Dietmar Wolfgang Pritzlaff

Herzmord


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meine Augenbraue. Um dieses Gefühl loszuwerden verzog ich für Sekunden nur das Gesicht auf der rechten Hälfte, kniff das rechte Auge zu und spannte die Augenbraue an. Kurze Zeit später war der Druck verflogen und ich entspannte wieder die Gesichtshälfte.

      Allerdings häuften sich diese Gesichtsverziehungen. Immer öfters in immer kürzeren Abständen. Der Augenbrauendruck, machte mich „wahnsinnig“.

      Meine Mutter und ich wieder zu unserem Hausarzt. Kurze Brauenbeschau und der Arzt sagte: „Ihr Sohn hat einen Tick.“

      Wat dat denn? Das bekommen schon mal die „Kröten“, in dem Alter. Das geht von allein weg und das muss von alleine weggehen. Das war also der Trick mit dem Tick? Einfach nicht beachten.

      Wie jetzt? Meine Mutter oder ich? Beide. Keiner sollte mich auf meinen Tick ansprechen und ich sollte versuchen ihn nicht zu bemerken. Von dem Druck der sich unter der Augenbraue aufbaute hatte ich erzählte, aber alles sei nur Quatsch mit Soße, einfach an was anderes Denken.

      So macht man das also. Ganz einfach vergessen und dann vergeht der Tick. Ich konnte machen was ich wollte, der Tick blieb hartnäckig und setzte sich fest. Mal mehr, mal weniger, aber er blieb und keiner wollte mehr über den Tick reden. Den gibt es ja nicht. Und doch war er da. Er störte mich unglaublich. Ich wollte ihn wegdenken, aber dachte dabei an ihn, also verhielt er sich dementsprechend. Ein treuer Tick halt. Das wurde manchmal zum Gesichtsverziehungswettbewerb.

      Das war wie mit Tinnitus, der da ist und den man nicht beachten soll. Manchmal gelingt es, aber oftmals auch nicht. Der Tick blieb.

      Erst im dritten Schuljahr verschwand er allmählich. Nicht von heute auf morgen, von jetzt auf gleich, sondern ganz sacht, ganz langsam, wie in Zeitlupe. Ich brauchte nicht mehr kräftig das Auge zu kneifen, nur noch leicht und der Druck unter der Braue, der angeblich gar nicht existierte, wurde schwächer und schwächer und war eines schönen Tages wirklich nicht mehr zu spüren. Kein Druck mehr, kein Augenzucken, keine Gesichtsverziehung... 3 lange Jahre Tick waren endgültig vorbei.

      Vielleicht ist aus dieser Zeit die Beweglichkeit meiner Augenbrauen zurückgeblieben. Ich kann seitdem jede Braue unabhängig voneinander hochziehen und wieder „fallen“ lassen. Augenbrauen-Akrobatik pur!

      Kapitel 11: Mmmhhh... lecker Nägel!

      Schon vor der Schule hatte ich angefangen Nägel zu kauen. Also keine richtigen Nägel, sondern meine eigenen Fingernägel. Aber mit der Schulzeit wurde es immer intensiver und nachhaltiger. Es begann als ich 7 Jahre alt war im Jahr 1970, also das Jahr mit dem Tick.

      Was sollte ich auch anderes machen, wenn es mal wieder hieß „nur zuhören“. Ich konnte besser denken, wenn ich an meinen Fingernägeln kaute.

      Zuerst waren es wirklich nur die Fingernägel. Die mussten ja doch irgendwann geschnitten werden, also ab damit, zwischen den Schneidezähnen zermalmt und dann schmeckten die Biester auch noch irgendwie.

      Die Fingernägel waren ab. Mehr abbeißen ging nicht mehr. Aber die Ränder unter dem Nagel, also die Haut die gerne mal wulstig wird beim Zurückschieben. Daran biss ich mich fest, wenn der Nagel nicht mehr war. Oft riss ich mir die Hautfetzen ab und kleine Blutstropfen rannen. Schnell hatte ich auch an Blut Gefallen gefunden und saugte die kleinen Wunden leer.

      Noch später waren es die Fingerkuppen, die es mir angetan hatten. Die wurden blutig gebissen. Das rohe Fleisch kam zum Vorschein und ich machte auch dann noch nicht halt. Die kleinen blutigen Fleischstückchen schmeckten nach Rost, nach Eisen. Und das Blut saugte ich wieder in mich hinein. Wieviel Blut kann man trinken ohne als Vampir zu gelten?

      Was hat meine Mutter alles angestellt, um mich vom Fingernägelkauen abzuhalten. Erst schmierte sie Senf auf alle Fingernägel. Angetrocknet musste ich erst Mal diese Senfkruste mit den Zähnen runterkratzen und dann... mmmhhh... wieder leckere Nägel abbeißen. Auch der schärfste Löwensenf ließ mich völlig kalt. Besser noch: Ich liebte so langsam aber sicher die Senfschärfe und verlangte nach mehr. Das war wohl etwas kontraproduktiv. Auch heute noch liebe ich die „scharfen Sachen“, wie Senf, Chilisoße und Peperoni.

      Dann kaufte meine Mutter ein Anti-Fingernagelkau-Lack in der Apotheke. Ich bekam die Fingernägel mit dem Lack bestrichen. Der musste erst trocknen und dann... Kaute ich natürlich an den Fingernägeln. Aber – i-bah – was war das? Eklig, bitter und sauer zugleich. Das erste Mal hätte ich kotzen können. Meine Mutter hoffte schon auf Erfolg. Aber auch an die Bitterkeit konnte ich mich gewöhnen. Allerdings schmeckte das Zeug einfach Scheiße. Also erst Mal die Vorarbeit geleistet und den Lack mit den Zähnen runtergekratzt und dann wieder meine geliebten Nägel in den Hals. Herrlich!

      Pflaster um jeden Finger geklebt und ich durfte nicht an die Pflaster gehen. Bin ich aber doch und schon war wieder ein Nagel futsch. Mit einem Trick konnte ich ein paar Tage lang meine Eltern hinters Licht führen. Pflaster angehoben, weggelegt und den Nagel bearbeitet, dann die Pflasterhülle wieder auf die Fingerkuppe gesteckt und angedrückt.

      Eine neue Taktik wurde ausgedacht um mir meine Leidenschaft zu nehmen. Meine Eltern und meine beiden Schwestern sagten mir immer mal wieder, wie eklig meine bekauten Fingerkuppen aussehen würden. Ich würde ganz bestimmt keine Freundin bekommen. Die würde sich davor schütteln. Aber wollte ich eine Freundin überhaupt?

      Ich wurde nervös, also kaute ich. Ich dachte nach, also kaute ich. Es gab ein Problem, erst Mal kauen. Wie stellt man das nur ab?

      Irgendwann gaben meine Eltern und auch meine Schwestern auf. Und ich durfte kauen, bis der Arzt kam. Aber der kam deswegen nicht. Also kaute ich weiter.

      Bei Klassenarbeiten musste so mancher Finger dran glauben. Zwischendurch blutete ich mal wieder und wickelte mir Tempotaschentücher um die arg mitgenommenen blutigen Finger. Bis zur Abgabe der Klassenarbeit hatte ich dann drei Taschentücher um die Finger gebunden.

      Erst Mitte 20 hörte ich wirklich mit dem Fingernägelkauen auf. Mit 23 Jahren wurde ich Hausmeister und gleichzeitig Haus- und Hof-Künstler Altenas in der Stadtgalerie Altena.

      Vielleicht war es der Publikumsverkehr bei Ausstellungseröffnungen, oder dass ich angefangen hatte Theater zu spielen, kurzum mit 26 Jahren hatte ich plötzlich wieder Fingernägel. Allerdings dürfen die Nägel nicht viel länger sein als die Fingerkuppen. Dann könnte es sein, dass ich wieder zum Untier werde und meine Nägel fresse. Also werden die Nägel ganz kurz geschnitten.

      Auch dürfen keine Spelzen an den Nägeln oder Hautenden am Nagelbett überstehen. Die fordern mich zum rumfummeln und abknibbeln auf. Noch heute! Deshalb müssen die Nägel gefeilt werden. Aber, ich ließ wirklich das Nägelkauen sein.

      Meine Fingerkuppen sind dicke Wülste und die Nägel wachsen ziemlich platt und nicht gewölbt hervor. Durch die vielen Nagelbettentzündungen wachsen sie nun Mal nicht mehr anders. Damit muss ich eben leben.

      Es dürfen nur nicht wieder irgendwelche Spelzen hervorluken. Dann kann ich auch heute noch ständig daran herumknibbeln und dann kann es auch schon mal passieren, dass ein Hautende zwischen die Zähne gerät und gekaut wird. Ich bin nun mal Fleischesser. Aber nur noch sehr selten das eigene.

      Kapitel 12: Kinderski mit Rums

      Im Winter 1974 bekam ich zu Weihnachten ein Paar Kinderski geschenkt und Frau Holle hatte ein Einsehen und ließ dicke Flocken schneien. Hurra, jetzt konnten die Skier ausprobiert werden.

      Kinderski waren viel kürzer als die für Erwachsene. Ich sollte ja noch lernen, also gab es erst Mal nur die kürzeren. Aber so kurz waren die Dinger gar nicht. Auf dem Weg zu der großen Ski-Wiese inmitten unseres Waldes oberhalb unserer Wohnung sollte ich mich schon mal einlaufen. Meine Eltern waren dabei und beäugten mich wie mich diese verdammten Schneebretter beherrschten. Erst nur Loipe laufen. Aber die Bretter wollten nicht an Ort und Stelle bleiben. Entweder schlossen sie sich zum Paar vorne zusammen oder ich latschte mir selbst auf den hinteren Bereich.

      Irgendwie kam ich damit nicht zurecht. Die langen Skistöcke in den Händen und an den Füßen die Bretter... Ne, das war nix für mich. Die