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Franz von Seeburg
Die Hexenrichter von Würzburg
Historische Novelle
Veröffentlicht im Good Press Verlag, 2021
EAN 4064066114084
Inhaltsverzeichnis
5. Kapitel: Ein blindes Kind - ein blinder Richter
9. Kapitel: Der Jesuit im Gefängnis
10. Kapitel: Elsa und Edeltraut vor den Richtern
11. Kapitel: Der Richter im Gefängnisse
12. Kapitel: Das Elend und der Wahn wachsen
13. Kapitel: »Priester im Bunde des Satans«
14. Kapitel: Blutiges Morgenrot
15. Kapitel: Der Wahrheit Sieg
1. Kapitel: Fahrendes Volk
Rings düsterer Wald. Alte Buchen, mächtige Föhren und Tannen beschatten einen Boden, den nur selten eines Wanderers Fuß betritt. Ungestört äst dort der Hirsch, weidet das Reh und krächzt die Eule. Die geheimnisvolle Weihe von Jahrhunderten liegt über diesem Meere von Bäumen, über das wilde Stürme hinweggebraust und über dem so oft des herrlichen Frankenlandes Sonne aufgegangen. Neben der in sich zusammenbrechenden Eiche keimt und sproßt neues junges Leben in saftweichem Grün, unter dem Schatten weitästiger Buchen glüht unbegehrt und ungepflückt im schwellenden Moosgrunde die Erdbeere. Dem Schiffe gleich, das stolz die Wellen durchschneidet, fliegt in majestätischem Flügelschlage der Geier über das wogende Meer grünender Kronen, während in dem dichten Geäste die Sänger des Frühlings aus frischen Kehlen singen.
Dort, wo der Wald sich lichtet und von sanfter Anhöhe nach dem Tale niedersteigt, steht im Tannenschatten ein einsames Haus. Fest, massiv sind seine Mauern, aus regellosem Gesteine gefügt. Rings an den Wänden kriecht der schwarzgrüne Efeu träge hinauf und verschleiert mit seinen Blättern die kleinen Fensterbogen mit ihren sonnenblinden, runden Glasscheiben. Die Haustüre steht offen und gewährt freien Einblick in einen gewölbten, halbdunklen Hausflur, an dessen Ende ein roh gezimmerter alter Eichentisch auf weit gespreizten Beinen steht. Über diesem an der graufarbigen Wand hängt ein Kruzifix, schwarz, schmutzig, von Spinnengeweben umzogen, vom Holzwurme angefressen.
's ist Frühlingsabend. Die scheidende Sonne hat ihren Glanz in ungezählte Lichter gebrochen, welche auf dem jungen zarten Grün der Buchen und auf dem dunkeln Boden des Waldes ihren Abendreigen in feenhaftem Tanze feiern. Auch an dem alten Hause zieht scheidend ein rosiger Strahl vorüber, ein warmer Kuß, auf Leichenlippen gehaucht, und stirbt dann in dem Schatten der Waldesnacht.
Kein Vogelsang mehr! Die kleinen Flöten sind müde geworden und träumen von neuen Liedern für den morgigen Tag. Nur die Eule ächzt wie das Gewissen eines schlaflosen Sünders durch die tiefe Stille des Abends.
Gott grüß euch, ihr Sterne! Warum soll ich euch denken als riesige Körper in endlos weiten Fernen, an denen des Menschen forschender Geist Zirkel und Zahl versucht? Nein, ihr seid mir liebe Engelsaugen, die freundlich auf Flur und Wald und in fromme Menschenherzen niedergrüßen.
Ein greller Pfiff, darauf ein rohes Lachen. Dort teilt sich des Niederwaldes dichtes Geäste und wilde, verwetterte Gestalten treten heraus. Sie schreiten dem alten Hause zu und lagern sich vor demselben ins schwellende Gras.
»Heda, Zuckerwastl!« ruft ein kleiner, dicker Geselle, den breiten Schlapphut fest auf den Kopf gedrückt; »heda, wirf deinen zusammengestohlenen Kram ins Gras! Bist nicht halb mehr der Spitzbube, wenn du die Ware vom Rücken nimmst.«
Der Angeredete streifte stechenden Auges den Dickwanst. Erst löste er die Lederbänder seiner Kraxe, stellte diese beiseite und reckte Arme und Beine; dann fuhr er mit dem Ärmel über sein wettergebräuntes Gesicht, um sich den Schweiß abzutrocknen, und strich endlich mit stolzem Selbstbewußtsein über das abgeschlissene Sammetwams, über dem um den dürren Hals eine Messingkette hing.
»Bist der schmuckste Junker im Frankenlande,« spottete der Dicke weiter; »gehst in Sammet und Seide gleich einem Grafen. Nur schade, daß der ganze Plunder sowenig wert ist als der, der ihn trägt.«
»Pappenheimer,« gab trocken der Zuckerwastl zurück, »stecke deine rote Nase nicht zu tief in meinen Topf, es möchte dir sonst übel ergehen!«
Mit diesen Worten wandte er sich von dem Dicken ab und seinen anderen Gesellen zu.
»Du mein Gott!« lachte er, einem mürrischen Alten vertraulich auf die Schultern schlagend, »wie wirst du grau und schwach, zerbrochener Paulus! Hab' dich auch einst in besseren Zeiten gesehen, ehe sie dir in München im Falkenturme die Glieder gestreckt haben. Ja, ja, Spitzbubenleben macht noch schneller alt als Herrenleben; es geht eben gar zuviel Ungewitter über einen richtigen Schelmenkopf!«
»Dir hat es doch nicht übel bekommen,« gab der zerbrochene Paulus, ein hinkender Alter, halb verdrossen, halb neidig zurück.
»Glaub's wohl,« lachte der Neunaugen, ein widerlicher Kerl mit dünner Stimme und schielenden Augen; »es versteht sich nicht jeder so gut auf sein edles Handwerk wie der Junker Zuckerwastl! So einer solch weisen Kopf zwischen seinen Schultern sitzen hat, mögen ihm die hochgelahrten Herren mit den hänfenen Halskrausen und dem peinlichen Rechte nicht beikommen.«
Der Zuckerwastl nickte dankend für das gespendete Lob, pfiff ein Lied und schritt nach dem Hausflure, um dort den Schenkwirt aufzusuchen. —
Wir haben hier eine Gesellschaft vor uns, wie sie sich in einem alten Gerichtsakte gezeichnet findet, Gauner vom reinsten Wasser, echte Erzeugnisse jener wilden Zeit des beginnenden siebzehnten Jahrhunderts, wo die unteren Volksschichten fast ohne Bildung waren und eine ganz erbärmliche Justiz den letzten Rechtsbegriff in der Menge zerstörte.
Der Zuckerwastl war eine lange, hagere Gestalt mit stechenden Augen und dünnen schwarzen Haaren;