verbunden, unauflöslich mit einander verschmolzen – denn es handelt sich hier nicht um eine Verbindung oder Verschmelzung! Nein, sie sind eins, sind ein Ganzes, als solches organisch gewachsen, und ebendarum untrennbar. Der Forscher mag die Elemente sondern, wie er auch die Pflanze oder den Tierkörper zerlegt, in Wahrheit aber liegt eine organische Bildung vor, die ganz einheitlich aus dem indischen Geiste entsprossen ist – eine religiös-philosophische Dichtung mit starkem ethischen Einschlag – ein für Indien höchst charakteristisches Produkt, denn gerade die Einheit von Philosophie, Religion und Moral, getragen von hohem dichterischen Schwunge, tritt uns in diesem Lande so eindrucksvoll entgegen, womit nicht gesagt sein soll, daß die Inder nicht auch streng systematische, nüchtern analytische philosophische Betrachtung gekannt haben. In der Bhagavadgîtâ aber handelt es sich in der Tat „um eine Philosophie, die nicht als Lehrgebäude bewundert werden, sondern den ganzen Menschen durchdringen und erneuern, also Religion sein will, die verlangt, daß man sie lebt“[5].
Mit Recht hebt Chamberlain gerade diese organische Einheit von Philosophie und Religion als das auszeichnende Merkmal des indischen Geistes hervor. „In einer Beziehung – sagt er – steht das geistige Leben der Indoarier unerreichbar hoch über dem unsrigen: insofern nämlich dort die Philosophie Religion war und Religion Philosophie“. „Kein Mann stand in Indien geistig so tief, daß er nicht etwas Philosophie besessen hätte, kein kühnster Flügelschlag des Denkens erhob den außerordentlich Begabten so hoch, daß er nicht noch inbrünstig religiös geblieben wäre“[6].
Äußerlich betrachtet erscheint die Bhagavadgîtâ als eine Episode des großen Epos Mahâbhârata, dem sechsten Buche desselben angehörend, eine Episode, die in der orginellsten, ja in wahrhaft indischer Weise der Erzählung eingefügt ist:
Krishna, eine Inkarnation des Gottes Vishnu, geleitet den Pânduiden Arjuna als dessen Wagenlenker in den großen Kampf der Kuru und Pându-Söhne. Als Arjuna seine Verwandten, Freunde und Lehrer vor sich in den Reihen der Feinde erblickt, zögert er vorzugehen, wird unschlüssig und kleinmütig. Wie soll er mordend vorgehen gegen diese ihm nahestehenden Menschen? – Da ermahnt ihn Krishna, solche Bedenken fahren zu lassen und seine Pflicht als Kämpfer zu tun. Es entspinnt sich ein Gespräch und Krishna entwickelt nun angesichts beider Heere in achtzehn Gesängen dem Arjuna seine ganze Welt- und Lebensanschauung, aus welcher die Pflicht, handelnd vorzugehen, als praktische Konsequenz resultiert[7].
Entsprechend diesem unmittelbar praktischen Anlaß der ganzen Erörterung ist es vor allem die praktische Moral, die in leuchtenden Zügen hier hervortritt, als das große Ergebnis alles dessen, was Krishna vorträgt, der strahlende Gipfel seiner gesamten Darlegung, wohl geeignet, als Leitstern des Lebens zu dienen. Auf dem Grunde metaphysischer Spekulation baut sich hier eine erhabene Sittenlehre auf, wie wir sie in den eigentlichen Systemen der Philosophie schmerzlich vermissen, eine Sittenlehre, die in ihrer Strenge und Reinheit wahrhaft imponierend wirkt und es wohl verdient, dem kategorischen Imperativ Immanuel Kants an die Seite gestellt zu werden.
Tu deine Pflicht!
Nach dem Erfolg des Handelns frage nicht!
Das ist das Leitmotiv dieser Lehre. Den ewigen heiligen Geboten der Moral folgend sollen wir unentwegt tapfer handelnd unsere Pflicht erfüllen, unbekümmert darum, wie schwer es uns ankommt; nie darnach fragend, welcher Erfolg uns dabei erblühen möchte. Dann winkt uns zuletzt als schönster Lohn „die höchste Bahn“, d. h. der Eingang zu der ewigen heiligen Gottheit, die die Grundlage der gesamten Weltordnung bildet und auch uns allen unsere Pflichten gesetzt hat.
Entsprechend dem System der Sânkhya-Philosophie, wie auch der vereinigten Sânkhya-Yoga-Lehre, wird hier – zum mindesten in gewissen Partieen des Textes – ein ursprünglicher Dualismus von Natur und Geist gelehrt (prakriti und purusha). Beide sind anfangslos und ewig (vgl. Bhag. XIII, 19); der Körper, dem Bereiche der Natur angehörig, ist zusammengesetzt und vergänglich, an seiner Erhaltung nichts gelegen. Die Seele einfach und unvergänglich, mit verschiedenen Körpern sich umkleidend, bis sie die Vereinigung mit dem höchsten Wesen erlangt. Diese Vereinigung soll aber nicht in untätiger Beschaulichkeit gesucht werden, obwohl auch die zeitweilige Meditation ihre volle Berechtigung hat. Wir sollen vielmehr handelnd unsere Pflicht erfüllen, aber mit absolutem Gleichmut, ohne Rücksicht auf die Folgen, ohne Begier nach den Früchten unseres Tuns, nur dem reinen Pflichtgebot gehorchend.
Ich habe soeben die dualistische Sânkhya-Lehre als philosophische Grundlage der Bhagavadgîtâ erwähnt. Indessen kann keine Rede davon sein, daß wir die Lehren dieser Philosophie in dem Gedichte rein und konsequent vorgetragen finden. Es gibt vielmehr nicht wenige Stellen, welche zu diesem System durchaus nicht stimmen wollen, sondern ihm geradezu widersprechen. Diese Widersprüche konnte schon W. v. Humboldt s. Z. nicht übersehen. Er suchte dieselben, recht einleuchtend, folgendermaßen zu erklären: „Es ist ein Weiser – sagt er – der aus der Fülle und Begeisterung seines Gefühls spricht, nicht ein durch eine Schule geübter Philosoph, der seinen Stoff nach einer bestimmten Methode verteilt und an dem Faden einer kunstvollen Ideenverkettung zu den letzten Sätzen seiner Lehre gelangt“[8].
Mit diesen Worten W. v. Humboldts, die zweifellos ihre volle Berechtigung haben, suchte man sich lange über die vielen anscheinenden Widersprüche und Divergenzen des tiefsinnigen Gedichtes hinüberzuhelfen. Es ist ein Gedicht und soll ein Gedicht sein, darum darf man eine streng systematische Gedankenentwicklung hier auch nicht erwarten. Es ist ein Weiser, ein hochgestimmter Dichter, der hier redet, kein Philosoph von Fach – wie man heute sagen würde –, ein tief religiös und ethisch gerichteter, mit allerlei Philosophie und Theosophie seines Landes vertrauter und dafür begeisterter Dichter, der aus dem Überschwang seiner Empfindung heraus in wechselnden Stimmungen redet. Das ließ in der Tat so manche Inkonsequenzen erklärlich und entschuldbar erscheinen[9].
Dennoch war es nicht leicht, sich mit diesen Dingen abzufinden, wenn man sich in das Studium der Bhagavadgîtâ mit einigem Ernst vertiefte. Der Dichter bekannte sich anscheinend deutlich zur Sânkhya-Yoga-Lehre. Er nannte sie öfters mit ihrem Namen, pries ihre Weisheit mit hochklingenden Worten und sagte direkt, daß er sie verkünde. Er gab das dualistische Grundprinzip dieser Lehre klar an, bediente sich einer ihr so charakteristischen Theorie wie der Lehre von den drei Gunas, den drei Qualitäten, nach denen die ganze Welt geordnet und eingeteilt ist (sattva Güte oder Wesenheit, rajas Leidenschaft, tamas Finsternis) u. a. m. Aber es fehlte auch nicht an zahlreichen Versen, die ganz deutlich Vedântagedanken aussprachen; Gedanken, die ganz wohl in einer Upanishad stehen konnten und die es durchaus begreiflich erscheinen ließen, daß die Bhagavadgîtâ selbst geradezu als eine Upanishad bezeichnet wurde, resp. die einzelnen Kapitel derselben als Upanishaden[10].
Vedânta und Sânkhya liegen weit auseinander. Der Vedânta, dessen feste Grundlage in den Upanishaden, den ältesten philosophischen Traktaten der Inder, vorliegt, ist streng monistisch und idealistisch – die indische All-Eins-Lehre. Der Atman-Brahman, die heilige Weltseele, ist der Urgrund alles Seins, aus ihm allein ist Alles, ist die gesamte Welt hervorgegangen, wie die Funken aus dem Feuer springen, wie das Spinngewebe aus dem Leibe der Spinne hervorgeht, wie die Töne aus der gespielten Laute herausquellen. Unsere eigene Seele aber ist im innersten Kern mit dieser Weltseele identisch. Nur ein Irrtum läßt uns überall Verschiedenheit sehen, denn in Wahrheit ist das ganze All nur Eins, das ἑν καὶ πᾶν – und das principium individuationis ist bloß eine Täuschung, durch Unwissenheit erzeugt, bloß ein Schein. Wer diese Täuschung erkennt, diesen Schein durchschaut, in Allem nur das Eine sieht – den einen Herrn[11] –, sich selbst als identisch mit dem Atman-Brahman erkennt, der ist erlöst. Die Sânkhya-Philosophie ist im Gegensatz dazu streng dualistisch, realistisch und rationalistisch. Sie geht von dem aus, was die empirische Beobachtung uns darbietet. Die Materie (Natur) auf der einen Seite, eine Vielheit individueller Seelen auf der anderen Seite, das sind nach dieser Lehre die beiden, total voneinander verschiedenen, gleicherweise ewigen Prinzipien, aus denen diese Welt zusammengesetzt und aufgebaut ist. Die vielen individuellen Seelen sind in die Körper gebannt, sie wandern durch die Körper, von einem zum andern, bis endlich die Seele zu der Erkenntnis ihrer totalen wesenhaften Verschiedenheit von dem Körper gelangt. Dann ist sie erlöst, dann wandert sie nicht weiter nach dem Tode, ist für immer von dem Körper befreit. Von einem Gott, von einer Weltseele ist in diesem System nicht die Rede. Wie war es möglich, in ein