Inhalt
Hartwig Ingerhofs seltsame Ehe
Magdalena zwischen den Brüdern Holtkamp
Träume kann man nicht vergessen
Ann und die Macht der Versuchung
Geschieden!
Beide schuldig geschieden!
Brigitte Markhoffs Kopf sank tief auf die Brust. Sie hatte jeden Sinn für ihre Umgebung verloren.
Ihre Hände umkrampften das harte Holz der Bank, auf der sie noch immer saß. Erst als ihr Anwalt zu ihr trat, besann sie sich.
»Was ist mit dem Kind, Herr Doktor?« fragte sie angsterfüllt. Es
schien, als wäre plötzlich wieder die alte Leidenschaft, mit der sie in dem Ehescheidungsprozeß um das Kind gekämpft hatte, in ihr erwacht. »Was ist mit meinem Kind?«
Behutsam legte der Anwalt seine Hand auf den Arm der jungen Frau und sagte gütig:
»Das Kind wurde Ihnen zugesprochen!«
»Großer Gott – ich danke dir«, sagte sie leise und lehnte sich aufatmend zurück. Der Schein eines Lächelns irrte um ihren Mund. Nun gehörte das Kind ihr, ihr ganz allein! Das kleine, empfindsame Seelchen blieb in ihrem Schutz.
»Ihrem Mann steht aber das Recht zu, das Kind von Zeit zu Zeit zu sehen«, unterbrach der Anwalt Brigittes Gedanken.
Mechanisch nickte sie. Was bedeuteten ihr diese Worte in dem berauschenden Glücksgefühl! – Ursula gehörte ihr! Nun gab es doch einen Lebensinhalt für sie: Ursula! All ihre Liebe und Sehnsucht umschloß dieser Name, war auch ihr Traum von Liebe, Glück und Treue jäh zerbrochen.
Weiter konnte sie nicht denken. Ein Krampf preßte ihr das Herz zusammen. Sie neigte den Kopf mit dem rostbraunen Haar, das wie eine Krone über der Stirn schimmerte. Ihre Schultern zuckten von Schluchzen. Stärker als je zuvor traf sie der Schmerz und die Verzweiflung über ihr junges und doch schon so verfehltes Leben. Heute hatte sie die letzten Ideale, mit denen sie in die Ehe gegangen war, begraben müssen. Man hatte ihr Herz mit Füßen getreten und bitteres Leid in ihre Seele gesenkt.
Fassungslos stand der Anwalt vor Brigitte. Er ahnte ja nicht, was in der wunden Seele der Frau vorging, sondern glaubte vielmehr, sie müsse froh sein, endlich von der Qual ihrer Ehe befreit zu sein. Leise besänftigend bat er:
»Frau Markhoff, fassen Sie sich!«
Brigitte aber weinte weiter, hemmungslos.
»Frau Markhoff!«
Allmählich wurde das Weinen leiser, das an den Schmerz eines hilflosen Kindes erinnerte. Endlich hob sie das tränennasse, schöne Gesicht zu dem Anwalt auf und trocknete hastig die Augen. Ihre Lippen bebten, als sie, wie zu sich selbst, sagte:
»Das also ist das Ende einer großen Liebe!«
Dr. Reger sah das tiefe Leid, geboren aus zerschlagenen Hoffnungen und bitteren Enttäuschungen, das dem bleichen, feinen Frauenantlitz seinen harten Stempel aufgedrückt hatte. Er sah den Zug, der um den blassen, schöngeschwungenen Mund gegraben war, und war voll des Mitgefühls für die Frau, die sich die ganze Zeit so überaus tapfer gehalten hatte.
»Wenn Sie sich noch ein paar Minuten gedulden, könnte ich Sie nach Hause begleiten«, schlug er ihr vor.
Heftig abwehrend schüttelte sie den Kopf.
»Danke, Herr Doktor, ich finde allein heim. Allein werde ich ja nun auch meinen Weg durchs Leben gehen müssen.«
»Sie haben Ihr Kind, Frau Markhoff!« mahnte Dr. Reger und nahm die eiskalte Hand der jungen Frau.
»Ja, ich habe mein Kind, meine Ursula.« Plötzlich drückte sie heftig die Hand des Anwalts. »Und Ihnen habe ich das zu danken, Ihnen ganz allein.«
Reger wehrte ab. »Weil Sie bewiesen haben, daß Sie stets der Hüter der kleinen Kinderseele waren.«
In einem sie jäh anfallenden Angstgefühl schloß Brigitte die Augen und flüsterte: »Aber das Urteil, Herr Doktor! Das Gericht hat mich als mitschuldig verurteilt.«
Der Anwalt hob leicht den Kopf.
»Das ist mir mehr als unverständlich. Aber die Zeugen, die Ihr Mann aufmarschieren ließ, haben ja geradezu von dem liebenswürdigen, höflichen und tüchtigen Fred Markhoff geschwärmt, und nicht einer hat etwas Nachteiliges über ihn ausgesagt. Gegen seelische Marter gibt es eben leider bei uns noch keine Paragraphen. Belastend war allerdings der erwiesene Leichtsinn und das fehlende Verantwortungsgefühl Ihres Mannes.«
Und seine immerwährende Untreue, seine Gefühlsrohheit und sein Hang zum Sadismus – setzte Brigitte in Gedanken hinzu. Laut sagte sie: »Ja, die Liebenswürdigkeit Fred Markhoffs, die bestechende Höflichkeit! Ihretwegen wurde ich gezwungen, eine Schuld zu büßen, an der ich keinen Anteil habe.« Mit harter Stimme sprach sie weiter: »Aus! Vorbei! Die Hauptsache ist, daß ich in Zukunft mit meinem Kind allein bin.«
Der Anwalt sah ernst hinter der schlanken Frauengestalt her. Ihm schien, als trüge sie eine unsichtbare Last auf ihren schmalen Schultern.
*
Mit müden Schritten stieg Brigitte die Stufen zu ihrer Wohnung hinauf. Sie war am Ende ihrer seelischen Kraft. Jeder Nerv in ihr bebte, und ihr Herz schlug rasend. Geschieden! Das Wort klang ihr wie ein höhnender Schrei in den Ohren. In der Wohnung empfing sie bedrückende Stille. Ihr Kind hatte sie schon vor Wochen zu den Eltern gegeben, damit Ursula nicht mit in den bösen Streit hineingezogen wurde.
Aber nun war sie frei, endgültig frei, und die Sehnsucht nach Ursula, dem lieben, herzigen Geschöpf, wurde übermächtig in ihr.
Brigitte ging ins Schlafzimmer, warf sich auf das Bett und schloß die Augen.
Aus dieser seelischen und körperlichen Erschöpfung schreckte sie ein Geräusch. Sie richtete sich jäh auf und lauschte. Ein Schlüssel drehte sich im Schloß, die Tür wurde geöffnet und Schritte, die ihr das Blut in den Adern stocken ließen, kamen den Korridor entlang. Jetzt machten sie vor der Tür ihres Schlafzimmers halt.
Fred! Fred war gekommen, seine Koffer zu holen!
Mit einem Ruck hatte sie sich erhoben. Aber die Kräften drohten sie zu verlassen, und es wurde ihr nicht leicht, die sie anfallende Schwäche zu überwinden.
Da wurde auch schon die Tür aufgerissen – Fred Markhoff stand im Zimmer.
Alles schien sich um Brigitte zu drehen. Nur langsam ließ die wahnsinnige Erregung nach.
»Was willst du bei mir? Du hast kein Recht, hierher zu kommen!«