Franz von Seeburg

Die Hexenrichter von Würzburg


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Und was das innere Glück betrifft, so findet das mein teurer Philipp auch, umrauscht vom Weltgetümmel, in seinem guten Herzen und seiner edlen Gesinnung.«

      »Immer zu gut, immer zu nachsichtig,« antwortete kopfschüttelnd der Kanonikus. »Der Schönborn möchte gerne gut sein; aber er ist es nicht.«

      »Er ist es,« entgegnete Spee mit fester Stimme. »Er ist es; und ich sage das mit heißem Danke gegen Gott. Denn je mehr die Geister der Menschen einer unheilvollen Verblendung anheimfallen; je mehr die dreifache Lust an Glaube, Zucht und Sitte rüttelt; je dichtere Nebel eitler Menschenwahn vor Gottes wahres Bildnis breitet: desto notwendiger sind in dem großen Wirrsale Menschen von hellem Kopf und treuem, goldigreinem Herzen, wie mein Schönborn ist.«

      »Mein teurer Spee, heute bist du böse. Du solltest mich die Demut lehren und machtest mich so leicht hochmütig, wenn ich nicht wüßte, daß deine Worte mehr gut gemeint, als auf mich passend wären.«

      Spee antwortete nicht. Seine erst so milden Züge sanken plötzlich wieder in jene tiefschmerzlichen Linien, die seit einiger Zeit fast beständig auf seinem Antlitze lagen. »Hier ist wieder ein großes Stück Sorge,« sprach er, auf einen Stoß Papiere zeigend. »Wahn, schrecklicher Wahn — und Blut.«

      »Schon wieder ein Hexenprozeß?« fragte schüchtern Schönborn und streifte mit bangem Blicke die verhängnisvollen Blätter.

      »Ja, immer das alte, schreckliche Thema,« bestätigte der Jesuit.

      »Aber, mein lieber Pater,« wendete Schönborn ein, »du nimmst dir diese Angelegenheit auch gar zu tief zu Herzen. Können wir wenden und ändern, was wir schmerzlich beklagen? Ist's unsere Schuld, daß solches Elend an dem Herzen der Christenheit frißt?«

      »Ja, wenigstens zum Teile!« gab der Jesuit mit steigender Wärme zurück. »Auch wir tragen einen Teil der Schuld an diesen Greueln, die zum Himmel schreien. Warum sind wir keine Paulus, die mit des Wortes zündender Gewalt gegen dieses Brennen, Rädern und Morden eifern; warum sind wir keine Johannes, die mutig vor Thron und Richterstuhl hintreten und sagen: Es ist dir nicht erlaubt! Warum gehen wir nicht durch die Gassen und über alle Wege, warum nicht in die entlegensten Schlupfwinkel und predigen wieder und wieder Christum den Gekreuzigten, der die Sünde und den Satan besiegt hat? Freilich, man würde uns an vielen Orten mit halbem Ohre anhören, mit halbem Herzen glauben. Wie der Löwe, nachdem er Blut gerochen, mit heißen Nüstern nach neuer Beute spürt, nicht Rast und Ruhe kennend, bis die lechzende Zunge sich wieder am Blute satt geleckt hat, so spürt auch das, was man jetzt Gerechtigkeit nennt, nach neuen Opfern, deren eines die Gier nach einem andern weckt. Ist nicht die Welt zum großen Irrenhause geworden, wo Wut und Wahn die Geister rastlos peitschen und die Vernunft zum Aschenbrödel erniedrigt ist? Philipp, diesen Scheitel deckten jüngst noch dunkle Haare. Nun sind sie greisenhaft geworden. Das hat das Leid getan, das tiefe Leid um jene armen Wesen, die unter unfaßbaren Qualen den Hexenstempel sich auf die Seele drücken lassen müssen, stumpf geworden unter Henkers Hand, im Geist umnachtet durch des Kerkers Nacht, nur einen Gedanken noch mit heilen Sinnen denkend, den der Unschuld, nur eine Sehnsucht in dem todgehetzten Herzen tragend — Erlösung!«

      »Schrecklich, schrecklich, lieber Pater!« rief mit bebender Stimme der junge Kanonikus. »Das Bild, das du entwirfst, erfaßt die Seele mit namenlosem Grauen und tränkt sie mit unnennbarem Schmerze.«

      »Dich faßt eisigkalt mein armes Wort,« sprach der Jesuit; »wie erst, wenn dein Auge in den Kerkern jenen Jammer schauen müßte, den dort die wahnwitzig gewordene Gerechtigkeit aufhäuft! Wahrlich, man müßte ein Herz von Stein in seinem Busen tragen, um nicht aufzubranden in wildem Schmerze gleich der sturmgepeitschten See. Und doch, so tiefe Nacht, der Greuel voll, auch jetzt sich auf der Menschheit niederläßt, du, Herr am Kreuz, du Gott im Himmel droben, siegst auch hier! O sei gegrüßt, spes unica!«

      Bei diesen Worten nahm Spee das Kruzifix von seinem Tische und küßte es mit heiliger Inbrunst.

      Und wie wenn plötzlich sich die Wetterwolken teilen und zwischen ihrem unheilvollen Dunkel milde Sonnenstrahlen leuchten, so ward auch unseres Paters Antlitz immer weicher — milder, je länger er den Blick dem Kreuze zugewendet hielt.

      »Mein lieber Schönborn,« fuhr er fort, dem jungen Manne die Rechte reichend, »in dir schlägt ein Herz, das stets der Wahrheit dient. Mag dich Gott hohe Wege führen, mag dein Leben still und unbemerkt verfließen, das eine sei dein Vorsatz — mit Wort und Tat gegen den Wahn Krieg zu führen und ein wahrer Freund aller derer zu sein, die, sei's aus Schuld, sei's ohne Schuld, mit Leiden ringen. Das Gute, das wir tun im Alltagsleben, reicht nicht zum Himmel aus, wenn nicht der Armen gestillter Schmerz, ihre in Trost gekehrten Tränen, wenn nicht das goldene Werk der Nächstenliebe die schönsten Stufen baut.«

      »Es sei! Solch einem Worte kann ein Schönborn nicht sein Herz verschließen,« rief begeistert der junge Priester aus. »Es ist ein beneidenswerter Weg, der meinem Geistesauge sich erschließt. Schmal, steil, voll spitziger Dornen zwar für das spröde Körperauge, doch voll des Friedens für die Seele. Gleich dem guten Hirten heilt der Mensch, was rechts und links an seinem Lebenswege krank und bittend die Hände hilfesuchend breitet, und wo die Macht zu helfen und zu heilen fehlt, da mag ein Wort der Liebe die Dornen in Rosen verwandeln und dem Leide die Ergebung als Trösterin beigesellen.«

      »Und welche Zeit wäre geeigneter,« sprach Spee mit einem dankbaren Blick nach dem jungen Priester, »als die unsere? Was ist es, was die Scheiterhaufen aufrichtet und ihre mordenden Flammen durch das Land verbreitet? Ist es nicht des Volkes Unwissenheit und Aberglaube, was die Hexen schafft? Ziehen dunkle Wetterwolken übers Firmament und senden Wolkenbrüche, Verderben nieder, verwüstet Hagelschlag des Feldes Segen, unterwühlen Mäuse rings die Äcker, bricht ein Sterben unter Menschen oder Tieren aus, ja, weicht eine Krankheit der Kunst des Arztes nicht: so ist's dem Volke nicht des Himmels Strafe, nicht ein Werk der zürnenden Gottheit, — nein, die Hexen und der Satan sind es, welche die Natur auf böse Bahnen gezwungen. Mit der Unwissenheit ist gepaart der Neid. Dem Nachbar geht es wohl, ein reicher Gottessegen füllt sein Haus. Da neigt der Neid sein grinsendes, giftiges Angesicht zum Menschenherzen und flüstert ihm zu: Warum dort Glück und Wohlstand und warum nicht bei dir? Weißt du warum? Jener dankt es dem Bösen, dem er seine Seele verkaufte für irdisches Glück. — Er betet doch und ist fromm? — Gerade dieses ist ein sicheres Zeichen, daß er es mit dem Bösen hält. — Mußt' ich doch kürzlich von angesehenen Männern den Ausspruch hören, daß, wenn sich einer als frommer Sohn der Kirche zeigt, sich öfters mit Weihwasser besprengt, in den Kirchen fleißig betet und besonderer Andacht pflegt, er sogleich dem Verdachte der Zauberei verfalle. Denn, so urteilen die verblendeten Menschen: jene müssen einer besonderen Frömmigkeit sich befleißen, sonst haben sie vor dem Satan keine Ruhe. Welch ein Urteil! Und so gräßlich töricht und vermessen auch dasselbe ist, so übte es doch bereits solche Macht über die Menschen aus, daß jedermann sich scheut, seine Frömmigkeit nach außen kundzugeben, ja, daß selbst Priester, die sonst täglich Messe lasen, dies nun schon lange unterlassen, oder wenn sie das heilige Opfer darbringen, es im geheimen tun, damit das Volk nicht ihre Namen mit dem Verdachte der Zauberei befleckt.[B] Wohin, um der Barmherzigkeit Gottes willen, soll es führen, wenn das, was heute Recht und Gerechtigkeit genannt wird, solche Früchte zeitigt! Müssen wir nicht immer mehr der Gottlosigkeit, ja dem nackten Unglauben verfallen, wenn Gottesliebe und Gottesdienst die Zeichen frevler Zauberei sind und über Schmach und Qual und Schande nach dem Scheiterhaufen führen! Steht nicht die Welt an ihrer Neige, wenn das Herz nicht mehr sich frei zum Schöpfer erheben darf, ohne daß ein frommes Gebet den Richter zürnen macht und ihn in blindem Wahne Gott mit dem Satan, Gottesdienst mit Gottesmord verwechseln heißt!«

      Schönborn sah dem Pater mit wehmütiger Bewunderung ins flammende Gesicht.

      »Dem Wahne Krieg und Haß,« sprach er, seinen Arm auf Spees Schulter legend. »Es ist Wind und Sonne nicht gleich geteilt unter den Kämpfenden, wenn wir beide gegen eine Welt in Waffen stehen. Aber Gott ist mit uns, die Wahrheit unser Schild, die Gerechtigkeit unsere Liebe und die Liebe unsere Macht!«

      Die Freunde schieden.

      Spee trat an das Fenster seiner Zelle und lauschte dem kunstlosen Gesange eines Vögleins,