Robert Musil

Gesammelte Werke


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dich?»

      «Ja.»

      «Aber so ganz einfach ein Schmerz? Du fühlst, daß du leidest, und du willst dem entgehen? Ganz einfach und ohne Komplikation?»

      Basini fand keine Antwort.

      «Nun ja, ich frage nur so nebenher, nicht genau genug. Aber das ist ja gleichgültig. Ich habe nichts mehr mit dir zu tun; ich sagte es schon. Ich vermag in deiner Gesellschaft nicht das geringste mehr zu fühlen. Mach, was du willst …»

      Törleß wollte gehen.

      Da riß sich Basini die Kleider vom Leibe und drängte sich an Törleß heran. Sein Körper war von Striemen überzogen, – widerwärtig. Seine Bewegung elend wie die eines ungeschickten Freudenmädchens. Ekelnd wandte sich Törleß ab.

      Er hatte aber kaum die ersten Schritte in das Dunkel hineingetan, als er auf Reiting stieß.

      «Was ist das, du hast geheime Zusammenkünfte mit Basini?»

      Törleß folgte dem Blicke Reitings und sah auf Basini zurück. Gerade an der Stelle, wo dieser stand, fiel von einer Dachluke her ein breiter Balken Mondlicht ein. Die bläulich überhauchte Haut mit den wunden Malen sah darin aus wie die eines Aussätzigen. Unwillkürlich suchte sich Törleß für diesen Anblick zu entschuldigen.

      «Er hat mich darum gebeten.»

      «Was will er?»

      «Ich soll ihn beschützen.»

      «Na, da ist er ja an den Richtigen gekommen.»

      «Vielleicht würde ich es doch tun, aber mir ist die ganze Geschichte langweilig.»

      Reiting sah unangenehm betroffen auf, dann fuhr er zornig Basini an.

      «Wir werden dich schon lehren, Heimlichkeiten gegen uns anzustiften! Dein Schutzengel Törleß wird selbst zusehen und sein Vergnügen daran haben.»

      Törleß hatte sich bereits abgewandt gehabt, aber diese offenbar an seine Adresse gerichtete Bosheit hielt ihn, ohne daß er überlegte, zurück.

      «Höre, Reiting, das werde ich nicht tun. Ich will nichts mehr damit zu schaffen haben; mir ist das Ganze zuwider.»

      «Auf einmal?»

      «Ja, auf einmal. Denn früher suchte ich hinter all dem etwas. …» Warum nur drängte sich ihm dies jetzt wieder beständig auf …!

      «Aha, das zweite Gesicht.»

      «Jawohl; jetzt aber sehe ich nur, daß du und Beineberg abgeschmackt roh seid.»

      «Oh, du sollst sehen, wie Basini Kot frißt», witzelte Reiting.

      «Das interessiert mich jetzt nicht mehr.»

      «Hat dich aber doch …!»

      «Ich sagte dir schon, nur solange mir Basinis Zustand dabei ein Rätsel war.»

      «Und jetzt?»

      «Ich weiß jetzt nichts von Rätseln. Alles geschieht: Das ist die ganze Weisheit.» Törleß wunderte sich, daß ihm auf einmal wieder Gleichnisse einfielen, die sich jenem verloren gegangenen Empfindungskreise näherten. Als Reiting spöttisch erwiderte, «nun, diese Weisheit braucht man wohl nicht erst weither zu holen», schoß daher in ihm ein zorniges Gefühl der Überlegenheit empor und legte ihm harte Worte in den Mund. Für einen Augenblick verachtete er Reiting so sehr, daß er ihn am liebsten mit Füßen getreten hätte.

      «Spotten magst du; was aber ihr jetzt treibt, ist nichts als eine gedankenlose, öde, ekelhafte Quälerei!»

      Reiting warf einen Seitenblick auf den aufhorchenden Basini.

      «Halte dich zurück, Törleß!»

      «Ekelhaft, schmutzig – du hast es gehört!»

      Jetzt brauste auch Reiting auf.

      «Ich verbiete dir, uns hier vor Basini zu beschimpfen!»

      «Ach was. Du hast nichts zu verbieten! Die Zeit ist vorbei. Ich hatte einmal vor dir und Beineberg Respekt, jetzt sehe ich aber, was ihr gegen mich seid. Stumpfsinnige, widerwärtige, tierische Narren!»

      «Halte deinen Mund, oder …!!» Reiting schien auf Törleß zuspringen zu wollen. Törleß wich einen Schritt zurück und schrie ihn an: «Glaubst du, ich werde mich mit dir prügeln?! Dafür steht mir Basini nicht. Mach mit ihm, was du willst, aber laß mich jetzt vorbei!!»

      Reiting schien sich eines Besseren als seines Dreinschlagens besonnen zu haben und trat zur Seite. Nicht einmal Basini rührte er an. Aber Törleß, der ihn kannte, wußte nun, daß hinter seinem Rücken eine bösartige Gefahr drohe.

      Schon am zweitnächsten Nachmittage traten Reiting und Beineberg auf Törleß zu.

      Dieser bemerkte den bösen Ausdruck ihrer Augen. Offenbar trug Beineberg den lächerlichen Zusammenbruch seiner Prophezeiungen nun ihm nach, und Reiting mochte ihn überdies bearbeitet haben.

      «Wie ich hörte, hast du uns beschimpft. Noch dazu vor Basini. Weswegen?»

      Törleß gab keine Antwort.

      «Du weißt, daß wir uns solches nicht bieten lassen. Weil aber du es bist, dessen launenhafte Einfälle wir ja gewöhnt sind und nicht hoch anschlagen, wollen wir die Sache ruhen lassen. Nur eines mußt du tun.» Trotz dieser freundlichen Worte war etwas böse Wartendes in Beinebergs Augen.

      «Basini kommt heute nacht in die Kammer; wir werden ihn dafür züchtigen, daß er dich aufhetzte. Wenn du uns weggehen siehst, komme nach.»

      Aber Törleß sagte nein: «… Ihr könnt machen, was ihr wollt; mich müßt ihr dabei aus dem Spiele lassen.»

      «Wir werden heute nacht Basini noch genießen, morgen liefern wir ihn der Klasse aus, denn er beginnt sich aufzulehnen.»

      «Macht, was ihr wollt.»

      «Du wirst aber dabei sein.»

      «Nein.»

      «Gerade vor dir muß Basini sehen, daß ihm nichts gegen uns helfen kann. Gestern weigerte er sich schon, unsere Befehle auszuführen; wir haben ihn halbtot geschlagen, und er blieb dabei. Wir müssen wieder zu moralischen Mitteln greifen, ihn erst vor dir, dann vor der Klasse demütigen.»

      «Ich werde aber nicht dabei sein!»

      «Warum?»

      «Nein.»

      Beineberg schöpfte Atem; er sah aus, als wolle er Gift auf seinen Lippen sammeln, dann trat er ganz nahe an Törleß heran.

      «Glaubst du wirklich, daß wir nicht wissen, warum? Denkst du, wir wissen nicht, wie weit du dich mit Basini eingelassen hast?»

      «Nicht weiter als ihr.»

      «So. Und da würde er gerade dich zu seinem Schutzpatron erwählt haben? Was? – Gerade zu dir würde ihn das große Zutrauen erfaßt haben? Für so dumm wirst du uns doch nicht halten.»

      Törleß wurde zornig. «Wißt, was ihr wollt, mich aber laßt jetzt mit euren dreckigen Geschichten in Ruhe.»

      «Wirst du schon wieder grob?!»

      «Ihr ekelt mich an! Eure Gemeinheit ist ohne Sinn! Das ist das Widerwärtige an euch.»

      «So höre. Du solltest uns für so manches zur Dankbarkeit verpflichtet sein. Wenn du glaubst, dich trotzdem jetzt über uns erheben zu können, die wir deine Lehrmeister waren, so irrst du dich arg. Kommst du heute abend mit oder nicht??»

      «Nein!»

      «Mein lieber Törleß, wenn du dich gegen uns auflehnst und nicht kommst, so wird es dir gerade so gehen wie Basini. Du weißt, in welcher Situation dich Reiting getroffen hat. Das genügt. Ob wir mehr oder weniger getan haben, wird dir wenig nützen. Wir werden alles gegen dich wenden. Du bist in solchen Dingen lange zu dumm und unentschlossen, um dagegen aufkommen zu können.

      Wenn du dich also nicht rechtzeitig besinnst, stellen wir dich der Klasse als den Mitschuldigen Basinis hin. Dann mag er dich beschützen. Verstanden?»

      Wie ein Unwetter war diese Flut von Drohungen, bald von Beineberg,