Alexis Willibald

Morde am Fließband: Kriminalgeschichten


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Vorarbeiten. Um einen Bräutigam zu gewinnen, der ihr auf dem Totenbette alles oder doch den Teil seines Vermögens verschreibe, den sie wünschte, mußte sie zuvor seine Frau und so viele Mitglieder der Familie, als nötig waren, beiseite schaffen. Wie dies zu bewerkstelligen war, dazu fand sie in ihrer eigenen Geschichte genügende Anleitung.

      Wie die Gottfried sich in das Vertrauen der Rumpfschen Familie einzuschleichen verstanden hatte, wissen wir. Sie betrachtete sich als Mitglied der Familie; wie in ihrem Verhältnis mit Kassow spiegelte sie dem neuen braven Freunde vor, daß sie, die alle Teuren auf dieser Welt verloren habe, doch jemanden haben müsse, dem sie ihr Hab und Gut hinterlasse, und die Rumpfschen Kinder sollten ihre Erben werden. Schon aus dem Zusammenleben mit ihnen zog sie bedeutende Vorteile, indem sie bei ihrer Absicht, den Rumpfs ihr ganzes Vermögen zuzuwenden, eine strenge Scheidung des Mein und Dein für überflüssig hielt.

      Die Ehefrau des Rumpf starb am fünfzehnten Tage nach ihrer Entbindung, am 22. Dezember 1826, wie niemand zweifelte, infolge der Niederkunft, in der Tat aber vom Genuß einer Hafersuppe. Als diese zu langsam wirkte, frischte die Gottfried drei Tage vor dem Tode das Gift noch einmal auf. Es schien, als werde sie selbst an teilnehmendem Schmerz sterben. Wer hätte gegen sie Verdacht schöpfen sollen, obwohl bald darauf auch Magd und Amme, von ihr aus Mutwillen oder kleinen Nebengründen vergiftet, dieselben Qualen erlitten!

      Nach einigen Wochen spielte sie gegen den Witwer auf eine Wiederverheiratung an. Er wies, »von entschiedener Abneigung beseelt«, den Antrag, wenn auch scherzend, so doch bestimmt zurück, indem er erklärte, am wenigsten eine Witwe heiraten zu wollen. Nun mußte auch er erkranken und verdankte nur dem Umstande, daß er sich nicht wie die früheren Opfer durch ihr einschmeichelndes Wesen zu Versprechungen und Vermächtnissen hinreißen ließ, die längere Fristung seines Lebens, freilich auch die langsameren Oualen.

      Auch der Gottfried mochte dieser Vergiftungsprozeß zu lange dauern; wenigstens gewährte er ihrer rastlosen Seele nicht Beschäftigung genug. Sie vergiftete inzwischen ihre treue Beta Cornelius, die jetzt verehelichte Schmidt, während der Abwesenheit ihres Mannes. Das Motiv waren fünfzig Taler, welche Schmidt seiner Frau behufs der Kosten ihrer bevorstehenden Entbindung zurückgelassen hatte. Die Gottfried brauchte das Geld. Freilich, sie brauchte auch ihre Beta, welche ihr auch nach ihrer Verheiratung noch immer die treuesten Dienste leistete. War es aber doch vielleicht ein krampfhaftes Verlangen der Verlorenen, sich auch dieses letzten Trostes zu berauben, ein Kitzel der Verzweiflung, der nicht ohne Analogie dasteht? Ihre letzte Mäusebutter mußte die Wöchnerin verzehren, aber ihre gesunde Natur widerstand lange. Noch gebar sie einen Knaben; noch mußte die Todkranke auch ihre dreijährige Tochter vor sich hinsterben sehen, da auch das Kind von der vergifteten Kirschsuppe zu essen bekommen hatte. Ein neuer Vorrat Mäusebutter, den sich die Gottfried schnell zu verschaffen gewußt hatte, vollendete endlich die Zerstörung des kräftigen Körpers ihrer Beta. Kein Todesfall, außer dem ihres Sohnes Heinrich, scheint sie auf gleiche Weise, wenn nicht erschüttert, doch später in der Erinnerung bewegt zu haben, als dieser. »Ich bekenne,« schrieb sie, »zwei Menschen (Beta und ihren Mann) getrennt zu haben, die sehr glücklich waren, und die beide ihr Leben für mich würden hergegeben haben.«

      Dieser Raubmord, durch den sie nur etwa fünfundzwanzig Taler gewonnen haben will, genügte nicht, sie aus den Verlegenheiten zu reißen. Der alte Herr Kleine in Hannover drängte um die geliehenen achthundert Taler. Sie konnte nur mit Mühe einige hundert Taler aufnehmen, um ihn einstweilen zu befriedigen. Dafür machte sie den Plan, nach Hannover zu reisen und dort den Vater Kleine und »womöglich auch seine Kinder zu vergiften«, nicht um damit die Schuld zu tilgen, sondern um fürs erste von seinen Mahnungen befreit zu werden. Weiter gingen ihre Absichten selten; sie ging nicht habsüchtig auf Gewinn aus, sie wollte in der Regel nur aus einer augenblicklich drückenden Verlegenheit gerettet sein und freien Atem schöpfen. Die Zukunft kümmerte sie wenig.

      Voraus schickte sie Briefe über Briefe voller Zärtlichkeit an den lieben Vater Kleine, der ihr einziger Freund wäre, der ihr in den kleinsten Angelegenheiten seinen Rat schenken müßte; denn sie könne nicht tun, was er nicht billige. Dann trat sie mit einer vollen Kruke Mäusebutter ihre vierte und letzte Reise nach Hannover an.

      Der Alte und seine Tochter nahmen die Gottfried wie eine Tochter auf. Ihr ganzes Sinnen und Trachten war, ihr den Aufenthalt angenehm zu machen. Am 17. Juli präparierte sie ihm seinen Schinken zum Frühstück, und am 24. gab er unter namenlosen Schmerzen seinen Geist auf. Nach der Sezierung gab das ärztliche Gutachten als Ursache seines Todes die Gallenruhr an.

      Tags darauf, am 25., erkrankte die ganze Kleinsche Familie infolge Genusses einer Hafersuppe, an der der älteste Sohn, welcher gerade zum Tode seines Vaters aus Paris zurückgekehrt war, bereits einen metallischen Geschmack bemerkt hatte. Glücklicherweise mußten sich alle so stark erbrechen, daß die Nachwirkungen des Giftes nicht erheblich waren.

      Über den Todesfall schrieb die Gottfried nach Hause: »Wenn Sie es doch gesehen hätten, wie der Selige mich mit seinen Kindern vor sein Sterbebette kommen ließ, mich bat, bei seinen Kindern zu bleiben und Luise, die Tochter, nie zu vergessen! Wir haben uns in seiner Gegenwart ewige Freundschaft gelobt. Ich kann sagen, an ihm wohl einen zweiten Vater verloren zu haben. Wen habe ich jetzt? Es ist schrecklich, mein Los auf der Welt! Alles, was ich liebe, wird mir genommen!«

      Durch Kleines Tod gewann sie allerdings den gewünschten Aufschub. Niemand dachte daran, den Rest von fünfhundert Talern, den sie ihm noch geschuldet hatte, jetzt zurückzufordern. Außerdem log sie den Erben vor, dem Verstorbenen fünf Louisdor zur Aufbewahrung gegeben zu haben. Obwohl dies auffiel, da man die Geldstücke nicht fand, auch nichts darüber verzeichnet fand, während Kleine doch der allersorgsamste Mann in seinen Geldangelegenheiten war, erhielt sie dieselben, und es erregte nicht den geringsten Verdacht. Ferner stahl sie einem Fräulein Stockhausen einen Doppellouisdor und der Kleineschen Tochter Wäsche und andere Kleinigkeiten.

      Dabei war sie so sicher. Jede Furcht vor Entdeckung war verschwunden; ja sie gestand, sie hätte letztere nach so vielem Erfolge für unmöglich gehalten. Zwar besuchten sie wieder ihre Visionen; auch den alten Kleine sah sie an einem Nebeltage vor ihrem Kammerfenster im dichten Nebel stehen, und, versicherte sie im Gefängnis, »dies ist so gewiß wahr, als ob ich es eben sähe!« Aber sie beschwichtigte die bösen Geister durch gute Worte. Ihre Briefe nach Hause, besonders die an Rumpf, waren voll frommer Ermahnungen, als habe sie in der Fremde keinen anderen Gedanken als an ihre daheimgebliebenen Bekannten und deren Leiden. »Fassen Sie nur Mut,« schreibt sie wiederholt an Rumpf, »und ehren Sie die dunklen Wege des Schicksals, das doch immer unser Bestes will. Und tun wir nicht auch am besten, unser Schicksal in die Hand des besten Führers glaubend und vertrauend zu geben?«

      Aus Hannover, wo man sie unter Tränen und Liebesversicherungen entlassen hatte, brachte sie viele Geschenke an ihre Lieben und Hausgenossen zurück, bestahl aber sogleich alle dafür und trieb Unfugs die Fülle im eigenen Hause. Ja es waren so tolle Streiche darunter, die man eher einem neckischen Kobold als einer vernünftigen Person zuschreiben sollte, so daß von einigen Richtern auf eine Geistesverwirrung geschlossen werden konnte. Frischgebackenes Brot lag im Schmutz auf dem Hofe; eine neue, sorgfältig verschlossene Blechtrommel war mit Menschenkot angefüllt und dergleichen. Aber alles geschah nur, um sich dem Witwer Rumpf unentbehrlich zu machen.

      Aber Gift wirkte doch besser, Gift und schöne Redensarten, wechselweise gebraucht. Wenn der arme Mann sich im Erbrechen würgte, hielt Tante Gottfried ihm teilnehmend den heißen Kopf; sie wischte mit ihrem Tuche seinen Angstschweiß ab und vergoß Tränen, daß sie nicht an seiner Statt leiden könne. Und wenn er erschöpft auf seinem Lager ruhte, steckte sie ihm ein Brieflein und Stammbuchblätter zu mit Gedenksprüchen erbaulichen Inhaltes, wie etwa folgendem: »Schuldlos sein ist des Leidenden höchste Würde, und der Edle, welcher mit heißem Antlitz unter das Geschick sich beugt, ist ein Anblick, über den der Himmel sich freut.«

      Es half ihr alles nichts. Rumpf wollte sie weder heiraten, noch fühlte er sich gedrungen, ihr Vermächtnisse zu machen. Im Gegenteil vermehrte sich von Tag zu Tag sein geheimer Widerwille gegen die Witwe; ja sie fürchtete, er ahne mehr, als er solle. Ihr Widerwille stieg zum Ingrimm an; zugleich aber auch ihre Angst vor dem unsichtbaren Rächer, den sie jetzt in allen ungewöhnlichen Ereignissen seinen Arm nach ihr ausstrecken sah. Als Bremen am 6. März 1827 durch Deichbrüche und