August Niemann

Der Weltkrieg, Deutsche Träume


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verraten,“ sagte der Russe. „General Iwanow ist im Anmarsch gegen die indische Grenze. Der Zar beschäftigt sich nicht mehr mit Theosophie, er will England den Krieg erklären.“

      Heideck hätte gern noch mehr erfahren, doch der Fürst hatte der berauschenden Mischung wohl schon über seine Kräfte zugesprochen. Er fing an, leichtfertige französische Chansons zu singen, um dann plötzlich auf schwermütige russische Volkslieder überzugehen. An ein halbwegs vernünftiges Gespräch war in seiner gegenwärtigen Verfassung nicht mehr zu denken.

      Heideck befand sich bereits in einiger Verlegenheit, was er mit seinem bezechten Gaste anfangen solle. Da wurde ihm eine neue Ueberraschung zu Teil. Die Tür zum Nebenzimmer öffnete sich und ein schöner, schlanker Bursche von höchstens achtzehn Jahren erschien auf der Schwelle.

      Er war in eine Art phantastischer Pagentracht gekleidet, die in einem anderen Lande als dem farbenreichen, malerischen Indien wie eine Maskerade gewirkt haben würde. Der blaue, goldgestickte Kittel war mit einer rotseidenen Schärpe umgürtet und die weiten roten Beinkleider verschwanden an den Knieen in hohen, glänzenden Lackstiefeln, deren elegante Form die auffallende Kleinheit der schmalen Füße erkennen ließ. Ueppiges, goldschimmerndes Blondhaar fiel wellig fast bis auf die Schultern des knabenhaften Jünglings herab. Das schöne, längliche Gesicht war von rosigstem Incarnat. Aus den großen, blauen Augen aber blitzte die Energie eines starken Temperaments.

      Sowie er des Eintretenden ansichtig geworden war, hatte der Fürst aufgehört zu singen.

      „Ah, Georgij —“ stammelte er.

      Ohne ein Wort zu sprechen, war der Page auf ihn zugetreten und hatte den plötzlich ganz Willenlosen vom Stuhle emporgezogen. Fürst Tschadschawadse schlang den Arm um seine Schultern und ließ sich hinausführen, ohne seinem deutschen Kameraden eine ‚Gute Nacht‘ zu wünschen.

      Heideck zweifelte nicht einen Augenblick daran, daß dieser schlanke Page ein verkleidetes Mädchen wäre. Der schöne Wuchs und der seltsame Ausdruck ungebändigter Naturkraft in den wunderbar regelmäßigen Zügen waren unverkennbar Eigentümlichkeiten des cirkassischen Typus. Dieser angebliche Georgij war sicherlich eine Tochter der kaukasischen Berge, das Kind eines Bauern oder vielleicht eines Räubers, wie auch Tschadschawadse seinem Namen nach einem jener alten kaukasischen Fürstengeschlechter angehörte, die einst als echte Raubritter in dem von Rußland so schwer und so langsam unterworfenen Gebirgslande gehaust hatten.

       Inhaltsverzeichnis

      Die Angabe des Hauptmanns Heideck, daß er für ein Hamburger Handelshaus reise, war nicht eigentlich eine Unwahrheit gewesen. In der Tat betrieb er die kaufmännischen Geschäfte, die ihm als Maske für den wirklichen Zweck seiner Reise dienten, mit größtem Ernst.

      Er hatte von dem Chef des Großen Generalstabes den Auftrag erhalten, die militärischen Verhältnisse in Indien und die strategische Bedeutung der Nordwestgrenze zu studieren, und hierzu war ihm ein unbegrenzter Urlaub bewilligt worden.

      Aber der General hatte ihm ausdrücklich erklärt:

      „Sie reisen als Privatmann, und wenn Sie in irgend einen Konflikt mit den Engländern geraten sollten, würden wir in keiner Weise die Verantwortung für Ihre Taten und Erlebnisse übernehmen können. Sie erhalten einen Paß auf Ihren richtigen Namen, aber natürlich ohne Erwähnung Ihrer militärischen Eigenschaft. Daß wir Sie bei einer etwaigen Nachfrage nicht verleugnen werden, ist selbstverständlich. In einem gewissen Sinne aber reisen Sie auf eigene Gefahr. Ihr eigener Takt muß Ihnen Führer sein.“

      Darauf hin hatte Heideck sich mit seinem Oheim in Verbindung gesetzt und von ihm die erforderlichen Briefe und Empfehlungen an indische Geschäftsfreunde erhalten. Er war von Bombay aus über Allahabad in die nördlichen Provinzen gereist und hatte die wichtigsten Garnisonen, Cawnpore, Lucknow, Delhi und Lahore besucht. Nach Erledigung seiner Geschäfte in Chanidigot gedachte er sich weiter nach Norden zu wenden und durch den Kaiberpaß nach Afghanistan zu gehen. Lediglich mit Rücksicht auf diesen Plan hatte er die nähere Bekanntschaft mit dem Russen gesucht. Er wurde sich klar darüber, daß dieser von seiner Regierung einen ähnlichen Auftrag erhalten hatte wie er selbst, und gewisse Andeutungen des Fürsten hatten ihn in der Vermutung bestärkt, daß er die nämliche Reiseroute zu wählen gedenke. So konnte es für den deutschen Offizier nur von Vorteil sein, wenn er sich dem russischen Kameraden anschloß, der ihm auf russischem Gebiet sicherlich wertvolle Empfehlungen zu verschaffen vermochte. —

      Die gehaltvolle Bowle des Fürsten machte sich noch in einigen unangenehmen Nachwirkungen bemerkbar, als Heideck in der Frühe des nächsten Morgens erwachte. Aber das kalte Bad, das ihm Morar Gopal bereitet hatte, und eine Tasse Tee stellten ihn bald wieder her.

      Es war ein indischer Frühlingsmorgen von strahlender Schönheit, in den er tiefaufatmend hinaustrat. Der Februar hatte hier im Tale des Indus unter dem 29° nördlicher Breite etwa die Temperatur des römischen Mai. In den Mittagsstunden pflegte die Quecksilbersäule des Fahrenheit-Thermometers auf hundert Grad zu steigen. Die Abende aber waren erquickend kühl und die Nächte mit ihren feuchten Nebeln zuweilen sogar empfindlich kalt.

      Heideck hatte an diesem Morgen mit besonderer Sorgfalt Toilette gemacht, denn er war zu einer Besprechung mit dem Minister des Maharadjah geladen, um über das beabsichtigte Indigogeschäft mit ihm zu verhandeln.

      Der Minister bewohnte ein Haus an der Weichbildgrenze der Stadt. Es war ein inmitten eines großen Gartens gelegenes einstöckiges Gebäude mit breiten, luftigen Veranden. Als Heideck eintraf, war die Treppe der Eingangshalle bereits von einer bunten Menge besetzt, die auf Audienz wartete. Ihm aber, als einem Vertreter der weißen Rasse, blieb diese lästige Unbequemlichkeit erspart. Der in weißen Musselin gekleidete und zum Zeichen seiner Würde mit einer breiten roten Schärpe umgürtete Pförtner führte ihn vielmehr gleich in das ganz europäisch ausgestattete Arbeitszimmer des Ministers.

      Auch in seiner äußeren Erscheinung verriet der Würdenträger nur durch seine Hautfarbe und seinen Gesichtsschnitt den Inder. Kleidung und Manieren waren ganz die eines abendländischen Diplomaten. Er reichte Heideck die Hand und teilte ihm mit, daß Seine Hoheit selbst mit ihm über den Indigo verhandeln wolle.

      „Der Preis, den Sie zahlen wollen, ist ungewöhnlich niedrig,“ fügte er in einem Tone leiser Mißbilligung hinzu.

      Heideck aber war auf diesen Einwand offenbar vorbereitet gewesen.

      „Exzellenz mögen darin recht haben, daß der gebotene Preis niedriger ist als in früheren Jahren. Aber er ist noch immer sehr hoch, wenn man die inzwischen eingetretenen Veränderungen des Marktes berücksichtigt. In Deutschland wird jetzt durch Anilin ein Ersatz geschaffen, der so billig ist, daß in absehbarer Zeit vermutlich überhaupt kein Indigo mehr gekauft werden wird. Wenn es mir gestattet ist, Seiner Hoheit einen Rat zu geben, so wäre es der, statt des Indigobaus künftig eine Industrie zu wählen.“

      „Und welche hätten Sie dabei im Auge?“

      „Am vorteilhaftesten würden mir oil-mills und cotton-mills erscheinen. Sie könnten der europäischen und japanischen Konkurrenz damit wirksam begegnen.“

      Ein indischer Diener erstattete eine Meldung, und der Minister lud Heideck ein, sogleich mit ihm zum Maharadjah zu fahren. Sie bestiegen einen mit zwei schnellen turkestanischen Pferden bespannten offenen Wagen. Der gelb gekleidete Kutscher, der merkwürdige Aehnlichkeit mit einem geputzten Affen hatte, schnalzte mit der Zunge, und im Galopp ging es durch weit ausgedehnte Parkanlagen zum Schlosse, dessen weiße Marmorwände bald aus dem Grün der Palmen und Tamarinden hervorleuchteten.

      Heideck mußte während der kurzen Fahrt an die zahllosen Kriegsstürme denken, die über diesen Boden dahingebraust waren, ehe die englische Herrschaft alle religiösen Kämpfe, alle blutigen Aufstände und alle Einfälle fremder Eroberer für immer unmöglich gemacht zu haben schien.