Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre
für pathologisch neugebildete Muskelzellen habe ich dies nachgewiesen[9]. Je grösser die Muskelzellen werden, um so mehr tritt diese von specifischem Inhalt freie Lücke um den Kern hervor, und zwar so, dass sie, wenn man den Cylinder von der Fläche aus betrachtet, als ein spindelförmiger Raum erscheint, während er auf einem Querdurchschnitt meist eckig oder sternförmig aussieht und nicht selten sich in verästelte und anastomosirende Fortsätze verfolgen lässt. Letztere nimmt man zuweilen, namentlich am Herzmuskel des Menschen, auch bei der Betrachtung von der Fläche her als feine interfibrilläre Linien oder Striche wahr (Fig. 26, C). Wie mir scheint, erstrecken sich diese Fortsätze ununterbrochen in das von Cohnheim entdeckte intermusculäre Gitterwerk, welches die Fleischsubstanz durchsetzt. Aber die Ansichten über die Natur der um die Kerne gelegenen Zeichnungen gehen noch weit auseinander. Während Leydig, wie erwähnt, sie als eine Art von Bindegewebskörperchen und die specifische Inhaltsmasse des Primitivbündels als ein Analogon der Bindegewebs-Intercellularsubstanz betrachtet, nimmt Rollett sie mit den dazu gehörigen Fortsätzen als ein intramusculäres Lacunensystem. Max Schultze endlich denkt sich diese von ihm als Muskelkörperchen bezeichneten Gebilde als membranlose Körper, nur aus Kern und Protoplasma bestehend, so jedoch, dass das Protoplasma derselben mit dem in der übrigen Fleischsubstanz vorhandenen und hier durch die Einlagerung anderer Bestandtheile zum Theil verdeckten Protoplasma continuirlich zusammenhänge.
Fig. 26. Muskelelemente aus dem Herzfleische einer Puerpera. A. Eigenthümliche, den Faserzellen der Milzpulpe ganz ähnliche Spindelzellen, vielleicht dem Sarcolemma angehörig, bei dem Zerzupfen des Präparates frei geworden. a. halbmondförmig gekrümmte, an einem Ende etwas platte Zelle, von der Fläche gesehen, b. eine ähnliche, von der Seite gesehen, der Kern platt, c. d. Zellen, deren Kerne in einer herniösen Ausbuchtung der Membran liegen; e. eine ähnliche Zelle, von der Fläche gesehen, der Kern wie aufgelagert. B. Ein Primitivbündel ohne Hülle (Sarcolemma) mit deutlichen Längsfibrillen und grossen rundlichen Kernen, von denen einer zwei Kernkörperchen enthält (beginnende Theilung). C. Ein Primitivbündel, zerzupft und leicht durch Essigsäure gelichtet; ausser einem getheilten Kerne sieht man zwischen den Längsfibrillen feine pfriemenförmige Striche, die Andeutung von Ausläufern der intramuskulären Körper (Lücken, Zellen). — Vergröss. 300.
Zunächst fragt es sich hier also, ob die Gebilde von Membranen begrenzt sind, wie vollständige Zellen, oder nicht; sodann, ob sie nur Lacunen und feinste Kanäle darstellen, oder Körper mit Fortsätzen. Beides ist sehr schwer zu entscheiden, und es ist mir nicht gelungen, constante Resultate zu erlangen. An Froschmuskeln, wie es Sczelkow ganz richtig dargelegt hat[10], findet sich eine so deutlich durch scharfe, dunkle Contouren begrenzte Zeichnung, dass man an der Existenz von Membranen kaum zweifeln möchte; am Herzmuskel des Menschen habe ich häufig, jedoch nicht in der Mehrzahl der Fälle, dasselbe gesehen. Unter pathologischen Verhältnissen, wie von A. Böttcher, namentlich aber von C. O. Weber gezeigt ist, und wie ich bestätigen kann, findet man um die Kerne blasige, durchaus zellenähnliche Gebilde, oder doch sehr deutliche, differente Absätze, z. B. Pigmentkörnchen (in der braunen Atrophie). In der grossen Mehrzahl der Muskeln kann ich von Membranen nichts erkennen und noch weniger Körper oder Fortsätze isoliren. Es ist daher wohl möglich, dass die Beschaffenheit dieser Gebilde eine wechselnde ist; jedenfalls können wir von der Entscheidung dieser Frage unser Urtheil nicht abhängig machen, da wir aus der Entwickelungsgeschichte ganz bestimmt wissen, dass die fraglichen Gebilde im Innern von Zellen entstehen.
Wir müssen daher das Primitivbündel (die Muskelfaser) als eine ursprünglich einfache, jedoch späterhin zusammengesetzte Zelle betrachten, welche im entwickelten Zustande sowohl kernhaltige Muskelkörperchen, als eine specifische Inhaltsmasse umschliesst. Letztere ist es, an der unzweifelhaft die Eigenschaft der Contractilität haftet, und die je nach dem Zustande der Contraction selbst in ihren Erscheinungen variirt, indem sie bei der Contraction kürzer und breiter wird, während die Zwischenräume zwischen den einzelnen Querbändern oder Streifen sich etwas verschmälern. Es erfolgt also bei der Contraction eine Umordnung der kleinsten Bestandtheile, und zwar, wie aus den Untersuchungen von Brücke hervorgeht, nicht bloss der physikalischen Molecüle, sondern auch der sichtbaren anatomischen Bestandtheile. Brücke hat nehmlich, indem er den Muskel im polarisirten Lichte untersuchte, verschiedene optische Eigenschaften der einzelnen Substanzlagen gefunden, derer, welche die Querstreifen und derer, welche die Zwischenmasse darstellen. Jene bestehen aus Theilchen, welche das Licht doppelt brechen (Disdiaklasten), diese nicht.
Bei gewissen Methoden der Präparation kann man den Inhalt eines jeden Muskel-Primitivbündels in Platten oder Scheiben (Bowman's discs) zerlegen, welche ihrerseits wieder aus lauter kleinen Körnchen (Bowman's sarcous elements) zusammengesetzt sind. In Wirklichkeit besteht jedoch der Inhalt des Primitivbündels aus einer grossen Menge feiner Längsfibrillen, von denen jede, entsprechend der Lage der Querstreifen oder scheinbaren Scheiben des Primitivbündels, kleine Körner enthält, welche durch eine blasse Zwischenmasse zusammengehalten werden. Indem nun viele Primitivfibrillen zusammenliegen, so entsteht durch die symmetrische Lage der kleinen Körnchen eben der Anschein von Scheiben, die eigentlich nicht vorhanden sind. Je nach der Thätigkeit des Muskels nehmen diese Theile eine veränderte Stellung zu einander an: bei der Contraction nähern sich die Körner einander, während die Zwischensubstanz kürzer und zugleich breiter wird.
Fig. 27. Glatte Muskeln aus der Wand der Harnblase. A. Zusammenhängendes Bündel, aus dem bei a, a einzelne, isolirte Faserzellen hervortreten, während bei b die einfachen Durchschnitte derselben erscheinen. B. Ein solches Bündel nach Behandlung mit Essigsäure, wo die langen und schmalen Kerne deutlich werden; a und b wie oben. — Vergr. 300.
Verhältnissmässig sehr viel einfacher erscheint die Zusammensetzung der glatten, organischen oder, obgleich weniger bezeichnend, unwillkürlichen Muskelfasern. Wenn man irgend einen Theil derjenigen Organe, worin glatte Muskelfasern enthalten sind, untersucht, so findet man in der Mehrzahl der Fälle zunächst in ähnlicher Weise, wie bei den quergestreiften Muskeln, kleine Bündel, z. B. in der Muskelhaut der Harnblase. Innerhalb dieser Fascikel unterscheidet man bei weiterer Untersuchung eine Reihe von einzelnen Elementen, von denen eine gewisse Zahl, 6, 10, 20 und mehr durch eine gemeinschaftliche Bindemasse zusammengehalten wird. Nach der Vorstellung, welche bis in die letzten Tage allgemein gültig war, würde jedes einzelne dieser Elemente ein Analogon des Primitivbündels der quergestreiften Muskeln darstellen. Denn sobald es gelingt, diese Fascikel in ihre feineren Bestandtheile zu zerlegen, so bekommt man als letzte Elemente lange spindelförmige Zellen, die in der Regel in der Mitte einen Kern besitzen (Fig. 6, b). Nach derjenigen Anschauung dagegen, welche in den letzten Tagen von verschiedenen Seiten anfängt bewegt zu werden, namentlich angeregt durch Leydig's Untersuchungen, würde man vielmehr ein Fascikel, worin eine ganze Reihe von Faserzellen enthalten ist, als Analogon eines quergestreiften Primitivbündels betrachten müssen. Berücksichtige ich jedoch die Entwickelungsgeschichte, so erscheint es mir zweckmässig und den bekannten Thatsachen am meisten entsprechend, die einzelne Faserzelle als Aequivalent des Primitivbündels festzuhalten.
An einer solchen spindelförmigen oder Faser-Zelle ist es schwer, ausser dem Kern und dem Zellkörper etwas Besonderes zu unterscheiden. Bei recht grossen Zellen und bei starker Vergrösserung unterscheidet man allerdings häufig eine feine Längsstreifung (Fig. 6, b), so dass es aussieht, als ob auch hier im Innern eine Art von Fibrillen der Länge nach geordnet wäre, während von einer Querstreifung nur bei der Contraction (Meissner)