Else Ury

Die beliebtesten Jungmädelgeschichten von Else Ury


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verpackt, nach Haus. Mutter Antje hielt Peter fest an ihrer Hand, als fürchte sie, daß er ihr wieder entwischen könnte. Ach, dem Jungen war das Ausreißen für lange Zeit vergangen.

      »Das sind die Lotsen dieses Strandes,

       Die Helfer in des Sturmes Wut –

       Das sind die Kühnsten ihres Standes,

       Das ist amringisch Heldenblut!«

      Das Gedicht, das Annemarie kürzlich in der deutschen Stunde gelernt hatte, murmelte sie im Halbschlaf vor sich hin, während der alte Lotse sie durch Sturm und Nacht heimtrug.

      Strafe bekamen die beiden diesmal von Frau Kapitän nicht – der liebe Gott selbst übernahm es, sie für ihren Ungehorsam zu strafen.

      Tante Lenchen, die von allen Kindern Vergötterte, lag am nächsten Tag nach der furchtbaren Aufregung und dem stundenlangen Verweilen in den nassen Kleidern an schwerem Nervenfieber darnieder.

      18. Kapitel

       Weihnachtsabend fern vom Elternhause

       Inhaltsverzeichnis

      Erst als die Schneeflocken weich und dicht zur Erde herniederflogen, durfte Tante Lenchen ihren altgewohnten Platz am Mittagstisch neben Annemarie wieder einnehmen.

      Das waren böse Wochen für Villa Daheim. Alles schlich auf den Zehen, keins der Kinder wagte laut zu lachen oder gar zu lärmen. Schwebte doch Tante Lenchens Leben tagelang in Gefahr.

      Am meisten litten Annemarie und Peter unter der gedrückten Stimmung. Wenn Frau Kapitän mit versorgten Mienen an den Mittagstisch trat und ihr weißes Haar noch gebleichter erschien, wenn die Lehrerinnen, ja sogar die Dienstboten Tränen in den Augen hatten, sobald sie von Tante Lenchen sprachen, dann kamen sich Annemarie und Peter ganz entsetzlich schlecht vor. Waren sie doch die beiden Schuldigen, durch deren Ungehorsam ihre liebe Tante Lenchen krank geworden.

      Innig baten sie den lieben Gott, sie doch nicht gar zu hart zu strafen und Tante Lenchen wieder gesund zu machen. Und der liebe Gott erhörte ihr Flehen.

      Etwas blaß war Tante Lenchen zwar noch immer. Aber als die Weihnachtswoche ins Land zog, konnte sie zum erstenmal wieder über die weißen, schneebedeckten Dünen in die silbern flimmernde Heide hinein spazierengehen. Annemarie und Peter durften sie begleiten, zum Zeichen, daß Tante Lenchen ihnen ganz verziehen hatte.

      Nun erst ward den beiden das Herz wieder frei und froh, und sie konnten wie die andern Kinder dem schönsten Fest im Jahre entgegenjubeln.

      Freilich anders, ganz anders kam das liebe Weihnachtsfest hier, als wie Doktors Nesthäkchen es daheim von Berlin her gewöhnt war. Da war nichts von dem lauten Getriebe der Millionenstadt, das gerade in der Weihnachtswoche seinen Höhepunkt erreichte. Keine glänzenden Schaufenster mit hohen, funkelnden Christbäumen, keine Märchenausstellungen, wie sie die großen Berliner Warenhäuser zur Weihnachtszeit zeigten. Kein Eilen und Hasten in den Straßen, kein Drängen in den Geschäften. Weder Jungen mit quiekenden Mäusen, noch mit schnarrenden Knarren erfüllten die Straßen mit ihrem Radau – alles still, feiertäglich still. Nur im Hause war eifriges Treiben. Da wurde geseift, gescheuert, geklopft und geputzt. Da wurde tagelang gebacken, Christstollen und Pfefferkuchen, Mohn-und Friesenkuchen und Marzipan. Die Kinder schnupperten wie Hündchen in die verheißungsvolle Luft. In der großen Küche unten im Kellergeschoß bei Line trieben sie sich jetzt am liebsten herum.

      Ein Teil der Clarsenschen Zöglinge war zum Weihnachtsfest heimgefahren. Vorwiegend die Großen, die keine Reisebegleitung mehr brauchten. Doktors Nesthäkchen wäre auch für ihr Leben gern nach Hause gereist. Eigentlich konnte sie sich einen Heiligabend ohne Vater und Mutti, Hänschen und Kläuschen, ohne Großmama und Tante Albertinchen gar nicht vorstellen. Aber sie wagte nicht, die Eltern in ihren Briefen mit Bitten zu bestürmen, wie sie es sonst wohl getan hätte. Sie hatte ein noch gar zu schlechtes Gewissen wegen ihres Wattabenteuers und Tante Lenchens Erkrankung. Denn nach Haus geschrieben hatte Annemarie natürlich als aufrichtiges Kind alles ganz ausführlich. Und ebenso natürlich war, daß ein sehr ernster Brief mit Vorhaltungen und Ermahnungen von den Eltern darauf erfolgte, wie ihn Nesthäkchen noch nie erhalten. Frau Doktor Braun zitterte noch nachträglich um ihr Kleinstes, am liebsten hätte sie ihre Lotte sofort heimgeholt. Großmama bestärkte sie darin, hatte sie es denn nicht gleich gesagt, mit dem Meer sei nicht zu spaßen? Noch dazu jetzt im Winter. Aber Doktor Braun beruhigte die Damen. Es war ja nichts passiert, und ein zweites Mal würde sich Annemarie sicher nicht in Gefahr begeben, dazu hatte sie zuviel Angst ausgestanden. Auf alle Fälle konnte man ja das Wattlaufen verbieten. Aber es wäre doch schade, wo die Berichte über die Erholung ihres Töchterchens so glänzend lauteten, dieselbe frühzeitig abzubrechen. Auch für einen Weihnachtsaufenthalt in der Heimat war der überlegte Arzt nicht. Nachher lösten sie sich wieder aufs neue schwer voneinander. Das beste war, ihre Lotte blieb ruhig das ganze Jahr dort auf Amrum.

      Da auch Gerda, Peter, Vronli und Gretli, Lothar und Klein-Annekathrein nicht heimreisen durften, fand sich Annemarie schnell mit der Enttäuschung ab. Sie sollte es nicht zu bereuen haben, in Wittdün geblieben zu sein; denn dieser Heiligabend am Nordseestrand war für Nesthäkchen eine Erinnerung fürs ganze Leben.

      Zuerst kam das Paketemachen für die Lieben daheim. Ganz allein mußten die Kinder ihre Weihnachtskisten packen – das bereitete ihnen die größte Freude. Hatten sie doch alle schon wochenlang vorher fleißig die Finger geregt, um für jeden etwas Hübsches herzustellen. Die Mädchen hatten gestickt, gehäkelt und gemalt, und die Jungen geschnitzt und geklebt.

      Alle hatte Doktors Nesthäkchen bedacht. Mit glückseliger Zufriedenheit beschaute es die schön gepackte Kiste. Da gab es zwei Rezeptbücher, eins für Vater und eins für Mutti. Das eine war für ärztliche Zwecke, das andere für Kochrezepte. Einen selbstgehäkelten Wollschal und eine Rodelmütze erhielten die Brüder. Für die Großmama hatte sie ein Brillenfutteral gestickt und es höchst sinnig mit einem Band versehen. Damit Großmama ihre Brille nicht mehr so oft verlegte. Tante Albertinchen, der alljährliche Weihnachtsgast, bekam einen Arbeitsbeutel für ihr Strickzeug aus bunten friesischen Bauerntüchern. Diese reizende Handarbeit hatte Frau Kapitän den kleinen Mädchen beigebracht. Auch Hanne und sogar Puck durften nicht leer ausgehen. Ein Kästchen aus selbstgesuchten Muscheln zu Nähsachen hatte »ihr Kind« für die Hanne verfertigt, und Puck wurde durch eine echt friesische Landwurst erfreut. Das Schönste aber für die Eltern war das selbstgeklebte Album mit photographischen Abzügen von Fräulein Mahldorf, das ihre Lotte und die übrigen Clarsenschen Kinder in allen möglichen Aufnahmen zeigte. Da war Nesthäkchen im hellblauen Badeanzug mit dem weißen Anker, dort in Spielhöschen in den Wellen herumpanschend. Hier mit Schippe und Eimer bewaffnet beim Burgenbauen, und jetzt gar als kleiner Hemdenmatz, im Luftbad am Reck hängend. Das letzte Bild zeigte sie vor der Prinzessin Heinrich in nicht gerade hoffähiger Toilette. Das beste aber für die Eltern war, was für ein rundes, frisches Gesichtchen ihnen aus all den Bildern entgegenlachte. Ordentlich drall waren die dünnen Arme und Beine wieder geworden. Wie ein blühendes kleines Bauernmädel schaute ihr Nesthäkchen jetzt aus. Das machte die Eltern, die das große Opfer der Trennung von ihrem Herzblatt gebracht, sehr glücklich. Frau Kapitän fügte jedem Kinderpaket noch selbstgebackene Friesenkuchen bei.

      Mit welcher Aufregung wurden nun erst die Pakete aus der Heimat von den Kindern erwartet. Aber die kleinen Neugierigen mußten sich gedulden; vor der Bescherung erhielt keiner das seinige.

      Durch die verschneite Heide über die weißen Dünen kam der Heiligabend endlich geschritten. Ruhig und feierlich lag das tiefblaue Meer da, als wisse es, daß heute kein Tag des lauten Tosens sei.

      Den vereisten Strand entlang liefen am Frühnachmittag Peter und Annemarie neben Miß John. Ein Henkelkörbchen trug jedes der Kinder, damit schlidderten sie über die glattgefrorenen Stellen. Annemarie und Peter brachten der Leuchtturm-Christel einen Weihnachtsgruß, zum Dank für die liebevolle Hilfe damals in der Sturmnacht.

      Himmel und Meer hatten bereits ihr Festkleid angelegt.

      In orange, lila und grünen Farben erstrahlte es wunderbar. Auf den