Magd, sondern Freundin geworden, und wenn die alte Furcht sie beschlich, so bediente sie sich als Trost des Umgangs und der Liebe junger Mädchen. Um nicht im Alter allein zu stehen, schloß sie, spekulativ in allem, Bündnisse mit der Jugend. Zugleich gab das Zerstreuung und Aufheiterung von außen. Der erfrischende Umgang wirkte heilsam den Gespenstern des Wahnsinnes entgegen. Die Mädchen herzten und küßten sie als ihre liebste mütterliche Freundin, verehrten ihr Geschenke, versprachen unter teueren Gelöbnissen, sie nie zu verlassen. Zwar klopfte dann zuweilen das Gewissen an; und manchmal, wenn sie mit den Kleinen am Kirchhof vorüberfuhr, dachte sie an ihre Kinder, die dort im Grabe ruhten.
Bald trieb es sie aus dem Hause, an dem so viele Verbrechen hafteten. Auch hatte sich ihre Beta inzwischen an den Küfer Schmidt verheiratet. Ihr fehlte deren zerstreuender Umgang, und sie wollte den Besuchen des X entgehen. Sie bezog eine elegante, freundliche Wohnung in der schöneren Oberstraße bei Herrn Eckerlien. Die Zerstreuungen, welche die Aussicht auf die lebhafte Passage bot, konnten ihre innere Unruhe indessen nicht beschwichtigen. Willkommen kam ihr deshalb eine Einladung zu einer in der Stadt verheirateten Freundin, die sich in größeren Verhältnissen bewegte als die Gottfried in Bremen, und wo die schöne, liebenswürdige Witwe mit besonderer Zuvorkommenheit aufgenommen wurde. Der vornehmen Rolle gemäß, die man sie spielen ließ, mußte ihre vermutete Wohlhabenheit sich durch Freigebigkeit äußern; plötzlich fand sie zu ihrem Schrecken die Kasse erschöpft.
Schnell weiß sie Rat: ihr Geld ist ihr gestohlen worden. In einem günstigen Augenblick ergreift sie den Schlüsselbund ihrer Freundin, dreht den Bart eines Schlüssels in ihrem Kommodenschlosse ab, wirft den Schlüssel weg, macht Lärm, Die Kommode wird geöffnet. Es ist richtig, ihr Geld fehlt. Alles lief glücklich ab. Wer konnte an ihrer Angabe zweifeln? Nur eine Magd, mit der die Herrschaft schon unzufrieden war, kam in Verdacht und entlief, ward später ergriffen und während einer langwierigen Untersuchung in Haft behalten. Die Richter kamen ins Haus zur Feststellung des Tatbestandes des Diebstahles. Sie sollte ihn beschwören. Aber etwas hatte die Gottfried nicht voraus bedacht, die gerichtliche Untersuchung. Zurücktreten konnte die feine, vornehme Dame nicht, ohne ihr ganzes schwer errungenes Ansehen bloßzugeben. Sie schwor und beging den ersten Meineid. Dieser unangenehme Vorfall wurde indessen bald durch die Zerstreuungen des vornehmen Lebens ganz in den Hintergrund gedrängt. Madame Gottfried, allenthalben geehrt und umschmeichelt, konnte nicht wieder fort. An Geld gebrach es ihr nun nicht mehr, und als sie endlich zurückkehrte, begleiteten sie die dringendsten Einladungen, wiederzukehren.
In Bremen dagegen erwarteten sie die alten Erinnerungen und neue Sorgen um die Zukunft. Herr X drängte, und sie schuldete ihm bereits mehrere tausend Taler. Ihre Immobilien, 1817 nur mit zweitausendfünfhundert Talern belastet, waren jetzt schon mit über fünftausend Talern verhaftet, sie schienen dem Liebhaber und Gläubiger zu keiner weiteren Sicherheit zu genügen.
Da, in ihren Nöten, meldete sich ein neuer Freiwerber, der Stiefsohn ihres Wirtes Eckerlien, den ihr dieser Ehrenmann selber aufs dringenste anempfahl. Zimmermann war ein Modewarenhändler, von rechtlichem Charakter, der einem einträglichen Geschäft vorstand, und jedenfalls mußte diese Verbindung bei ihren jetzt so zerrütteten Vermögensumständen als ein Glück betrachtet werden.
Auch war ihr der Heiratsantrag sehr willkommen. Aber heiraten konnte sie den Mann nicht; sie konnte überhaupt nicht mehr daran denken, eine eheliche Verbindung einzugehen. »Ihr ganzes Wesen war geistig und körperlich nur eine große Lüge, ein Schein ohne Wesen, unfähig, den durchschauenden Blick täglicher eng vertrauter Beobachtungen eines Ehegatten zu ertragen. Ihr Körper mit übertünchten Wangen, elfenbeinernem Gebiß, falschem Busen und einer durch zehnfache Kleidung erkünstelten Wohlbeleibtheit, unter der sich ein sündenabgezehrtes Gerippe barg, stand mit ihrer Seele im Wetteifer der Heuchelei zur Verbergung des Wahren, steter Aufmerksamkeit bedürftig. Aber noch schwerer, ja unmöglich war der Verbrecherin die bei täglichem ehelichen Zusammenleben erforderliche Spannung zur heuchlerischen Verbergung ihres wahren Inneren.«
Heiraten konnte, heiraten wollte sie Zimmermann nicht; aber sie hatte ja auch ihren Gottfried nicht eigentlich geheiratet, sondern nur die kurze Ehe mit ihm zur Erringung der möglichsten Vorteile benutzt. So wollte sie auch den neuen Bewerber benutzen; wie, das würde schon die Gelegenheit eingeben. Vorerst lehnte sie den Antrag so bescheiden ab, daß er wiederholt werden mußte. Sie teilte ihn X mit, der ihr wider Erwarten dazu riet; sogleich bat sie ihn um ein Darlehen von dreihundert Talern, da sie ihr Leinenzeug zur Hochzeit instand setzen wolle. Sie erhielt das Geld, und das war der erste Vorteil, den ihr der Antrag gebracht hatte. Zugleich aber versprach ihr X, seine Kapitalien nicht, wie er gedroht hatte, zu kündigen, damit der Kredit ihres Bräutigams nicht leide: der zweite Vorteil.
Das errungene Geld ward sofort angewendet, um sich in den Augen der alten und wackeren Eltern Zimmermanns einen Schein von Wohlhabenheit und Reichtum zu geben, der sie als eine gute Partie erscheinen ließ. Nun wurde das Versprechen, welches sie Gottfried gegeben haben wollte, nicht wieder zu heiraten, als letzte Schanze gegen den Stürmenden aufgestellt, wobei er einiges Blut lassen sollte. Sie hatte gerade zweihundert Taler Schulden zu bezahlen. Mit Freuden streckte Zimmermann, der die Angelegenheit als einen Prüfstein seiner Liebe ansah, das Geld der reichen Frau vor. Auch als des seligen Gottfrieds Prinzipal sie um die Rückzahlung der sechshundert Taler anging, war Zimmermann aus denselben Gründen gern bereit, das Geld vorzuschießen. Sie fiel ihm darauf um den Hals, und der Bund war geschlossen.
Dies war der dritte bare Vorteil. Sie benutzte das Verlöbnis aber auch, um sich mit ihrer Freundin Maria Heckendorf auszusöhnen, die ihr den Umgang mit X nicht hatte vergeben wollen. Was konnte die Heckendorf nun aber dagegen sagen, als ihre Freundin die Braut eines Mannes wurde, der, wie jene versicherte, nichts lieber als die »Stunden der Andacht« las und der fromme Eltern hatte, mit denen wieder zum heiligen Abendmahl zu gehen die Gottfried sich freute.
So schien, wenn nicht alles, so doch vieles, was sie gewünscht hatte, erreicht, als Freundeseinflüsterungen den Bräutigam dringend vor der einzugehenden Ehe warnten. Man machte auf ihre gefahrbringende Nähe, auf das Verhältnis mit X aufmerksam, und die Gottfried befürchtete mit Grund, daß er wanke. Mit schneller und wohlberechneter Entschlossenheit spielte sie jetzt die durch Mitteilung der Nachreden zu ungunsten ihres Rufes tief Verletzte, erklärte sich weinend für ein Opfer der dunklen, unerforschlichen Wege der Vorsehung und entschlossen, keinen Glücklicheren mehr an ihr unglückliches Los zu knüpfen. Sie wollte zurücktreten. Natürlich wollte der wackere Zimmermann nun nichts davon wissen. Es kam wieder zur Vereinigung; aber die Gottfried zog den richtigen Schluß, wer sich einmal überreden lasse, könne es auch ein zweites Mal. Zimmermann konnte von ihren großen Schulden an X hören, er konnte, erschreckt, zurücktreten und seine eigenen Darlehen zurückfordern. Dies mußte verhütet, ihre bisher errungenen Vorteile mußten gesichert werden; darum dachte sie daran, ihn mit Mäusebutter zu vergiften. Sie hatte nämlich einige Tage zuvor solches in den Zeitungen zum Verkauf ausgebotcn gelesen und sogleich die Neugier empfunden, ob dies wohl auch wie Arsenik auf Menschen wirke, und sich deshalb durch ihre Beta eine Kruke davon holen lassen.
Sich noch mit diesem Verlobten auf dessen Totenbette ehelich verbinden zu lassen, kam ihr nicht in den Sinn. Er hatte zu wenig wirkliches Vermögen, und die Täuschung bei der Verheiratung mit Gottfried war ihr noch zu erinnerlich; auch hätte eine Wiederholung der Geschichte bedenkliche Gerüchte erzeugen können. Sie wollte ihn nur einfach vergiften und bei der Gelegenheit sehen, was diese Vergiftungsprozedur etwa noch für sie abwürfe.
Zimmermann sollte indessen keines schnellen Todes sterben. Teils hätte das neuen Verdacht erregen können, teils hatte sie sich auf die Rolle präpariert, während einer langen schmerzlichen Krankheit ihn mit aufopfernder Liebe und Treue zu pflegen. Dabei konnten Vermächtnisse für sie abfallen, welche der durch Erfahrung Gewitzigten lieber waren als ganze Erbschaften. Er erhielt daher gegen Ende April 1823 nur eine mäßige Portion Mäusebutter auf Zwieback.
Um diese Zeit erhielt aber auch ihre Freundin Marie Heckendorf eine ziemliche Portion, weil diese sich zu vorlaut und eindringlich über das Verhältnis zu X geäußert hatte, vielleicht auch, um sie von Besuchen bei der Gottfried abzuhalten, während diese ihre ganze Geisteskraft an Zimmermanns Krankenbette aufbieten mußte. Endlich gab es auch erwünschte Gelegenheit, an deren Krankenlager zu beweisen, wie sie sich einer Freundin annehme, die gegen sie vor aller Welt gesprochen