George Sand

Ein Winter auf Mallorca


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du diese wenigen Momente der Bewunderung und Verzückung, die ich meinem Ungemach abgerungen habe, zu teuer bezahlt findest.

      Dieser Bericht, den ich schon vor einem Jahr geschrieben habe, hat mir seitens der Bewohner Mallorcas außerordentlich fulminante und komische Diatriben eingebracht. Ich bedauere, dass sie zu lang sind, um als Anhang meiner Erzählung veröffentlicht zu werden. Der Ton, in dem sie nämlich verfasst sind, sowie die Art der an mich gerichteten Vorwürfe bestätigen nämlich meine Annahmen über die Gastfreundschaft, den Geschmack und die Zuvorkommenheit der Mallorquiner gegenüber Fremden. Dies wäre ein ziemlich seltsames Beweisstück: Allein, wer könnte es bis zum Ende lesen? Darüber hinaus: Wenn Eitelkeit und Dummheit darin liegt, Komplimente zu veröffentlichen, die man bekommen hat, läge nicht vielleicht noch mehr darin, heutzutage Aufhebens um Beleidigungen zu machen, deren Gegenstand man ist?

      Ich erspare dir also dies alles und beschränke mich darauf, dir zu sagen, um die Einzelheiten, die ich dir über diese naive Bevölkerung Mallorcas schulde, zu vervollständigen, dass die geschicktesten Anwälte Palmas, vierzig an der Zahl, sich nachdem sie meinen Bericht gelesen hatten, versammelt haben, um mit vereinten Kräften ein schreckliches Schriftstück gegen den unmoralischen Schriftsteller aufzusetzen, der sich gestattet hatte, über ihre Habsucht und ihre Hingabe an die Schweineaufzucht zu lachen. Hier darf man ihnen wohl nachsagen, dass sie alle zusammen schlau wie zehn kleine Dörfer gewesen sind.

      Aber lassen wir diese braven Leute in Frieden, die so aufgebracht gegen mich sind. Sie haben Zeit gehabt, sich zu beruhigen, und ich meinerseits hatte Zeit, ihre Handlungsweise und wie sie sprechen und schreiben zu vergessen. Ich erinnere mich unter den Insulanern dieses schönen Landes nur noch an fünf oder sechs Menschen, deren herzlicher Empfang und deren liebenswürdige Manieren immer als eine Entschädigung und eine Wohltat des Schicksals in meiner Erinnerung bleiben werden. Wenn ich sie nicht namentlich erwähnt habe, dann weil sie mich nicht für eine Persönlichkeit gehalten haben, die bedeutsam genug gewesen wäre, ihnen Ehre zu erweisen und sie durch meine Dankbarkeit auszuzeichnen; jedoch bin ich sicher (und ich glaube, es im Laufe meiner Erzählung erwähnt zu haben), dass sie mich ihrerseits in freundlichem Andenken behalten werden und sich durch meine respektlosen Spötteleien nicht gemeint fühlen werden und deshalb auch nicht an meiner Achtung für sie zweifeln werden.

      Ich habe dir nichts von Barcelona erzählt, wo wir indes ein paar anstrengende Tage verbracht haben, bevor wir uns nach Mallorca eingeschifft haben. Es ist hinreißend, bei schönem Wetter und auf einem guten Dampfschiff von Port-Vendres nach Barcelona zu fahren. Wir begannen, an der Küste Kataloniens die Frühlingsluft wieder zu finden, die wir im November in Nîmes geatmet hatten, die uns aber nach Perpignan abhanden gekommen war; auf Mallorca wurden wir von Sommerhitze empfangen. In Barcelona machte eine frische Brise vom Meer die strahlende Sonne erträglich und fegte alle Wolken vom weiten Horizont, der in der Entfernung manchmal von schwarzen, kahlen, dann wieder von weiß verschneiten Gipfeln eingegrenzt war. Wir machten einen Ausflug aufs Land, nicht ohne dass die guten andalusischen Pferdchen, die uns zogen, ihren Hafer gefressen hatten, damit sie uns im Falle von unliebsamen Begegnungen wieder in die Mauern der Zitadelle bringen konnten.

      Du weißt, dass damals (1838) überall in diesem Land Räuberbanden umherzogen, die einem den Weg versperrten, die in den Städten und Dörfern auftauchten und sogar den bescheidensten Behausungen etwas abpressten und sich in den Landhäusern einnisteten, die bis zu einer halben Meile vor der Stadt lagen, um dann, ohne dass man sich’s versah, hinter jedem Felsen hervorzuspringen um vom Reisenden das Geld oder Leben zu verlangen.

      Wir jedoch wagten uns bis auf wenige Meilen ans Meer und trafen nur Delegationen von Christinos, die nach Barcelona unterwegs waren. Es hieß, dies seien die schönsten Truppen Spaniens; es waren ziemlich schöne Männer, nicht zu übel anzuschauen für Leute, die aus dem Felde kamen, aber Männer und Pferde waren so mager, die einen von einer solch gelblichen und blassen Gesichtsfarbe, die anderen mit solch hängenden Köpfen und mageren Flanken, dass man sie am Hunger leiden fühlte, sobald man ihrer ansichtig wurde.

      Einen noch traurigeren Anblick boten die Mauern, die um die kleinsten Dörfer und die ärmlichsten Hütten herum errichtet worden waren: Ein kleiner Schutzwall aus groben Steinen – kein großer gezackter Turm –, der dick wie ein Kloß vor jeder Tür stand, oder niedrige Mäuerchen mit Schießscharten um jedes Dach zeugten davon, dass sich kein Bewohner dieser reichen Landschaft in Sicherheit wiegen konnte. An vielen Stellen trugen diese zerfallenen kleinen Schutzmauern jüngere Spuren von Angriffen und Verteidigungen.

      Als wir durch die großartigen und gewaltigen Schutzmauern von Barcelona gekommen waren, durch ich weiß nicht wie viele Tore, über Zugbrücken, Thermen und Wälle, kündigte nichts mehr an, dass wir eine Stadt des Krieges betraten. Hinter einer dreifachen Reihe von Kanonen und durch Räubereien und den Bürgerkrieg vom Rest Spaniens abgeschnitten, ging die strahlende Jugend in der Sonne der Ramblas spazieren, einer langen Allee, die wie unsere Boulevards von Bäumen und Häusern gesäumt war: Die schönen Frauen waren graziös und kokett und ausschließlich mit dem Faltenwurf ihrer Mantillen und dem Spiel ihrer Fächer beschäftigt; die Männer kümmerten sich lachend, schwatzend und den Damen Blicke zuwerfend um ihre Zigarren, während sie sich über die italienische Oper unterhielten, und schienen sich nicht um das zu sorgen, was jenseits ihrer Mauern geschah. Aber wenn die Nacht hereingebrochen war, die Oper zu Ende und die Gitarren weit entfernt, wurde die Stadt den Wachgängen der Serenos übergeben, und man hörte, mitten im monotonen Rauschen des Meeres, nur noch die düsteren Rufe der Wachposten, Schüsse, die noch düsterer waren und in unregelmäßigen Abständen fielen, manchmal seltener, manchmal häufiger, von verschiedenen Orten aus, sei es ein Schusswechsel, seien sie vereinzelt, manchmal aus ziemlicher Entfernung, manchmal in der Nähe und stets bis zum frühen Morgengrauen. Dann kehrte über alle für ein oder zwei Stunden Stille ein, die Bürger schienen tief zu schlafen, während der Hafen erwachte und das Volk der Matrosen munter wurde.

      Falls es einem während der vergnüglichen Stunden des Spaziergangs einfiel zu fragen, woher denn dieser seltsame und schreckliche Lärm des Nachts gekommen war, wurde einem lächelnd geantwortet, dies ginge niemanden etwas an, und es sei unvorsichtig, sich danach zu erkundigen.

Erster Teil

      I

      Zwei englische Touristen entdeckten vor ungefähr fünfzig Jahren, glaube ich, das Tal von Chamonix, so bezeugt es eine Inschrift, die in einen Felsbrocken am Eingang zum Gletscher Mer de glace gemeißelt ist.

      Dies scheint ziemlich anmaßend, wenn man die geografische Position dieses Tages in Betracht zieht, aber bis zu einem gewissen Grad gerechtfertigt, wenn diese Touristen, deren Namen ich nicht behalten habe, die Ersten gewesen sind, welche die Dichter und Maler auf diesen romantischen Ort aufmerksam gemacht haben, wo Byron sein bewundernswertes Drama »Manfred« erträumt hat.

      Man kann ganz allgemein sagen, indem man den modischen Standpunkt einnimmt, dass die Schweiz erst von der guten Gesellschaft und den Künstlern vor einem Jahrhundert entdeckt wurde. Jean-Jacques Rousseau ist der wirkliche Christopher Columbus der Alpendichtung und, wie Chateaubriand so treffend beobachtet hat, der Vater der Romantik in unserer Sprache.

      Da ich nicht die gleichen Ansprüche auf Unsterblichkeit erheben kann wie Jean-Jacques und nun nach welchen suche, die ich haben könnte, wurde ich gewahr, dass ich mich vielleicht auf die gleiche Art und Weise wie die beiden Engländer dadurch auszeichnen könnte, nicht etwa das Tal von Chamonix, sondern die Insel Mallorca entdeckt zu haben. Aber die Welt ist heutzutage so anspruchsvoll geworden, dass es mir nicht genügen würde, meinen Namen in irgendeinen Felsen der Balearen meißeln zu lassen. Man hätte von mir eine ziemlich genaue Beschreibung verlangt, oder wenigstens einen ziemlich poetischen Bericht meiner Reise, um den Touristen das Verlangen zu vermitteln, sie auf mein Wort hin zu unternehmen; und da mich diese Gegend nicht in eine überschwängliche Geistesverfassung versetzt hatte, verzichtete ich auf den Ruhm meiner Entdeckung und habe sie weder auf dem Granit noch auf dem Papier verewigt.

      Hätte ich unter dem Eindruck des Kummers und Ungemachs geschrieben, die ich damals zu gewärtigen hatte, nie hätte ich mich dieser Entdeckung rühmen können; denn jedermann hätte mir nach dem Lesen meiner Erzählung gesagt,