August Niemann

Der Weltkrieg, Deutsche Träume


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„ein sehr guter Boy, aber er stiehlt wie ein Rabe und muß von Zeit zu Zeit seine Prügel haben. Ich weiß, daß er irgendwo an seinem Leibe die fünf Rupien versteckt haben muß, die mir heute wieder fehlen.“

      Damit packte er, als hielte er die gegebene Auskunft für vollkommen ausreichend, seine Handlungsweise zu erklären, den braunen Burschen von neuem und riß ihm mit raschem Griffe den Turban vom Kopfe. Aus dem weißen, rotgesäumten Tuche rollten klirrend ein paar Silberstücke über die Steinplatten hin. Zugleich aber war auch ein größerer Gegenstand vor Heidecks Füße niedergefallen. Er hob ihn auf und hielt ein goldenes Zigarettenetui in der Hand, auf dessen Deckel ein Wappen mit einer Fürstenkrone eingraviert war. Als er es dem Fremden überreichte, verbeugte sich dieser dankend und entschuldigte sich wie ein Mann von der besten Gesellschaft. Der Inder aber nahm die Gelegenheit wahr, sich mit einigen affenartigen Sprüngen aus dem Staube zu machen.

      Der Anblick des Wappens auf dem Zigarettenetui hatte in Heideck das Verlangen geweckt, diesen gewalttätigen Nachbar näher kennen zu lernen. Als hätte er die sonderbare Art seines Eintritts ganz vergessen, fragte er artig, ob er den ihm vom Zufall bescherten Hausgenossen zu einer Zigarre und einem Abendtrunk einladen dürfe.

      Mit liebenswürdigster Bereitwilligkeit nahm der andere die Aufforderung an.

      „Sie reisen auch in Geschäften, mein Herr?“ fragte Heideck. Und da er eine bejahende Antwort erhielt, fügte er hinzu:

      „Wir wären also Kollegen. Sind Sie mit Ihren hiesigen Erfolgen zufrieden?“

      „O, es könnte besser gehen. Man hat zuviel Konkurrenz!“

      „Baumwolle?“

      „Nein. Bronzewaren und Seide. Habe von Delhi auch wunderbare Goldarbeit mitgebracht.“

      „Dann stammt Ihr Zigarettenetui vermutlich auch aus Delhi?“

      Die geschlitzten Augen des anderen streiften ihn mit einem forschenden Blick.

      „Mein Zigarettenetui? Nein! — Arbeiten Sie vielleicht in Fellen, Herr Kollege? Haben Sie Kaschmirziegen?“

      „Ich habe alles. Mein Haus arbeitet in allem.“

      „Sie kommen nicht von Kalkutta?“

      „Nein, nicht von Kalkutta.“

      „Schlechtes Wetter da. All mein Leder ist verdorben.“

      „Ist es so feucht dort?“

      „Dampfbad, sage ich Ihnen, veritables Dampfbad.“

      Heideck war längst überzeugt, einen Russen vor sich zu haben. Aber um seiner Sache ganz sicher zu sein, machte er eine scherzhafte Bemerkung in russischer Sprache. Verwundert blickte sein neuer Bekannter auf.

      „Sie sprechen russisch, mein Herr?“

      „Ein wenig.“

      „Sie sind aber kein Russe?“

      „Nein, ich bin ein Deutscher, der sich während eines vorübergehenden Aufenthaltes in Rußland einige Sprachkenntnisse angeeignet hat. Wir Kaufleute kommen ja weit herum.“

      Der Herr, der seiner Angabe nach in Seide und Bronzewaren reiste, war sichtlich erfreut, hier, wo er es gewiß am wenigsten erwartet hatte, die anheimelnden Laute seiner Muttersprache zu vernehmen. Und Heideck bemühte sich mit einem fast befremdlichen Eifer, ihn bei guter Laune zu erhalten. Er rief seinen Diener und befahl ihm, heißes Wasser zu bereiten.

      „Es ist sehr kühl diese Nacht,“ wandte er sich an seinen Gast. „Ein Brandy mit heißem Wasser ist da nicht zu verachten.“

      „Ah,“ sagte der Russe, „warten Sie einen Augenblick. Es ist besser, das Wasser wegzulassen und es durch etwas Schmackhafteres zu ersetzen.“

      Er ging in sein Zimmer und kehrte alsbald mit einer Flasche Sherry und zwei Flaschen Champagner zurück.

      „Ich werde mit Ihrer Erlaubnis hier in diesem Kessel einmal eine Bowle nach russischem Geschmack mischen. Zucker muß auch hinein. Dieser für englische Zungen berechnete Champagner ist so trocken, daß er gesüßt werden muß, um für unsereinen genießbar zu werden.“

      Er goß die Flasche Kognak, die der Diener gebracht hatte, ebenso wie den Sherry zu dem Champagner und füllte die Gläser.

      Nach deutscher Sitte stießen die beiden Herren mit einander an. Noch einmal betrachtete Heideck dabei aufmerksam seinen neuen Bekannten. Der lauernde Ausdruck, mit dem er die Augen des anderen auf sich gerichtet fühlte, machte ihn einen Moment stutzig. Sollte der Russe etwa die gleiche Absicht haben, wie er selbst, und ihm mit dem Sekt nur die Zunge lösen wollen? Jedenfalls war er jetzt auf seiner Hut.

      „Darf ich Sie bitten, eine meiner Havannazigarren zu versuchen?“ fragte der Russe, indem er ihm sein Etui darreichte. „Die indischen Zigarren sind nicht schlecht und sehr billig. Die Beaconsfield ist meine Lieblingssorte. Hier und da muß man aber zur Abwechslung doch etwas anderes rauchen.“

      Heideck nahm dankend an und es begann jetzt ein ziemlich scharfes Zechen, zu welchem der Russe das Tempo angab. Aber er war der Wirkung des ebenso wohlschmeckenden wie starken Getränkes offenbar viel weniger gewachsen, als der Deutsche. Von Minute zu Minute gesprächiger werdend, fing er bald an, seinen neuen Freund Brüderchen zu nennen und allerlei mehr oder weniger verfängliche Geschichten zu erzählen. Auch auf seine heimischen Familienverhältnisse kam er, durch einige geschickte Fragen Heidecks veranlaßt, zu sprechen. Er lachte über eine alte Tante, die ihr Haar mit Rosen zu schmücken pflege, um kahle Stellen zu verdecken, und fügte hinzu, daß diese Tante wegen ihrer unvergleichlichen Klatschgeschichten am Zarenhofe ganz besonders beliebt sei. Daß solche Familienbeziehungen bei einem Geschäftsreisenden etwas verwunderlich wären, kam ihm augenscheinlich nicht in den Sinn.

      Im Verlauf der Unterhaltung erwähnte er auch, daß er vor nicht langer Zeit in China gewesen wäre.

      „Wir sind zu langsam, Brüderchen, viel zu langsam,“ versicherte er, „mit fünfzigtausend Mann konnten wir uns alles nehmen, was wir haben wollten, und die Japaner hätten wir unsererseits schon längst angreifen sollen.“

      „Sagen Sie doch,“ fragte Heideck anscheinend gleichgiltig, „wie stark ist denn eigentlich die Armee des General-Gouvernements Turkestan?“

      Der Russe blickte auf, aber es geschah nicht, weil er sich auf die verlangte Antwort besann. Denn nachdem er langsam ein Glas Sodawasser ausgetrunken hatte, sagte er:

      „Wenn du gut leben willst, Brüderchen, mußt du in die Mandschurei gehen. Lachse, sage ich dir — ah! Und kosten beinahe nichts. — Und hübsche Mädchen in Menge! Pelze aber kannst du kaufen — so gut wie umsonst. Was in Petersburg zehntausend Rubel kostet, hast du in China, da oben im Norden, für hundert.“

      „Da haben Sie wohl schöne Pelze mitgebracht?“

      „Pelze in Indien? Da würden sie im Handumdrehen von den Ameisen aufgefressen werden. Für meinen Gebrauch allerdings habe ich einen mitgebracht, der in Petersburg unter Brüdern fünftausend Rubel wert sein würde. Werde ihn später im Gebirge gut genug brauchen können. Er riecht eine Werst weit, so gut habe ich ihn eingepfeffert!“

      Wieder gab es eine kleine Pause. Dann, indem er sein Gegenüber scharf ansah, sagte Heideck plötzlich:

      „Sie sind Offizier!“

      Ganz fassungslos starrte ihm der Russe ins Gesicht.

      „Offenheit gegen Offenheit!“ erwiderte er nach längerem Besinnen. „Auch Sie sind Soldat, mein Herr?“

      „Einem Kameraden brauche ich es nicht zu verschweigen. Hermann Heideck, Hauptmann vom preußischen Generalstabe.“

      Der Russe erhob sich und machte eine sehr korrekte Verbeugung.

      „Fürst Fedor Andrejewitsch Tschadschawadse, Hauptmann im Garderegiment Preobraschensky.“

      Dann klangen aufs neue die Gläser