, in die große Stadt. Ei­ni­ge Züge aus der­sel­ben – und wir er­ra­ten den Bo­den­satz ih­res Be­chers, – der Kreis­lauf, mit der klei­nen Stadt am An­fan­ge, be­ginnt von neu­em. – So le­ben die Mo­der­nen: wel­che in al­lem et­was zu gründ­lich sind, um seß­haft zu sein gleich den Men­schen an­de­rer Zei­ten.

      Re­ak­ti­on ge­gen die Ma­schi­nen-Kul­tur – Die Ma­schi­ne, sel­ber ein Er­zeug­nis der höchs­ten Denk­kräf­te, setzt bei den Per­so­nen, wel­che sie be­die­nen, fast nur die nie­de­ren, ge­dan­ken­lo­sen Kräf­te in Be­we­gung. Sie ent­fes­selt da­bei eine Un­mas­se Kraft über­haupt, die sonst schla­fen läge, das ist wahr, aber sie gibt nicht den An­trieb zum Hö­her­stei­gen, zum Bes­ser­ma­chen, zum Künst­ler­wer­den. Sie macht tä­tig und ein­för­mig- das er­zeugt aber auf die Dau­er eine Ge­gen­wir­kung, eine ver­zwei­fel­te Lan­ge­wei­le der See­le, wel­che durch sie nach wech­sel­vol­lem Mü­ßig­gan­ge dürs­ten lernt.

      Die Ge­fähr­lich­keit der Auf­klä­rung. – Al­les das Halb­ver­rück­te, Schau­spie­le­ri­sche, Tie­risch-Grau­sa­me, Wol­lüs­ti­ge, na­ment­lich Sen­ti­men­ta­le und Sich-selbst- Berau­schen­de, was zu­sam­men die ei­gent­lich re­vo­lu­tio­näre Sub­stanz aus­macht und in Rous­seau, vor der Re­vo­lu­ti­on, Fleisch und Geist ge­wor­den war, – die­ses gan­ze We­sen setz­te sich mit per­fi­der Be­geis­te­rung noch die Auf­klä­rung auf das fa­na­ti­sche Haupt, wel­ches durch die­se sel­ber wie in ei­ner ver­klä­ren­den Glo­rie zu leuch­ten be­gann: die Auf­klä­rung, die im Grun­de je­nem We­sen so fremd ist und, für sich wal­tend, still wie ein Licht­glanz durch Wol­ken ge­gan­gen sein wür­de, lan­ge Zeit zu­frie­den da­mit, nur die Ein­zel­nen um­zu­bil­den: so daß sie nur sehr lang­sam auch die Sit­ten und Ein­rich­tun­gen der Völ­ker um­ge­bil­det hät­te. Jetzt aber, an ein ge­walt­sa­mes und plötz­li­ches We­sen ge­bun­den, wur­de die Auf­klä­rung sel­ber ge­walt­sam und plötz­lich. Ihre Ge­fähr­lich­keit ist da­durch fast grö­ßer ge­wor­den als die be­frei­en­de und er­hel­len­de Nütz­lich­keit, wel­che durch sie in die große Re­vo­lu­ti­ons-Be­we­gung kam. Wer dies be­greift, wird auch wis­sen, aus wel­cher Ver­mi­schung man sie her­aus­zu­zie­hen, von wel­cher Ve­run­rei­ni­gung man sie zu läu­tern hat: um dann, an sich sel­ber, das Werk der Auf­klä­rung fort­zu­set­zen und die Re­vo­lu­ti­on nach­träg­lich in der Ge­burt zu er­sti­cken, un­ge­sche­hen zu ma­chen.

      Die Lei­den­schaft im Mit­tel­al­ter. – Das Mit­tel­al­ter ist die Zeit der größ­ten Lei­den­schaf­ten. We­der das Al­ter­tum noch un­se­re Zeit hat die­se Aus­wei­tung der See­le: ihre Räum­lich­keit war nie grö­ßer, und nie ist mit län­ge­ren Maß­stä­ben ge­mes­sen wor­den. Die phy­si­sche Ur­wald-Leib­lich­keit von Bar­ba­ren­völ­kern und die über­see­len­haf­ten, über­wa­chen, all­zuglän­zen­den Au­gen von christ­li­chen Mys­te­ri­en-Jün­gern, das Kind­lichs­te, Jüngs­te und eben­so das Über­reifs­te, Al­ters­mü­des­te, die Ro­heit des Raub­tiers und die Ver­zär­te­lung und Auss­pit­zung des spätan­ti­ken Geis­tes – al­les dies kam da­mals an Ei­ner Per­son nicht sel­ten zu­sam­men: da muß­te, wenn ei­ner in Lei­den­schaft ge­riet, die Strom­schnel­le des Ge­mü­tes ge­wal­ti­ger, der Stru­del ver­wirr­ter, der Sturz tiefer sein als je. – Wir neue­ren Men­schen dür­fen mit der Ein­bu­ße zu­frie­den sein, wel­che hier ge­macht wor­den ist.

      Rau­ben und Spa­ren. – Alle geis­ti­gen Be­we­gun­gen ge­hen vor­wärts, in­fol­ge de­ren die Gro­ßen zu rau­ben, die Klei­nen zu spa­ren hof­fen kön­nen. Des­halb ging zum Bei­spiel die deut­sche Re­for­ma­ti­on vor­wärts.

      Fröh­li­che See­len. – Wenn auf Trunk, Trun­ken­heit und eine übel­rie­chen­de Art von Un­flä­te­rei auch nur von fer­ne hin­ge­winkt wur­de, dann wur­den die See­len der äl­te­ren Deut­schen fröh­lich, – sonst wa­ren sie ver­dros­sen; aber dort hat­ten sie ihre Art von Ver­ständ­nis-In­nig­keit.

      Das aus­schwei­fen­de Athen. – Selbst als der Fisch­markt Athens sei­ne Den­ker und Dich­ter be­kom­men hat­te, be­saß die grie­chi­sche Aus­schwei­fung im­mer noch ein idyl­li­sche­res und fei­ne­res Aus­se­hen, als es je die rö­mi­sche oder die deut­sche Aus­schwei­fung hat­te. Die Stim­me Ju­ve­nals hät­te dort wie eine hoh­le Trom­pe­te ge­klun­gen: ein ar­ti­ges und fast kind­li­ches Ge­läch­ter hät­te ihm geant­wor­tet.

      Klug­heit der Grie­chen. – Da das Sie­gen- und Her­vor­ra­gen-wol­len ein un­über­wind­li­cher Zug der Na­tur ist, äl­ter und ur­sprüng­li­cher als alle Ach­tung und Freu­de der Gleich­stel­lung, so hat der grie­chi­sche Staat den gym­nas­ti­schen und mu­si­schen Wett­kampf in­ner­halb der Glei­chen sank­tio­niert, also einen Tum­mel­platz ab­ge­grenzt, wo je­ner Trieb sich ent­la­den