Rodolphe Topffer

Die Bibliothek meines Oheims


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wie man aus den nachfolgenden Erzählungen sehen kann.

      Das schon erwähnte Gefängniß hatte nur ein einziges Fenster nach meiner Seite her. Gefängnisse sind überhaupt nicht reich an Fenstern.

      Dieses Fenster nun sitzt in einer schwarzen düstern Mauer. Eiserne Stangen wehren dem Gefangenen den Kopf herauszustecken und eine Vorkehrung draußen beraubt ihn der Aussicht auf die Straße und läßt nur wenig Himmelslicht in die Tiefe seiner Klause dringen. Ich erinnere mich, daß der Anblick dieses Mauerlochs mir damals nichts als Schrecken und Zorn einflößte. Ich bildete mir ein, daß die ganze Welt voll ehrlicher Leute sei, und darum schien es mir ruchlos, daß ein Einzelner darin sich herausnahm, Dieb oder Mörder zu sein, und die Gerechtigkeit, welche ehrliche Leute gegen dergleichen Ungeheuer beschirmte, erschien mir als eine heilige, strenge Matrone, deren Urtheile nicht zu streng sein konnten. Später änderte ich diese Ansicht: die Gerechtigkeit erschien mir nicht mehr so heilig, die ehrlichen Leute sanken in meiner Achtung und in jenen Ungeheuern fand ich allzuoft nur Opfer des Elendes, der Verführung, der Ungerechtigkeit.... Da kam das Mitleid und milderte meinen Zorn.

      Der Geist eines Kindes ist entschieden, weil sein Auge beschränkt ist. Alle Fragen sind ihm einfach, weil es nur eine Seite derselben sieht, und deshalb scheint seinem minder aufgeklärten als geraden Sinne die Lösung eben so einfach als klar. Aus diesem Grunde sagen die Sanftesten unter ihnen zuweilen Hartherzigkeiten und die Aeußerungen der Zartfühlendsten sind grausam. Ohne daß ich darum gerade diesen Zartfühlendsten angehört hätte, begegnete mir dies oft. Wenn ich einen Menschen nach dem Gefängniß bringen sah, so sprach meine ganze Theilnahme für die Gendarmen, mein ganzer Abscheu gegen den Gefangenen. Dies war weder Grausamkeit, noch Gemeinheit, sondern Rechtlichkeitssinn. Bei minder kindlichem Gemüthe hätte ich die Gendarmen verabscheut und den Gefangenen beklagt.

      Eines Tages sah ich einen solchen vorüberziehen, der meine ganze Entrüstung erregte. Es war ein Mitschuldiger an einem grausamen Morde; sie hatten zu zweien einen Greis getödtet, um das Geld desselben zu bekommen, und dann hatten sie sich eines unschuldigen Zeugen, eines Kindes, das bei dem Morde anwesend war, durch einen zweiten Mord entledigt. Der Genosse dieses Menschen war zum Tode, er aber durch die Geschicklichkeit seines Vertheidigers oder durch sonst mildernde Gründe blos zu lebenslänglichem Kerker verurtheilt. In dem Augenblick, wo er ins Gefängniß treten sollte, ging er unter meinem Fenster vorüber, er sah die benachbarten Häuser neugierig an, seine Augen begegneten den meinigen; er lächelte, als ob er mich kennte! Dies Lächeln machte einen tiefen, widerwärtigen Eindruck auf mich. Den ganzen Tag konnte ich es nicht mehr aus den Gedanken bringen. Ich beschloß, meinem Lehrer es mitzutheilen, und dieser ergriff die Gelegenheit, mir eindringliche Vorstellung über die viele Zeit zu machen, die ich durch das Schauen auf die Straße verlöre.

      Mein Lehrer war doch, wenn ich es recht bedenke, ein drolliger Mann: brav und pedantisch, ehrbar und komisch, ernst und lächerlich, so daß er auf mich zu gleicher Zeit einen Ehrfurcht und Lachen erregenden Eindruck machte. Die Gewalt strenger Ehrbarkeit, der Einfluß strenger Grundsätze ist aber, wenn das eigene Benehmen ihnen nicht widerspricht, so groß, daß Ratin trotz des wahrhaft lächerlichen Eindruckes, den er auf mich machte, eine weit größere Gewalt über mich übte, als mancher weit geschicktere oder tüchtigere Lehrer, bei dem ich aber den geringsten Zwiespalt zwischen den Vorschriften, die er mir aufstellte, und denen, die er selbst befolgte, bemerkt hätte.

      Er war ein Ausbund von Tugend. Wir überschlugen ganze Seiten im Telemach, weil sie den guten Sitten gefährlich wären, und mit der größten Sorgsamkeit suchte er mich vor jeder Neigung zu der verliebten Kalypso zu bewahren, wobei er mir bemerklich machte, daß ich in der Welt noch eine Menge gefährlicher Weiber antreffen würde, die ihr ähnlich wären.

      Diese Kalypso verabscheute er, Kalypso, obwol eine Göttin, war ihm ein Gräuel. Die lateinischen Klassiker lasen wir übrigens nur nach dem gesäuberten Texte des Jesuiten Juventius und dennoch sprangen wir über eine Menge Stellen hinweg, die der strenge Jesuit für ungefährlich gehalten hatte. Hieraus war die entsetzliche Vorstellung, die ich mir von vielen Dingen machte, entsprungen, wie nicht minder die entsetzliche Furcht, dem Herrn Ratin meine unschuldigsten Gedanken merken zu lassen, wenn sie auch nur den leichtesten Anflug von Liebe hatten, oder im entferntesten mit Kalypso in Berührung standen, diesem Gespenste Ratins.

      Es ließe sich Vieles hierüber sagen. Diese Methode entzündet weit mehr, als sie löscht; sie läßt nicht zum Ausbruch kommen, aber sie beugt nicht vor. Sie erzeugt viel eher Vorurtheile als Grundsätze. Ihre erste Wirkung ist namentlich, daß sie sonst unfehlbar immer die Unschuld, diese zarte Blume, die ein Lächeln beugt, die nichts wieder aufrichten kann, in Gefahr bringt.

      Uebrigens war Herr Ratin ganz vollgepfropft von Latein und alten Rom, sonst aber ein guter Kerl, der nicht so streng war, als gern er Strafpredigten hielt. Beim Dintenfleck citirte er den Seneca, bei einem Schelmenstreich den Cato von Utika als Beispiel. Eines aber konnte er mir nimmer vergeben, und das war mein unsinniges Lachen. Der Mann sah in meinem albernen Gelächter die sonderbarsten Dinge: den Zeitgeist, eine frühzeitige Verderbtheit, das sichere Vorzeichen einer bejammernswerthen Zukunft. Ueber diesen Punkt redete er leidenschaftlich und ohne Aufhören. Ich schreibe dies einer Warze zu, die er auf der Nase hatte.

      Diese Warze war von der Dicke einer Kichererbse und mit einer kleinen Anzahl sehr feiner und sehr hygrometrischer Haare besetzt; denn ich hatte bemerkt, daß sie mit der Veränderung der Witterung bald steifer, bald schlaffer dastanden. Nun kam es zuweilen, daß ich während meiner Stunden auf die unschuldigste Weise von der Welt, aus bloßer Neugierde und ohne einen Gedanken an Spott die Warze betrachtete. Dann fuhr er mich heftig an und kanzelte mich über meine Zerstreuung tüchtig ab. Ein anderes Mal, freilich seltener, wollte eine Fliege sich durchaus, trotz des ungeduldigen Zorns meines Lehrers, darauf setzen. Er beschleunigte alsdann die Erklärung unsers Autors, damit ich über der Arbeit diesen sonderbaren Kampf nicht bemerken sollte. Allein das war für mich eben ein Zeichen, daß etwas vorgehe, und eine unwiderstehliche Neugierde trieb mich an, meinen Blick verstohlen auf sein Gesicht zu werfen. Je nachdem, was es nun eben gab, faßte mich meine närrische Lachlust, und je eigensinniger die Fliege war, desto unwiderstehlicher wurde es bei mir und ich platzte heraus. Herr Ratin schien dann durchaus in der Welt nicht die Ursachen eines solchen Scandals zu begreifen; er donnerte gegen das unsinnige Lachen im allgemeinen und führte mir die schrecklichen Folgen desselben zu Herzen.

      Nichts desto weniger ist das tolle Lachen eins der herrlichsten Dinge, die ich kenne. Es ist eine verbotene Frucht und darum vortrefflich. Mich haben nicht so sehr die Strafpredigten meines Lehrers davon geheilt, als das Alter. Um so recht mit Herzenslust unsinnig zu lachen, muß man Schüler sein und wo möglich einen Lehrer haben, der auf der Nase eine Warze mit drei spaßhaften Härchen besitzt.

      .... Dies Alter ist ohne Rücksicht!

      Beim Nachdenken über diese Warze ist mir die Ansicht gekommen, daß alle reizbaren Leute irgend eine physische oder moralische Schwäche haben, eine sichtbare oder unsichtbare Warze, welche sie auf die Meinung bringt, daß man über sie spotte. Vor solchen Leuten lache man nicht: das hieße über sie lachen; man rede niemals von Lupe und Warze: das sind Anspielungen; nimmer von Cicero und Scipio Nasica, sonst hat man es mit ihnen zu thun.

      Es war die Zeit der Maikäfer; sie hatten mir bis dahin ungemein viel Vergnügen gemacht, aber ich verlor den Spaß daran. Wie man doch altert!

      Indeß, wenn ich allein in meiner Kammer saß und unter tödtlich langer Weile meine Aufgaben arbeitete, so verschmähte ich die Gesellschaft von einem oder einem Paar solcher Thiere nicht. Ich muß übrigens bemerken, daß sie nicht mehr an einen Faden gebunden, um sie fliegen zu lassen, oder an einen kleinen Wagen gespannt wurden, zu dergleichen kindischen Spielereien war ich schon zu alt geworden. Wenn man aber meint, daß sich weiter nichts mit einem Maikäfer anfangen ließe, so irrt man gewaltig. Zwischen den Kinderspielen und den ernsten Studien des Naturforschers liegen noch viele Stufen.

      Ich