Else Ury

Die beliebtesten Jungmädelgeschichten von Else Ury


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Zensur wäre sehr schön, Fräulein, und ein Schutzmann muß das doch wissen, nicht?« begann die Kleine das heikle Thema.

      »Ja, ist sie denn nicht gut?« fragte Fräulein und griff nach dem Blatt. »Aber Annemie, Vierte bist du gekommen, drei Plätze herunter? Und was steht denn hier unten bei Haltung der Hefte und Bücher? ›Annemarie muß sich größerer Sauberkeit befleißigen.‹ Schämst du dich nicht, daß man dir so was auf die Zensur schreibt?«

      »Das hat der Herr Schutzmann gar nicht vorgelesen, und er hat doch gesagt, meine Zensur sei sehr gut«, verteidigte sich die Kleine.

      Eine Weile gingen die beiden schweigend nebeneinander her. Fräulein war ärgerlich, daß sich die Kleine, die sie zu Hause nur zu oft wegen ihrer Unachtsamkeit tadeln mußte, auch in der Schule nicht mehr zusammennahm.

      »Fräulein, glaubst du, daß man als Vierte auch noch eine Kindergesellschaft geben kann?« erkundigte sich Nesthäkchen, nachdem es selbst schon eine ganze Weile über diesen Punkt nachgedacht hatte.

      »Das schlage dir nur aus dem Sinn«, lautete die wenig tröstliche Antwort. »Mutti wird nicht gerade erbaut von deiner Zensur sein.«

      Mutti war in der Tat nicht sehr erbaut von der ersten Zensur ihres Nesthäkchens.

      »Ich habe doch aber so oft Sehr gut«, wandte die Kleine mit zuckenden Lippen auf Muttis Vorhaltungen ein.

      »Die Hauptsache bei einem kleinen Mädchen sind Ordnung und Eigenheit, das ist mehr wert als alle Sehr gut!« sagte Mutti ernst.

      »Und der Schutzmann hat doch gesagt, meine Zensur sei sehr schön, dann muß ich doch auch zur Belohnung eine Kindergesellschaft geben dürfen.« Nesthäkchen verzog den Mund weinerlich.

      »Nein, mein Kind, für diesmal hast du jede Belohnung verwirkt. Aber wenn ich sehe, daß du bis Weihnachten bemüht bist, deinen Fehler abzulegen und achtsam mit deinen Sachen umzugehen, erlaube ich es dir vielleicht in den Weihnachtsferien.« Gegen diesen bestimmten Ton Muttis nützte alles Bitten nichts, das wußte Klein-Annemarie.

      Die Brüder, die aus der Schule kamen, sahen gleich, was die Glocke geschlagen hatte. Hans streichelte mitleidig Nesthäkchens tiefgesenktes Köpfchen. Klaus aber begann sie zu foppen.

      »Schmierfink – Schmierfinkchen!« rief er.

      Dabei hatte Klaus doch ganz und gar keinen Grund, sich so mausig zu machen. Denn das Zeugnis, das er selbst mit heimgebracht, war so jämmerlich, daß Mutti ihm ernstlich drohte: »Ist die Zensur das nächstemal nicht besser, Klaus, geben wir dich in eine strenge Pension.«

      Das machte Eindruck auf den Schlingel, denn fort von Haus, von Vater und Mutter und den Geschwistern, das mochte er trotz all seiner wilden Streiche nicht.

      Nur Hans hatte den Eltern Freude bereitet. Vater allerdings war ja auch mit der Zensur von seiner Lotte ganz zufrieden. Sie war doch noch solch ein kleines Ding und mußte sich erst an die Anforderungen der Schule gewöhnen. Aber er stimmte der Mutter bei, daß Nesthäkchen es lernen mußte, mit ihren Sachen ordentlich umzugehen.

      »Ihr habt’s gut, Kinder«, sagte Annemarie zu ihren Puppen, die erstaunt die betrübten Mienen der sonst immer fröhlichen Kleinen sahen. »Ihr kriegt keine Zensur und keine Schelte!« Sie schmiegte das heiße, noch tränenfeuchte Gesicht an Gerdas kühle Porzellanwangen.

      »Bessere dich doch, werde ein ordentliches kleines Mädchen, dann bekommst du auch keine Schelte mehr!« Ohne daß Puppe Gerda einen Ton sprach, wußte die Kleine wieder ganz genau, was sie dachte.

      »Ja, ich will – ich will mich ganz bestimmt bessern!« flüsterte sie ihrer Puppe ins Ohr.

      Als Großmama am Nachmittag kam und ihrem kleinen Liebling die versprochene rote Zensurenmappe mit Silberschrift mitbrachte, sagte Klein-Annemarie, so schwer es ihr auch wurde: »Ich – ich – Mutti meint, ich hätte keine Belohnung für meine Zensur verdient. Aber sei doch so gut, Großmuttchen, und hebe sie mir bis Weihnachten auf, bis dahin bin ich bestimmt ganz schrecklich ordentlich geworden!«

      Ob Nesthäkchen Wort gehalten hat?

      16. Kapitel

       Kindergesellschaft

       Inhaltsverzeichnis

      In der ersten Zeit gab sich Klein-Annemarie grenzenlose Mühe, ihren Fehler zu bekämpfen und ein ordentliches, sauberes Kind zu werden.

      Wenn sie mittags aus der Schule kam und die Matrosenmütze wie sonst auf irgendeinen Stuhl fliegen wollte, während die Mappe kopfüber in die entgegengesetzte Ecke sprang, dann brauchte Fräulein das kleine Mädchen nur mahnend anzusehen. Und sogleich wanderte die Mütze in den Schrank und die Mappe an den Nagel am Arbeitspult. Annemarie band sich von selbst ihre Hausschürze um, sie wusch sich die Hände, bevor sie an die Schularbeiten ging, und sie faßte ihre Hefte und Bücher so behutsam an, als ob sie aus Glas seien. Ja, sie versuchte sogar, jedes Knöpfchen, das von ihren Kleidungsstücken abriß, sich selbst wieder anzunähen. Freilich kam es manchmal vor, daß sie sich dabei tüchtig piekte und rotes Blut aus dem Fingerchen floß. Dann mußte Vater ihr einen großen Verband anlegen. Auch nähte sich Nesthäkchen öfters ihre Schürze oder ihren Kleiderärmel mit ans Hemdchen oder Höschen fest, das sie mit einem neuen Knopf versehen wollte. Aber das war nur im Anfang. Auch der alte Faden, der so leicht riß, wenn die Kinderhände ungeduldig daran zerrten, nahm allmählich Vernunft an und ärgerte Klein-Annemarie nicht mehr.

      Mutti und Fräulein konnten zufrieden sein, wie ernst es der Kleinen mit ihrer Vornahme, sich zu bessern, war. Auch Vater nahm zu seiner Freude wahr, daß seine Kragen lange nicht so schnell wie früher von kleinen, zärtlichen, aber leider schwärzlichen Kinderfingerchen beschmiert wurden. Nesthäkchen achtete darauf, daß es stets saubere Hände hatte. Es legte mittags seine Serviette von selbst zusammen, ohne daß Fräulein es erst dazu zurückholen mußte. Und es räumte abends vor dem Schlafengehen alle gebrauchten Spielsachen auch ohne Fräuleins Aufforderung in das Fach.

      Selbst die Puppen bemerkten mit Genugtuung Annemaries erwachten Ordnungssinn. Sie hatten, seitdem Nesthäkchen ein kleines Schulmädchen geworden und neue Pflichten bekommen, recht oft Grund gehabt, über ihr Mütterchen Klage zu führen. Geradezu verwahrlost mußten die armen Kinder oft einhergehen. Sie wurden nicht mehr gewaschen, nicht gekämmt, und ihre Sachen lagen in der Puppenkommode wie Kraut und Rüben durcheinander. Baby behielt wochenlang seine zerlöcherten Strümpfchen an, und Irenchen mußte sogar mit dem Hut schlafengehen. Die einzige, die weniger unter Annemaries Liederlichkeit zu leiden hatte, war Puppe Gerda. Wenn die mit ihren blauen Glasaugen ihr Mütterchen vorwurfsvoll anschaute, das konnte Nesthäkchen nicht ertragen.

      Jetzt aber erging es auch den anderen Puppen wieder besser, denn ein ordentliches kleines Mädchen sorgt vor allem dafür, daß seine Puppen sauber aussehen.

      »Heute werde ich alle Puppenstrümpfe stopfen«, sagte das kleine Mädchen an einem Regentage und setzte sich mit ihrem Kinderstuhl neben Fräulein. Dieses hatte ebenfalls einen Berg Strümpfe zum Ausbessern vor sich. Die meisten davon stammten von dem wilden Klaus.

      »Annemiechen, du mußt aber erst Stopfen lernen, du verstehst es noch nicht, ich will es dir gern zeigen«, erbot sich Fräulein freundlich.

      »Nein, danke schön, Fräulein, ich kann schon ganz allein stopfen. Mutti hat neulich erst zu mir gesagt, als es Milchreis gab: ›Stopfe nicht so, Lotte!‹, da muß ich es doch können«. Treuherzig sah die Kleine Fräulein an.

      »Ja, mein Liebling, wenn Strümpfe stopfen und Milchreis stopfen dasselbe wäre, würde es mir auch lieber sein«, lachte Fräulein. »Aber Strümpfe stopfen schmeckt weniger gut.« Sie zeigte dem kleinen Mädchen, wie man ein Fadengitter über das Loch spannt.

      Das sah ganz leicht und amüsant aus. Aber als Nesthäkchen es schnell nachmachen wollte, merkte es zu seinem Erstaunen, daß eine Sache oft schwieriger ist, als wie sie aussieht. Annemarie verlor bald die Geduld und zog es vor, die Löcher in den Puppenstrümpfen lieber zuzunähen als zu stopfen. Und schließlich