George Sand

Ein Winter auf Mallorca


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eine der schönsten Gegenden der Welt und eine der unbekanntesten. Dort, wo es nur malerische Schönheit zu beschreiben gibt, ist die literarische Produktion so ärmlich und ungenügend, dass ich nicht einmal daran dachte, sie zu übernehmen. Es bedarf des Stiftes und Griffels eines Zeichners, um die Erhabenheit und Schönheit der Natur den Reisenden vor Augen zu führen.

      Wenn ich also heute die Lethargie meiner Erinnerungen wachzurütteln versuche, so liegt das daran, dass ich unlängst eines Morgens auf meinem Tisch einen hübschen Band mit folgendem Titel gefunden habe: »Erinnerungen an eine Kunstreise auf die Insel Mallorca von J.-B. Laurens«.

      Es war für mich eine wahre Freude, Mallorca und seine Palmen, seine Aloepflanzen, seine arabischen Monumente und seine griechischen Kostüme wieder zu finden. Ich erkannte alle Orte mit ihrer poetischen Farbe wieder und empfand aufs Neue die Eindrücke, die ich bereits für vergessen hielt. Es gab keine Hütte, kein Gesträuch, das in mir nicht eine Welt von Souvenirs, wie man heute sagt, wachgerufen hätte. Daraufhin fühlte ich mich in der Lage, wenn nicht meine Reise, so doch die Eindrücke des Herrn Laurens nachzuerzählen, eines intelligenten und fleißigen Künstlers, flink und gewissenhaft in der Ausführung seiner Werke, dem sicherlich die Ehre gebührt, die ich mir zuteil werden ließ, nämlich die Insel Mallorca entdeckt zu haben.

      Diese Reise des Herrn Laurens durch das Mittelmeer und an dessen Ufern enträt bisweilen genauso wie seine Bewohner der Gastlichkeit und ist daher umso verdienstvoller als die Wanderung unserer beiden Engländer durch die Alpen. Dennoch wird Mallorca bald der Schweiz zum Nachteil gereichen, da unsere europäische Zivilisation es geschafft hat, weitestgehend Zöllner und Gendarmen, diese konkreten Verdeutlichungen des Misstrauens und der nationalen Antipathien, abzuschaffen und die Dampfschifffahrt direkt von unseren Küsten nach dorthin zu organisieren. Man wird nämlich in ebenso kurzer Zeit dorthin reisen können und gewiss ebenso gefällige Schönheit und fremde Größe und Erhabenheit vorfinden, die der Malerei zum neuen Gegenstand gereicht.

      Heute kann ich ruhigen Gewissens diese Reise nur körperlich robusten Künstlern leidenschaftlichen Geistes empfehlen. Sicherlich wird eine Zeit kommen, da zartere Kunstliebhaber, vielleicht sogar hübsche Damen sich in Palma ohne mehr Anstrengungen als in Genf werden aufhalten können.

      Herr Laurens, den man lange mit Herrn Taylor und seinen kunstvollen Arbeiten über die historischen Monumente Frankreichs in Verbindung brachte, und der nun auf sich gestellt ist, hatte sich letztes Jahr vorgenommenen, die Balearen, über die es so wenig Auskünfte gibt, zu besichtigen, und er gibt zu, klopfenden Herzens an Land gegangen zu sein, da ihn dort vielleicht zahlreiche Enttäuschungen erwarten würden als Antwort auf seine goldenen Träume. Aber was er dort suchte, sollte er finden, und alle seine Erwartungen wurden erfüllt, denn ich wiederhole es: Mallorca ist das Eldorado der Malerei. Alles dort ist malerisch, von der Bauernhütte, die bis in die kleinste Einzelheit die Tradition des arabischen Stils behalten hat, bis zum in Windeln gewickelten Kind, das in seiner grandiosen Unreinlichkeit triumphiert, wie Heinrich Heine es in Bezug auf die Frauen des Kräutermarktes von Verona ausgedrückt hat. Der Charakter der Landschaft, die an Vegetation reicher ist als diejenige Afrikas, hat im Allgemeinen ebenso viel Weite, Ruhe und Einfachheit. Es ist das grüne Helvetien unter dem Himmel Kalabriens mit der Feierlichkeit und Ruhe des Orients.

      In der Schweiz verleihen der allgegenwärtige Sturzbach und die Wolken, die unaufhörlich vorüberziehen, den Anblicken eine Beweglichkeit der Farben und sozusagen eine ständige Unruhe, die mitunter schwierig in der Malerei wiederzugeben ist. Die Natur scheint hier mit dem Künstler ihr Spiel zu treiben. Auf Mallorca scheint sie ihn zu erwarten und einzuladen. Dort nimmt die Vegetation stolze und seltsame Formen an, aber sie entfaltet nicht jenen wilden Luxus, unter dem die Konturen der schweizerischen Landschaft zu oft verschwinden. Die Spitze eines Felsens zeichnet ihre kleineren Umrisse auf einen glitzernden Himmel, die Palme beugt sich von selbst über den Abgrund, ohne dass die launische Brise die Majestät ihres Schopfes in Unordnung bringt, und bis hin zum letzten kümmerlichen Kaktus am Wegesrand scheint alles aus Eitelkeit, wie zum Vergnügen des Betrachters, aufgestellt worden zu sein.

      Zu allererst stellen wir in einer sehr kurzen Beschreibung die größte der Inseln vor, und dies in Form eines gewöhnlichen Artikels eines geografischen Lexikons. Dies ist nicht so einfach wie man annimmt, vor allem, wenn man versucht, Erkundigungen vor Ort einzuziehen. Die Vorsicht des Spaniers und das Misstrauen der Insulaner gehen hier so weit, dass ein Fremder nicht die harmloseste Frage stellen darf, ohne für einen politischen Agenten gehalten zu werden. Der gute Herr Laurens ist vom grimmigen Gouverneur verhaftet worden, während er die Skizze einer Burgruine anfertigte, und dies unter dem Verdacht, die Baupläne der Festung kopieren zu wollen. So hat unser Reisender, der nicht die Absicht hatte, sein Skizzenbuch in den Gefängnissen Mallorcas zu vervollständigen, darauf verzichtet, andere Erkundigungen als solche über die Gebirgspfade einzuziehen, und sich darauf beschränkt, als Dokumente die Steine der Ruinen zu konsultieren. Nachdem ich vier Monate auf Mallorca verbracht habe, wäre ich nicht weiter als er gewesen, hätte ich nicht Zugang gehabt zu den wenigen Informationen, die es über diese Gegend gibt. Und doch setzte da erneut meine Ungewissheit ein, denn diese Werke sind schon alt und voller Widersprüche. Wie es bei Reiseautoren üblich ist, stellen sie die Aussagen der anderen auf derart brillante Weise in Abrede, dass man sich wohl mit einigen Ungenauigkeiten abfinden muss und vermeiden sollte, viele weitere zu begehen. Hier jedoch mein Artikel des geografischen Lexikons und, um meine Rolle als Reisende nicht zu überschreiten, beginne ich damit, zu erklären, dass er zweifellos allen vorangehenden Artikeln überlegen ist.

      II

      Mallorca, das Herr Laurens Balearis Major nennt, wie die Römer es taten, und von dem Doktor Juan Dameto, der König der Historiker Mallorcas, sagt, dass es in früherer Zeit Clumba oder Columba hieß, nennt sich heute als Folge sprachlicher Vereinfachung Mallorca, und die Hauptstadt trug niemals diesen Namen, wie mehrere unserer Geografen zu behaupten beliebten, sondern hieß stets Palma.

      Diese Insel ist die größte und die fruchtbarste des Archipels, Zeugin eines Kontinents, dessen Becken das Mittelmeer überspült haben muss und der mit Sicherheit Spanien und Afrika verband, und daher trifft man hier das Klima und die Erzeugnisse beider an. Sie liegt 25 Meilen südöstlich von Barcelona und 45 vom nächsten Punkt der afrikanischen Küste. Ferner glaube ich, dass sie sich 95 oder 100 Meilen von Toulon entfernt befindet. Ihre Fläche beträgt 1234 Quadratmeilen, ihr Umfang 143 und die breiteste Stelle 54, die schmalste 28. Die Bevölkerung belief sich im Jahre 1787 auf 136.000 Personen; heute sind es ungefähr 160.000. Von ihnen leben 36.000 in Palma, im Gegensatz zu den 32.000, die es damals waren.

      Die Temperatur kann von Ort zu Ort sehr unterschiedlich sein. Der Sommer ist in der ganzen Ebene heiß, aber die Gebirgskette, die sich vom Nordosten bis zum Südwesten erstreckt, die durch ihre Ausrichtung auf die Ähnlichkeit zwischen spanischen und afrikanischen Landstrichen verweist und deren einander am nächsten liegende Punkte gleichzeitig die jeweils höchsten sind, beeinflusst das winterliche Klima stark. So berichtet Miguel de Vargas, dass in Palma während des schrecklichen Winters 1784 das Thermometer nur an einem einzigen Januartag auf sechs Grad unter dem Gefrierpunkt sank. An anderen Tagen stieg es auf sechzehn Grad und blieb meistens bei elf. Ungefähr diese Temperatur hatten wir einen gewöhnlichen Winter über in den Bergen von Valldemosa, das im Rufe steht, eine der kältesten Gegenden der Inseln zu sein. In den kältesten Nächten, als zwei Zoll Schnee lagen, war das Thermometer bloß bei sechs oder sieben Grad. Um acht Uhr morgens stieg es auf neun oder zehn, um mittags bei zwölf oder vierzehn Grad anzugelangen. Gewöhnlich fiel gegen drei Uhr, das heißt nach dem Sonnenuntergang hinter den Gipfeln der Berge, die uns umgaben, die Temperatur plötzlich auf neun und selbst acht Grad.

      Der Nordwind weht hier oft mit Heftigkeit, und der Winterregen fällt mit einer Stärke und Dauerhaftigkeit, von der wir uns in Frankreich keine Vorstellung machen. Im Allgemeinen ist das Klima im ganzen südlichen Teil, der Afrika gegenüber liegt, gesund und zuträglich. Hier ist man vor den wilden Windstürmen des Nordens der Gebirgskette geschützt sowie vor den Zerklüftungen der Nordküste. Der Gesamtplan der Insel entspricht also einer von Nordwesten nach Südosten geneigten Fläche, und die Schifffahrt, die im Norden aufgrund der Beschaffenheit der Küste quasi unmöglich ist, gestaltet sich im Süden leicht und sicher.

      Trotz