damit er in der ersten Aufregung nicht eine Torheit begeht.“
Er wandte sich schon zum Gehen, aber ein Zuruf Mc. Gregors hielt ihn zurück.
„Es würde keinen Zweck haben, Temple, wenn Sie ihm nicht zugleich etwas Beruhigendes sagen können. Und es gibt meines Erachtens da nur einen einzigen Ausweg. Man müßte ihm einreden, die Sache hätte nur ein Spaß sein sollen und die Karten wären vorher geordnet gewesen.“
Der Leutnant kehrte zum Tische zurück.
„Die Erfindung dieses Auskunftsmittels gereicht Ihnen zur Ehre, Herr Kapitän! Aber ich zweifle, daß jemand von uns den Mut haben würde, ihm mit solcher Lüge zu kommen.“
Das Schweigen der anderen schien diesen Zweifel zu bestätigen. Da ertönte die markige Stimme des deutschen Gastes:
„Wollen Sie mich mit dieser Mission betrauen, meine Herren? Ich kenne den Kapitän Irwin zwar nur flüchtig, und ich hätte keinen Anlaß, mich in seine Angelegenheiten zu mischen; aber ich höre, daß es das Vermögen seiner Gattin ist, das hier auf dem Spiel steht. Und da ich Mrs. Irwin für eine sehr verehrungswürdige Dame halte, würde ich gern das meinige dazu beitragen, sie vor einem so schweren Verlust zu bewahren.“
Mc. Gregor reichte ihm die Hand.
„Sie würden mich zu Dank verpflichten, Mr. Heideck, wenn es Ihnen gelänge. Aber ich rate Ihnen, keine Zeit zu verlieren.“
Rasch verließ Heideck das Zelt. Und als er in die köstliche, mondhelle Nacht hinaustrat, sah er in der Entfernung von zwanzig Schritten Kapitän Irwin neben seinem Pferde. Der Bursche hielt das Tier am Zügel, Kapitän Irwin aber machte sich am Sattel zu schaffen. Während Heideck näher kam, sah er den Soldaten sich entfernen und gewahrte, daß Irwin einen Revolver in der Hand hielt.
Mit raschem Griff hatte er das Handgelenk des Offiziers erfaßt.
„Einen Augenblick, Kapitän Irwin.“
Dieser schrak zusammen, drehte sich um und blickte wütend auf Heideck.
„Ich bitte um Entschuldigung,“ sagte der Deutsche. „Aber Sie befinden sich im Irrtum, Herr Kapitän. Das Spiel gilt nicht. Man hat sich einen Scherz mit Ihnen erlaubt. Die Karten sind vorher arrangiert worden.“
Irwin erwiderte nichts, aber er pfiff nach seinem Burschen und ging, noch immer ohne mit Heideck zu sprechen, in das Zelt zurück, den Revolver in der Hand. Heideck folgte ihm.
Beide Herren traten an den Spieltisch, und Irwin wandte sich an Mc. Gregor. „Also das Spiel ist arrangiert gewesen?“ fragte er.
„Zur Lehre für Sie, Irwin, der Sie immer wie toll und töricht darauf losgehen und sich einbilden, ein guter Spieler zu sein, während Sie gar nicht das kalte Blut dazu haben.“
„Nun,“ sagte Irwin, „das ist eine Geschichte, die ich als Beispiel kameradschaftlicher Gesinnung in allen Garnisonen Indiens herumbringen werde, damit ein jeder sich hütet, der einmal hierherkommt und verführt werden sollte, ein Spiel zu machen. Eine solche niederträchtige Geschichte habe ich noch nicht erlebt, aber es ist mir allerdings eine Lehre, daß man nur mit ehrlichen Leuten — —“
„Ah, Kapitän Irwin,“ sagte Mc. Gregor, sich hoch aufrichtend, indem er den Beleidiger mit einem vernichtenden Blick seiner großen blauen Augen fixierte, „an Ihre junge Frau sollten Sie lieber denken, die Sie in Armut gestürzt hätten, wenn dies Spiel kein Scherz war.“
Irwin taumelte zurück, der Revolver entfiel seiner Hand.
„Was?“ kreischte er, „was ist das? So ist es kein Scherz gewesen? So habe ich das Geld wirklich verloren? O, ihr — ihr — Aber für wen haltet ihr mich? Seid gewiß, ich werde bezahlen!“ „Aber,“ rief er, sich besinnend, „ich möchte doch wohl wissen, was nun Wahrheit ist. Euch alle frage ich und nenne euch Schurken und Lügner, wenn ihr nicht die Wahrheit sagt: hat man wirklich einen Spaß mit mir getrieben oder ist das Spiel ein ehrliches Spiel gewesen?“
„Kapitän Irwin,“ entgegnete der Major, ihm entgegentretend, „ich sage Ihnen als Aeltester im Namen der Kameraden, daß Ihr Benehmen unverzeihlich wäre, wenn nicht eine Art von Tollheit Sie beherrschte. Dies ist ein ehrliches Spiel gewesen, und nur die Großmut des Kapitän Mc. Gregor war es, die — — —“
Irwin hörte den Schluß seiner Rede nicht mehr, denn mit einem wilden Fluch hatte er abermals das Zelt verlassen.
III.
Hermann Heideck wohnte in einem Dak Bungalo, einem jener von der Regierung unterhaltenen Gasthäuser, die dem Reisenden zwar Unterkunft aber weder Betten noch Verpflegung bieten. Als er aus dem Camp dahin zurückkehrte, stand sein indischer Diener Morar Gopal in der Tür, um den Herrn zu empfangen und teilte ihm mit, daß ein neuer Gast mit zwei Dienern angekommen wäre. Da dieses Dak Bungalo geräumiger war als die meisten anderen, so hatten die Neuangekommenen Platz, und Heideck brauchte nicht, wie sonst üblich, als älterer Gast dem später eingetroffenen zu weichen.
„Was für ein Landsmann ist der Herr?“ fragte er.
„Ein Engländer, Sahib!“
Heideck trat in sein Zimmer und ließ sich am Tische nieder, auf dem neben den beiden mattleuchtenden Kerzen eine Whiskyflasche, einige Flaschen Sodawasser und das Zigarettenkistchen standen. Er war nachdenklich und übel gelaunt. Die aufregende Szene in der Offiziersmesse war ihm persönlich nahe gegangen. Nicht um des Kapitän Irwin willen, der ihm seit dem ersten Augenblick ihrer Bekanntschaft in hohem Maße unsympathisch gewesen war, sondern einzig wegen der schönen jungen Frau des leichtsinnigen Offiziers, an die er sich von ihren wiederholten gesellschaftlichen Begegnungen her gut genug erinnerte. Keine der anderen Offiziersdamen — und es waren sehr hübsche und liebenswürdige unter ihnen — hatte einen so tiefen und nachhaltigen Eindruck auf ihn gemacht, wie Mrs. Edith Irwin, deren persönlicher Liebreiz ihn in ebenso hohem Maße gefesselt hatte, wie ihre ungewöhnliche Klugheit ihn in Erstaunen setzte. Die Vorstellung, daß dieses anmutige Wesen mit unzerreißbaren Ketten an einen brutalen und ausschweifenden Menschen vom Schlage Irwins gefesselt war, und daß ihr Mann sie vielleicht eines Tages mit sich hinabriß in sein unausbleibliches Verderben, bereitete ihm eine schmerzhafte Empfindung. Er hätte so gern irgend etwas für die unglückliche junge Frau getan. Aber er mußte sich sagen, daß es dazu für ihn, den Fremden, der ihr nichts als eine oberflächliche Bekanntschaft war, keine Möglichkeit gab. Der Kapitän wäre vollkommen berechtigt gewesen, jede unberufene Einmischung als eine unerhörte Dreistigkeit zurückzuweisen. Und auf welche Art hätte er hier helfend eingreifen können?
Ein Lärm, der sich plötzlich im Nebenzimmer erhob, riß Heideck aus seinen unerfreulichen Grübeleien. Er hörte lautes Schelten und ein klatschendes Geräusch, wie wenn Peitschenhiebe auf einen nackten menschlichen Körper fallen. Eine Minute später wurde die Verbindungstür aufgerissen und ein nur mit Hüftschurz und Turban bekleideter Inder stürzte in das Zimmer, als ob er hier Schutz vor seinem Peiniger suchen wollte. Ein lang gewachsener, ganz in weißen Flanell gekleideter Europäer war ihm auf den Fersen und ließ unbarmherzig seine Reitgerte auf den bloßen Rücken des wehklagenden Mannes niedersausen. Die Anwesenheit Heidecks genierte ihn dabei offenbar nicht im mindesten.
Auf den ersten Blick hatte der junge Deutsche erkannt, daß sein Nachbar nicht, wie der Diener ihm gesagt hatte, ein Engländer sein konnte. Sein auffallend schmales, fein geschnittenes Gesicht, seine eigentümlich geschlitzten schwarzen Augen und sein weicher dunkler Bart hatten viel mehr von dem sarmatischen als von dem charakteristisch angelsächsischen Typus.
Der Mann gefiel ihm seinem Aeußeren nach nicht übel, sein Betragen aber konnte er unmöglich ruhig hinnehmen. Indem er zwischen ihn und den Mißhandelten trat, fragte er sehr energisch, was dieser Auftritt bedeuten solle.