Franz von Seeburg

Die Hexenrichter von Würzburg


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zu redlichem Erwerbe dienen, sondern vielmehr ein Mittel sein, sich als fahrender Händler in die Häuser einzuführen, die Gelegenheit zum Stehlen auszukundschaften und dann mit seinen Gesellen nach Lust und Möglichkeit zu rauben, oder, wenn es nicht anders ging, wohl auch zu morden. Er gehörte zu jenen Landfahrern, welche von wandernden Eltern stammen, ohne Heim und bleibende Stätte, dem Wandertriebe folgend von der Wiege bis zum Galgen oder, wenn er unter einem guten Sterne geboren war, bis zu einer Grube draußen im Walde; ohne Aufblick nach oben, ohne Verständnis des Diesseits, ohne Hoffen und Sehnen nach einem besseren Jenseits. Die wenigen Begriffe von Gott und Religion fanden sich in solchen Menschen nur im Zustande greulichster Verzerrung, daher auch jene mehr dämonische als bloß abergläubische Auffassung vom Wesen und der Gewalt des Satans. Ja, diese Gattung Leute betrachtete sich im Bewußtsein der eigenen Verworfenheit und in dem Gefühle der Verachtung, mit der ihnen jede über ihnen stehende Schichte der Gesellschaft begegnete, als bereits bei lebendigem Leibe dem Teufel zu eigen verfallen und fand, dadurch mit dem Gifte des Hasses erfüllt, eine satte Befriedigung darin, wenn möglich durch Hilfe des Satans Rache an jenen zu üben, die, sei es durch Tugend oder Geistesbildung oder Glücksgüter, hoch über ihnen standen.

      Wie die Neuzeit trotz ihrer teils wirklichen, teils vermeintlichen Aufklärung sich einem epidemischen Wahnsinne im Tischklopfen, Somnambulismus und Magnetismus hingegeben und damit, bewußt oder unbewußt, einen Dämonenkult getrieben hat, und wie diese Abirrung ihren Grund in einer verrückten Anschauung aller göttlichen und irdischen Ordnung und in einer krankhaften sozialen Auffassung hatte: so auch jene Erscheinungen voll beschämender Verirrungen, die uns im Hexen- und Zauberwahne entgegentreten. Sie waren nichts anderes als eine häßliche soziale Krankheit, großgezogen durch religiöse Unbildung und unverstanden von jenen, deren heiligste Pflicht und schönste Aufgabe es gewesen wäre, hier rettend, heilend, versöhnend dazwischenzutreten. Die rohe Gewalt des Scheiterhaufens war dem geistig kranken Volke kein Gegenbeweis seines Irrtums, sondern vielmehr eine unumstößliche Bestätigung seines Wahnglaubens. —

      Der Zuckerwastl war so ganz ein Produkt seiner Zeit: keck, verwegen, auf einen Gott nicht hoffend, aber dem Teufel vertrauend, ein Fremdling auf der weiten Welt und doch überall zu Hause, wo Gelegenheit oder Verbrechen ihm den Tisch deckten, jeden hassend und sich selbst nicht liebend, dagegen Rad und Galgen als sicheren Schlußstein eines trost- und friedelosen Lebens stets vor Augen.

      Eine dunkle, gestaltlose Ahnung erzählte ihm noch von Eltern. Als Bube streunte er bettelnd und stehlend Land auf und ab, sah keine Schule, hörte kein Gotteswort, kniete in keinem Beichtstuhle, verstand kein Gebet, ward Jüngling und Mann und Verbrecher, und berechnete als solcher sein Leben nicht nach Tagen und guten Werken, sondern nur mehr nach Übeltaten und rohen Genüssen.

      Die Gesellschaft, die sich in buntem Wechsel um ihn als ihren Kernpunkt kristallisierte, war nicht besser als er selbst. Dort sehen wir unter dem langen Abendschatten des einsamen Waldhauses den Pappenheimer und den zerbrochenen Paulus, beide Kesselflicker aus der Passauer Gegend, Meister in der Zunft der Diebe, Räuber und Brandstifter. Dann noch den Neunaugen, einen ehemaligen Dorfschmied, der sich wegen eines Mordes aus seiner Heimat geflüchtet hatte, unterwegs eine sechzehnjährige, ihren Eltern entlaufene, umherstreunende Dirne aufgriff und zum Weibe nahm, obwohl er zu Hause Weib und Kinder im tiefsten Elende zurückgelassen. —

      Der zerbrochene Paulus hatte sich neben dem Neunaugen ins Gras gelegt und stierte unverwandten Blickes nach dem abendlichen Himmel empor, an dem ein Stern nach dem andern in mildem Lichte aufleuchtete.

      »Bist gewaltig ernst und nachdenklich,« brach der Neunaugen das Schweigen; »willst vielleicht in den Sternen lesen, wann für dich Galgen und Rad gezimmert werden?«

      »Nein!«

      »Nun, was guckst du denn dann?«

      »Verstehst es doch nicht, wenn ich es dir auch sagen wollte, windischer Kopf!«

      »Meinst du? Käme erst auf eine Probe an. Wollt' ich doch meine Seligkeit an einen Krug Wein verwetten, ich wäre klüger geworden als mancher Ratsherr, wenn ich nicht zwischen den Stauden der Heide aufgewachsen wäre.«

      »Mag sein! Weil dein Verstand nicht ganz gestorben zu sein scheint, so will ich dir also sagen, was ich gucke und mir dabei denke. Siehst du die Sterne?«

      »Ei wohl!«

      »Denkst du dir auch etwas über diesen Sternen?«

      »Man sagt gewöhnlich, der Herrgott wohne dort.«

      »Gut. Ich denke mir das auch. Nun sage mir, alter Sünder, hoffest du dort auch einmal hinaufzukommen?«

      Der Neunaugen richtete sich in hellem Erstaunen aus dem taufeuchten Grase auf und schaute seinen Nachbar mit einem langen, fragenden Blicke an.

      »Ich — in den Himmel? Nein!«

      Das stieß er heftig, fast schmerzlich heraus.

      »Und warum nicht?« fragte der andere mit steigendem Ernste.

      »Das will ich dir sagen, denn ich weiß es. Ein Teil Menschen gehört unserem Herrgott, der andere dem Teufel. Und wir armen Teufel — nun, wir gehören eben dem Teufel.«

      Dazu stieß er ein häßliches, heiseres Lachen aus.

      »Ich will dir etwas sagen,« fuhr der Neunaugen ruhiger fort und rückte näher an die Seite des zerbrochenen Paulus. »Ich weiß eigentlich gar nicht, wozu unsereiner auf der Welt ist. In einem Stadel oder unter einem Waldbaume zur Welt gekommen, sind wir gleich dem Wilde, das aus einem Jagdbogen in den andern läuft, bis ihm der Jäger das tötende Blei ins arme Herz schießt. Ja,« fuhr er fort und ballte die Rechte, »die drinnen in den Städten, die sattgemästeten Bürger und die stolzen, übermütigen Junker, die dicken Ratsherren und erst gar die Priester und Mönche, diese alle können leicht auf unseren Herrgott hoffen, ihnen ist Zeit und Ewigkeit wie auf das Butterbrot gestrichen — aber wir? Was fangen wir an? Weißt du,« flüsterte er und stieß seinen Nachbar mit dem Ellenbogen an, »für uns ist es immerhin das beste, wir verschreiben uns kurzweg dem Satan!«

      »Was nützt uns der?« gab der zerbrochene Paulus verdrossen zurück. »Ist er doch ein Schelm gleich uns!«

      »Magst nur zu sehr recht haben. Aber er kann uns armen Tropfen doch manchen Nutzen schaffen. Du, glaube ich, wärest der letzte, der es verschmähte, wenn ihm der Teufel die Gewalt gäbe, aus glühenden Kohlen Gold zu machen, verborgene Schätze zu heben und unterschiedlichen Zauberspuk zu treiben.«

      »Ja, wenn es nur so wäre!« seufzte Paulus auf und schaute wieder nach den Sternen. —

      — Drinnen im Hause sitzt der Zuckerwastl in einer dunkeln Ecke und führt mit dem Wirte flüsterndes Zwiegespräch.

      »Nun, alter Diebsvater, weißt du nirgend einen fetten Bissen, der auf unsere langen hungerigen Finger wartet?«

      Der Schenkwirt, ein alter Mann, dessen linkes Auge ausgeronnen ist, und über dessen kahlen Scheitel sich eine breite Schramme zieht, scheint diese Frage nicht zu beachten. Er sitzt mit überschlagenen Beinen auf seiner Holzbank und heftet den Blick auf den roten, ausgetretenen Ziegelboden.

      »Ich war jüngst in Würzburg unten,« begann er in halblautem Selbstgespräche. »Die herrliche Stadt ist häßlich geworden; wohin immer du gehst, riecht es nach Blut. Da drinnen reitet der Satan die Herren bei lebendigem Leibe! Du glaubst nicht, alter Freund, wie sie da drunten morden und brennen! Lauter echtes Hexenfleisch! Jetzt ist dort alles und jegliches Hexe und verhext! Möchte nicht wetten, ob sich die klugen Herren am Gerichte in ihrer großen Weisheit nicht selbst zuletzt noch für Zauberer und vom Teufel Besessene halten. Wenn die Herren nicht so dumm wären, so wäre dies ein gar kluger Gedanke für sie. Denn wenn doch einmal alles des Teufels sein muß, dann sind sie wahrlich dazu die besten. Aber höre, Alter, dazwischen klingt etwas wie Wundermäre! Bei den Jesuitern ist ein junger Pater, ich habe ihn selbst gesehen, dieser nimmt sich mit brennender Liebe der armen Hexen an, als wären es seine eigenen Schwestern. Er schwört bei allem Heiligen, es geschehe den Ärmsten allen unrecht, denn es gebe keine Hexen —«

      »Was?«