Else Ury

Die beliebtesten Jungmädelgeschichten von Else Ury


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Irgendwo gab es immer ein niedliches Kleckschen, ein ausgewischtes Schwänzchen, und die Seiten zeigten meist lustige Eselsohren. Die schönen, blauen Papierumschläge, die Fräulein zu Beginn der Schule über die Bücher gezogen, hingen zerfetzt herum, trotzdem sie schon erneuert worden waren. Dem kleinen Mädel konnte es nie schnell genug gehen, sie schleuderte stets ihre Schulsachen unachtsam in die Mappe. Alles Schelten und Predigen von Fräulein wollte nichts nützen.

      Margot aber war ein sehr ordentliches kleines Mädchen, das sorgsam mit seinen Heften und Büchern umging. Die Schreibseiten von Margot waren stets so sauber und nett, daß fast immer ein »Sehr gut« mit roter Tinte darunter stand.

      Ach, wie schauten Annemaries Abschriften dagegen aus! So unsauber, als ob die Hühner darübergelaufen wären. Darum saß Margot noch immer über Annemarie, wenn letztere eigentlich auch aufgeweckter war und im Lesen und Rechnen entschieden besser.

      Heute wurde zum erstenmal Diktat in der zehnten Klasse geschrieben. Das war ein Ereignis. Besonders, da Fräulein Hering die Kinder nach der Fehlerzahl setzen wollte. Mit heißen Wangen schrieben die kleinen Mädchen »Beil – Maus – Igel«, und wie die schönen Worte aus der Fibel alle heißen.

      »Pfui, Hilde, wer guckt denn ab! Auf das Heft der Nachbarin darf man nicht schielen, denn das ist unehrlich«, unterbrach die Lehrerin plötzlich ernsthaft ihr Diktat.

      Hilde Rabe senkte den Kopf mit den stets wie Feuerrädchen allenthalben umherkreisenden Augen. Aber es dauerte nicht lange, da ließ sie dieselben wieder zum Heft des neben ihr sitzenden Mariannchens spazieren, trotzdem dieses schon aus Vorsicht ihr Löschblatt vorhielt.

      Diesmal gab es keinen Verweis, sondern Fräulein Hering holte das Schielböckchen nach vorn aufs Katheder. Dort konnte die Hilde beim besten Willen nicht abschreiben, wenn sie auch ihren Hals noch so sehr reckte.

      O die Schmach!

      Alle Kinder sahen auf sie, Margot Thielen wurde sogar für Hilde rot. Deren Augen aber gingen ebenso lustig im Kreise herum wie sonst, sie schien die Schande nicht übermäßig zu empfinden. Ja, als Fräulein Hering ihr den Rücken wandte, schnitt sie sogar Annemarie eine Grimasse zu.

      Die mußte über das ulkige Gesicht lachen.

      Fräulein Hering wunderte sich über die beim Diktat nicht recht angebrachte Lustigkeit, besonders, da sie gerade das Wort »weinen« diktierte.

      »Ei, Annemie, weshalb freust du dich denn so über dieses Wort?«

      Die Kleine sprang, rot wie eine Mohnblume, von ihrem Sitz auf. Denn das hatte die Annemarie auch inzwischen gelernt, daß man aufstehen muß, wenn man in der Schule gefragt wird.

      Aber sie antwortete nicht. Nesthäkchen wußte von den größeren Brüdern, daß Klatschen gemein ist, und Klaus hatte erst gestern einen Jungen aus seiner Sexta einen »Petzerich« genannt. Nein – Klein-Annemarie verriet Hilde Rabe nicht.

      Da aber meldete sich Ruth, und als Fräulein Hering sie fragte, was sie wolle, antwortete sie mit lauter Stimme: »Hilde Rabe hat ein Gesicht geschnitten!« Das klang wieder, als ob sie ein Gedicht aufsagte.

      »Pfui, so ’ne olle Petze!« entfuhr es Annemarie verächtlich.

      Fräulein Hering wandte sich zu Ruth und sagte halblaut: »Die Angeberin muß man nie spielen, das ist nicht nett, Kind!«

      Ruth, die geglaubt hatte, noch obendrein belobt zu werden, wurde jetzt ebenso rot wie Annemarie vorhin. Das Diktat aber konnte nun seinen Fortgang nehmen.

      Die Erste einer jeden Bank sammelte die Hefte ein und brachte sie der Lehrerin auf das Katheder. Da lag nun das ganze Pack, die himmelblauen, rosa und roten Seidenbändchen, mit denen die Löschblätter angeheftet waren, grüßten lustig zu den Kindern herüber.

      Schon in der letzten Stunde gab Fräulein Hering die Diktate korrigiert zurück.

      »Also null Fehler hat nur eine einzige geschrieben«, begann die Lehrerin.

      Hundert Kinderohren spitzten sich begierig, denn jede der Kleinen glaubte sicher, selbst diese »Einzige« zu sein.

      »Das beste Diktat hat Annemarie Braun, setze dich die Erste«, fuhr Fräulein Hering fort.

      »Juchhe!« – schrie Nesthäkchen voll Seligkeit, trotzdem es längst wußte, daß man solche Freudenäußerungen in der Schule zu unterlassen hat.

      »Freu’ dich leise, Annemarie,« mahnte denn auch die junge Lehrerin in ihrer gewinnenden Art, »und ein andermal streiche beim Diktat nichts aus. Heute habe ich nur nach den Fehlern gesetzt, künftig wird auch nach Sauberkeit und Schrift die Rangordnung gemacht.«

      Mit glückstrahlenden Augen nahm die Kleine den Ehrenplatz in der Klasse ein.

      Ach, was ist das für ein wunderbares, stolzes Gefühl, Erste zu sein! Nesthäkchen hätte in diesem Augenblick nicht mit der Kaiserin von Deutschland getauscht.

      Die Zweite wurde Mariannchen, Margot erst die Fünfte. Sie hatte Hund mit t statt mit d geschrieben und lieb mit einem p am Schluß. Da wurden wieder die Tränenschleusen aufgezogen. Margot heulte, weil sie herunterkam und weil sie nun nicht mehr neben ihrer Freundin Annemarie saß. Dadurch fiel auch auf Klein-Annemaries helles Glück ein leichter Schatten, denn welches gutherzige Kind vermag sich uneingeschränkt zu freuen, während die beste Freundin weint?!

      Hilde Rabe hatte trotz Abguckens das schlechteste Diktat geschrieben und kam Letzte. Neunzehn Fehler, in jedem Wort einer, manchmal sogar zwei. Jetzt weinte sie und schnitt dabei ebenfalls Gesichter, aber keine lustigen.

      »Du wirst schon wieder raufkommen, Margotchen«, tröstete Annemarie die Freundin auf dem Heimweg. »Das nächstemal geht es auch nach Sauberkeit, da kommst du sicher über mich«, stellte sie in uneigennütziger Weise in Aussicht.

      Margots betrübtes Gesichtchen wurde hoffnungsvoller. Und als im Tiergarten plötzlich rrrrrrr – rrrrrrr – ein Luftschiff über den Bäumen dahinsegelte, ganz tief, daß die Kinder die winkenden Passagiere erkennen konnten, war sie vollends getröstet und brüllte mit Annemarie um die Wette: »Hurra!«

      »Au – fein – so dicht habe ich den Zippel-Zappel-Zeppelin noch nie gesehen, man kann ja den Namen erkennen«, rief Nesthäkchen in das Surren der Propeller hinein und begann zu buchstabieren.

      Aber sie kam nur bis zum s, dann war das Luftschiff ihren Blicken entschwunden.

      »Hans!« – rief sie hinterher, »es heißt Hans!«

      »Ach wo,« lachte Fräulein, »das ist die ›Hansa‹, du bist mit dem Lesen nicht fertig geworden.«

      »Wenn ich doch bloß mal mit dem Zippel-Zappel-Zeppelin mitfahren dürfte!« Nesthäkchen sah sehnsüchtig hinter dem stolz seine Bahn ziehenden Luftschiff her. »Das müßte lustig sein, auf all die Menschen und Häuser hinabzublicken.«

      »Ich würde mich halbtot ängstigen«, sagte die schüchterne Margot und schüttelte furchtsam das Köpfchen.

      »Ich gar nicht,« lachte Nesthäkchen unternehmungslustig, »ich möchte am liebsten eine Reise bis in alle Ewigkeit mit dem Zippel-Zappel-Zeppelin machen!«

      Als Annemarie daheim anlangte, wußte sie nicht, welche Neuigkeit sie Mutti zuerst entgegenschmettern sollte. So kam es, daß sie in ihrer Aufregung alles durcheinanderwirbelte.

      »Mutti, ich hab’ eben das Luftschiff gesehen – und ich bin Erste gekommen – ich möchte so gern mal mitfahren! Null Fehler habe ich im Diktat, das allerbeste – und Margot hat Angst – die Letzte ist Hilde Rabe!« Nesthäkchens kleines Mundwerk surrte beinah so schnell wie vorhin die Propeller.

      »Langsam, langsam, Lotte,« lächelte Mutti. »Null Fehler hast du im Diktat geschrieben, das ist ja schön! Zeig’ dein Heft mal her.«

      Annemarie kramte in der nicht sehr ordentlichen Mappe. Endlich hatte sie das Heft gefunden. Stolz schlug sie es auf.

      Aber entsetzt starrte Nesthäkchen auf die Seite. Hatte ein böser Märchenkobold ihr unterwegs das Diktat verwandelt?

      Da