Else Ury

Die beliebtesten Jungmädelgeschichten von Else Ury


Скачать книгу

lieb hast?« fragte Fräulein Hering erstaunt.

      »Ja, weil ich doch eine verklebte Rechenseite habe und Sie nicht traurig darüber sein sollen, Tante Fräulein Hering«, schluchzte es jetzt.

      Annemarie vergaß ganz, daß ja die Lehrerin nichts von dem Klecks merken sollte, sie hatte nur noch den Wunsch, ihr Gewissen zu entlasten. Ordentlich leicht wurde es ihr ums Herzchen, als es nun glücklich heraus war.

      »Na, zeig’ mal her, Annemarie«, sagte Fräulein Hering so freundlich wie immer. »Was ist denn da bloß passiert?« Sie hielt die verklebte Seite gegen das Licht.

      »Gerda hat mir einen Klecks gemacht, und da ist ein Loch gekommen, als ich mit Bimsstein radieren wollte«, beichtete Annemarie leise.

      »Ei, du mußt die Kleine nicht an dein Schulheft heranlassen«, mahnte Fräulein Hering.

      »Sie sollte mir doch helfen – aber nun erlaube ich es nie wieder, Puppen sind viel zu dämlich zu Schularbeiten.«

      »Was – Gerda ist eine Puppe?« jetzt lachte Fräulein Hering laut auf und dachte gar nicht mehr daran, über die verklebte Seite böse zu sein.

      Ach, wieviel besser war es doch, offen die Wahrheit einzugestehen, als etwas zu verheimlichen. Annemarie nahm sich vor, es von nun an stets so zu machen, da ersparte sie sich manch böse Stunde. Und noch eins nahm sich Nesthäkchen vor: Von Puppe Gerda ließ sie sich nie wieder bei ihren Schularbeiten helfen.

      6. Kapitel

       Kinder, die sich nicht vertragen

       Inhaltsverzeichnis

      Nun ging Nesthäkchen schon vier Wochen in die Schule. Von Tag zu Tag gefiel es ihr dort besser, denn nur aller Anfang ist schwer.

      Mit Margot Thielen verband sie eine innige Kinderfreundschaft. Bloß, wenn es mal galt, irgendeine Dummheit zu machen, fühlte sich Annemarie mehr zu Hilde Rabe hingezogen, denn Margot war für Unarten schwer zu haben.

      Auch die Eltern der Kinder hatten sich inzwischen kennengelernt und die beiden Damen miteinander verabredet, daß abwechselnd Fräulein und das Kindermädchen Emilie die kleinen Mädchen zur Schule bringen und von dort abholen sollten. Da sie genau denselben Weg hatten, war die doppelte Begleitung unnötig.

      So machten Annemarie und Margot täglich morgens und mittags, zärtlich untergeärmelt, gemeinsam den Schulweg. Das befestigte ihre Freundschaft noch mehr.

      Einige besonders selbständige Kinder gingen sogar schon allein zur Schule. Aber als Nesthäkchen meinte, daß sie das geradesogut fertigkriegen würde, wollte sich Mutti durchaus nicht damit einverstanden erklären. Es gab zuviele Autos in Berlin, und ihr Nesthäkchen hatte meist seine Gedanken woanders, als wo es sich selbst gerade befand.

      »Du brauchst nicht etwa zu denken, daß Fräulein meinethalben zur Schule kommt – i wo, die kommt bloß, um ein bißchen spazierenzugehen, weil das doch so gesund ist«, tat sich Annemarie eines Tages vor Hilde groß, die schon allein ging, denn sie wohnte bloß um die Ecke.

      »Aber Annemarie,« fiel Margot, die das hörte, ein, »ist ja gar nicht wahr! Du darfst doch überhaupt nicht allein gehen.«

      »Und doch ist’s wahr,« rief Annemarie ärgerlich, weil sie beim Flunkern ertappt wurde, »ich bin ja schon sieben Jahre alt – etsch, und du bist erst sechs!«

      Margot, die etwas empfindlich war, wurde rot. Das war immer ein Zeichen dafür, daß die Tränenschleusen bald aufgezogen wurden.

      »Dafür hab’ ich aber zwei Zöpfchen, wenn ich auch erst sechs Jahre alt bin, und du hast noch so kurze Haare wie unser Baby – etsch!« wehrte sie sich.

      »Och – du hast ja man Rattenschwänzchen, ich hab’ schon viel längere Zöpfe gehabt – ja, hab’ ich auch – aber die habe ich mir bloß für meine Puppe Gerda abgeschnitten – etsch – siehste!« reizte Nesthäkchen Margot wieder.

      »Au weih – ist ja gar nicht wahr – au weih, die schwindelt, ich gehe überhaupt nicht mehr mit solcher Schwindelliese!« rief Margot, kirschrot im Gesicht, und fing an zu weinen.

      »Und ich nicht mit solcher ollen Heulsuse!« rief Klein-Annemarie aufgebracht zurück. Sie packte Hilde, die Freundin in der Not, innig um die Schulter und war mit Margot »schuß«.

      So saßen denn die beiden verfeindeten Herzensfreundinnen während der Handarbeitsstunde nebeneinander und sahen sich nicht an, kannten sich überhaupt nicht mehr.

      Aber das ist gar nicht so einfach, wie man denkt, neben seiner besten Freundin zu sitzen und mit ihr »schuß« zu sein.

      In der Handarbeitsstunde wurden aus buntem Ton allerlei niedliche Sächelchen geknetet, ähnlich wie im Kindergarten, in dem Annemarie voriges Jahr gewesen. Da wurden kleine Teller fabriziert und Kaffeekannen und Tassen. Eine Gießkanne, Kirschen und Äpfel, ja sogar allerlei Tiere.

      »Heute wollen wir mal ein Schweinchen kneten«, sagte Fräulein Hering an dem Tage, an dem Annemarie und Margot nichts voneinander wissen wollten. »Wer hat schon mal ein richtiges Schweinchen gesehen?«

      »Ich – ich«, rief Annemarie und meldete sich in ihrer Aufregung, trotzdem sie längst wußte, daß man dies nur mit dem Zeigefinger der rechten Hand tun sollte, auch gleichzeitig mit dem des linken Händchens. »Ich – ein richtiges, lebendiges, als ich bei meinem Onkel Heinrich auf dem Gut in Arnsdorf war.« Stolz warf sie einen heimlichen Blick zu Margot hin. Was die wohl dazu sagte, daß sie schon mal ein richtiges, lebendiges Schweinchen gesehen hatte?

      »Na, dann wirst du uns ja auch sagen können, wie solch Schweinchen aussieht?« fragte Fräulein weiter.

      »Süß sind sie und mächtig dreckig. Augen haben sie, die man gar nicht sieht, und blond sind sie alle und haben ein zu ulkiges Ringelschwänzchen. Und riechen tun sie ganz abscheulich!« erklärte Klein-Annemarie lebhaft.

      Fräulein lachte. »Also blond sind sie, da müssen wir gelblichen Ton dazu nehmen. Was haben sie denn für einen Kopf, einen runden oder einen spitzen?«

      »Einen spitzen«, rief Annemarie in ihrer Begeisterung wieder, trotzdem sie jetzt eigentlich gar nicht gefragt war.

      »Und dann machen sie immer so ’ne komische Schnute!« Die Kleine formte das niedliche Mündchen treffend zu einem Schweinerüssel.

      Jetzt lachte die ganze zehnte Klasse über Annemaries drolliges Aussehen. Sogar Margot Thielen mußte mitlachen, trotzdem sie doch mit Annemarie böse war.

      »Wieviel Beine hat ein Schwein, Ilse?« wandte sich Fräulein Hering an die blondzöpfige kleine Ilse Hermann.

      »Vier Stück«, antwortete die richtig.

      »Alle Tiere haben doch vier Beine«, schrie es lachend dazwischen. Es war Marlenchen mit den schwarzen Haarschnecken.

      »So, Marlenchen, ei, sieh mal, wieviel Beine haben denn die Gänse und Enten?«

      »Natürlich vier«, rief die Kleine im Ton felsenfester Überzeugung.

      Die zehnte Klasse schien über diesen kühnen Ausspruch durchaus nicht verwundert. Die meisten der kleinen Stadtkinder waren genau derselben Ansicht wie Marlenchen.

      Annemarie aber lachte: »Enten und Gänse haben doch nur zwei Beine, sonst könnten sie doch gar nicht so schön watscheln!«

      »Welche Tiere haben ebenfalls nur zwei Beine?« fragte die junge Lehrerin lächelnd weiter.

      »Piepmätzchen, Papagei, Hühner, Tauben, Fliegen, Spatzen«, so piepte es wie in einem Vogelhaus durcheinander.

      »Fliegen auch, Mariannchen? Hast du denn noch nie eine Fliege richtig angesehen?« unterbrach Fräulein Hering das Gepiepse.

      Mariannchen machte ein betroffenes Gesicht. Nein, die Fliegenbeinchen waren ja so dünn und krabbelten so durcheinander, daß man gar nicht aus ihnen klug werden konnte.