Rudolf Virchow

Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre


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kein ursprünglicher Unterschied zwischen der Epidermis und dem Rete Malpighii; das letztere ist vielmehr die Bildungsstätte (Matrix) der Epidermis oder die jüngste Epidermislage selbst, insofern von hieraus immer neue Theile sich ansetzen, sich abplatten und in die Höhe rücken, in dem Maasse, als aussen durch Waschen, Reiben u. s. w. Theile verloren gehen. Auch zwischen der untersten Schicht des Rete und der Oberfläche der Cutis gibt es keine weitere Zwischenlage mehr, keine amorphe Flüssigkeit, kein Blastem, das in sich Zellen bilden könnte; die Zellen sitzen direct auf der Bindegewebspapille der Cutis auf. Es ist hier nirgends ein Raum, wie man noch vor Kurzem dachte, in welchen aus den Papillen und den in ihnen enthaltenen Gefässen Flüssigkeit transsudirte, damit aus und in derselben neue Elemente durch freie Urzeugung entständen und hervorwüchsen. Eine blosse Schleimschicht, welche als Cytoblastem für die neuen Zellen diente, ist absolut nicht wahrnehmbar. Durch die ganze Reihe der Zellenlagen des Rete und der Epidermis besteht dasselbe Continuitätsverhältniss, wie man es an der Rinde eines Baumes kennt. Die Rindenschicht einer Kartoffel (Fig. 2) zeigt in gleicher Weise aussen korkhaltige epidermoidale Elemente und darunter, wie im Rete Malpighii, eine Lage kernhaltiger Zellen, das Cambium, welches die Matrix des Nachwuchses für die Rinde darstellt.

      Sehr ähnlich verhält es sich am Nagel. Betrachtet man den Durchschnitt eines Nagels, quer auf die Längsrichtung des Fingers, so sieht man dieselbe Anordnung, wie an der gewöhnlichen Haut, nur entspricht jede einzelne Ausbuchtung der unteren Fläche nicht einer zapfenförmigen Verlängerung der Cutis, einer Papille, sondern einer Leiste, welche über die ganze Länge des Nagelbettes hinläuft und welche mit den Leisten zu vergleichen ist, die an der Volarseite der Finger zu sehen sind. Auf diesen Leisten des Nagelbettes befinden sich sehr niedrige und verkommene Papillen, an deren Oberfläche das mehr cylindrisch gestaltete jüngste Lager des Rete Malpighii aufsitzt; daran schliessen sich immer grössere Elemente an, und endlich folgt eine hornig-blätterige Schicht, welche der Epidermis entspricht.

      So begreift man, dass das Nagelblatt bis zu einem gewissen Maasse locker liegt und sich leicht vorwärts bewegen kann, indem es sich auf einer beweglichen Unterlage vorschiebt. Aber es ist auch sofort zu verstehen, wie leicht man sich in der Deutung des Bildes, welches senkrechte Durchschnitte durch den Nagel gewähren, täuschen kann, und wie nahe es liegt, anzunehmen, auch das Nagelblatt beziehe seine Elemente wenigstens zum Theil aus der Matrix des Bettes. Es fügen sich jedoch die von letzterer gelieferten Elemente nur lose der unteren Fläche des Nagelblattes an. Diese Fläche besitzt daher, entsprechend den erwähnten Leisten, seichte Ausbuchtungen, so dass der wachsende Nagel, indem er über die Leisten fortgleitet, seitliche Bewegungen nur innerhalb beschränkter Grenzen machen kann. Man kann daher sagen: es bewegt sich das von hinten wachsende Nagelblatt über ein Polster von lockerer Epidermismasse nach vorn (Fig. 18, a) in Rinnen, welche zwischen den längslaufenden Leisten oder Falten des Nagelbettes gelegen sind. Das Nagelblatt selbst, frisch untersucht, besteht dagegen aus einer so dichten Masse, dass man einzelne Zellen daran kaum zu unterscheiden im Stande ist, ja, dass man ein Bild bekommt, wie an manchen Stellen im Knorpel. Aber durch Behandlung mit Kali, welches die Zellen aufquellen macht und von einander trennt, kann man sich überzeugen, dass er überall nur aus Epidermiszellen besteht.

      Fig. 18. Schematische Darstellung des Längsdurchschnittes vom Nagel. a. Das normale Verhältniss: leicht gekrümmtes, horizontales Nagelblatt, in seinem Falze steckend und durch ein schwaches Polster von dem Nagelbette getrennt. b. Stärker gekrümmtes und etwas dickeres Nagelblatt mit stark verdicktem Polster und stärker gewölbtem Nagelbette, der Falz kürzer und weiter. c. Onychogryphosis: das kurze und dicke Nagelblatt steil aufgerichtet, der Falz kurz und weit, das Nagelbett auf der Fläche eingebogen, das Polster sehr dick und aus übereinander geschichteten Lagen von lockeren Zellen bestehend.

      Kennt man diese Entwickelung, so lassen sich die Krankheiten des Nagels in leicht fasslicher Weise von einander scheiden. Es gibt nehmlich Krankheiten des Nagelbettes, welche das Wachsthum des Nagelblattes nicht ändern, aber Dislocationen desselben bedingen. Wenn auf dem Nagelbette eine sehr reichliche Entwickelung von Polstermasse stattfindet, so kann das Nagelblatt in die Höhe gehoben werden (Fig. 18, b), ja es kommt, namentlich an den Zehen, nicht selten vor, dass es, statt horizontal, senkrecht in die Höhe wächst und der Raum unter ihm von dicken Anhäufungen des blätterigen Polsters erfüllt wird (Fig. 18, c). Selbst Eiterungen können auf dem Nagelbette stattfinden, ohne dass die Entwickelung des Nagelblattes dadurch gehindert wird. Die sonderbarsten Veränderungen zeigen sich bei den Pocken. Wenn eine Blatter auf dem Nagelbett sich bildet, so bekommt der Nagel nur eine gelbliche, etwas unebene Stelle; entwickelt sich dagegen die Pocke im Nagelfalze, so sieht man Wochen nachher das Bild der Pocke in einer kreisförmig vertieften, wie ausgeschnittenen Stelle des sich allmählich vorschiebenden Nagelblattes, als einen Beweis des Ausfalls von Elementen, gerade wie auf der Epidermis. Denn jede Krankheit, welche den Nagelfalz (die Matrix) trifft, ändert auch das Nagelblatt, und wenn der Falz zerstört wird, so kann ein wirkliches Blatt nicht mehr nachgebildet werden; das Bett bedeckt sich dann nur mit einer hornigen, unregelmässig geschichteten Masse, wie sie sich zuweilen auch auf grossen Narben anderer Hautstellen, namentlich nach partiellen Amputationen des Fusses, erzeugt. —

      Wie am Nagel, so erfahren auch an anderen Orten unter besonderen Verhältnissen die epidermoidalen Elemente besondere Umwandlungen, wodurch sie ihrem ursprünglichen Habitus ausserordentlich unähnlich werden und allmählich Erscheinungsformen annehmen, die es jedem, welcher die Entwickelungsgeschichte nicht kennt, unmöglich machen, ihre ursprüngliche Epidermis-Natur auch nur zu ahnen. So ist es mit den Haaren. Die am meisten abweichende Entwickelung findet sich jedoch an der Krystallinse des Auges, welche ursprünglich eine reine Epidermis-Anhäufung ist. Sie entsteht bekanntlich dadurch, dass sich ein Theil der Haut von aussen sackförmig einstülpt. Anfangs bleibt durch eine leichte Membran die Verbindung mit den äusseren Theilen erhalten, durch die Membrana capsulo-pupillaris; später atrophirt diese und lässt die abgeschlossene Linse im Innern des Auges liegen. Die sogenannten Linsenfasern sind also weiter nichts, wie schon Carl Vogt zeigte, als epidermoidale Elemente mit eigenthümlicher Entwickelung, und die Regeneration derselben z. B. nach Extraction der Cataract, ist nur so lange möglich, als noch Epithel an der Capsel vorhanden ist, welches den Neubau übernimmt und gleichsam ein dünnes Lager von Rete Malpighii darstellt. Dieses reproducirt in derselben Weise die Linse, wie das gewöhnliche Rete Malpighii der Haut die Epidermis; nur ist die Regeneration der Linse gewöhnlich unvollständig, da die sich vermehrenden Rete-Zellen hauptsächlich am Umfange der Linsenkapsel liegen. Die neu gebildete Linse ist daher in der Regel ein Ring, der in der Mitte nicht ausgefüllt ist.

      Unter den sonstigen Modificationen epithelialer Gebilde werden wir noch gelegentlich die eigenthümlichen Pigmentzellen zu