Karin Bucha

Karin Bucha Staffel 3 – Liebesroman


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unter Tränen in seine hellen, gütigen Augen und schluchzte:

      »Wenn du wüßtest, was dein Verständnis für mich bedeutet! In mir ist noch alles so verworren.«

      Sie weinte, und Frau Kläre Freier nahm Ursula, die soeben mit fragenden Augen unter der Tür erschienen war, bei der Hand und ging mit ihr hinaus.

      »Das Urteil, Brigitte?«

      Brigitte löste sich vom Hals des Vaters und trocknete die Tränen. Schon wieder überkam sie völlige Mutlosigkeit.

      »Wir sind beide schuldig geschieden!« sagte sie und lief ruhelos im Zimmer hin und her. Hinter ihren Schläfen pochte und arbeitete es fieberhaft. Sie erschrak, als der Vater ihr plötzlich den Weg versperrte.

      »Wie konnte das geschehen?«

      Brigitte zuckte die Schultern.

      »Ich weiß es nicht, Vater; aber du kennst eben Fred Markhoff nicht. Er hat es jedenfalls fertiggebracht. Wahrscheinlich mit bestochenen Zeugen. Ich habe keine Ahnung. Mein Anwalt war genauso sprachlos.«

      »Er war bereits hier und wollte das Kind sehen.«

      Brigittes Hände fuhren empor und sanken dann schlaff herab.

      »Natürlich haben wir es ihm verweigert«, vollendete Philipp Freier.

      Brigitte fiel ein Stein vom Herzen. Aber war damit die Gefahr beseitigt?

      »Er darf das Kind sehen, laut Richterspruch«, erklärte sie mit verzweifelter Stimme.

      »In meinem Haus aber niemals!« In den Augen des alten Mannes loderte es zornig auf. »Ich jage ihn eigenhändig davon, diesen gewissenlosen Menschen, der dieses Elend über dich gebracht hat.«

      Brigitte versuchte zu lächeln. Es nahm sich seltsam aus in dem bleichen, verhärmten Frauenantlitz.

      »Vater, wenn ihr mich doch verstehen würdet! Ich bin froh und glücklich, endlich frei von ihm zu sein. Ich habe doch mein Kind, meine Ursula!«

      Plötzlich kam Kläre atemlos ins Zimmer gestürzt. »Philipp – Brigitte – um Gottes willen – ich kann nicht mehr vor Schreck…«

      Brigitte fuhr auf. »Ursula!« Sie glaubte zu wissen, was geschehen war. »Du wirst noch an mich denken«, hatte ihr Fred Markhoff vor wenigen Stunden gedroht.

      Um Gottes willen…

      Ehe die Eltern es verhindern konnten, rannte Brigitte in den Garten. Man hörte ihre verzweifelten Rufe: »Ursula! Ursula!« Dann erstarb die Stimme in Schluchzen.

      Die alten Leute sahen sich entsetzt an. Aber noch ehe sie ein Wort hervorbringen konnten, wurde die Tür aufgerissen.

      Anna Schneider, eine alte Bekannte, stand auf der Schwelle.

      »Guten Tag«, grüßte sie und betrachtete die beiden teils erstaunt, teils empört. »Was ist denn eigentlich in Brigitte gefahren? Sie rannte eben an mir vorbei, ohne mich zu beachten. Ich finde, das ist ein sehr eigentümliches Benehmen.«

      »Ich weiß auch nicht, was sie hat«, stammelte Kläre. »Es muß ein Mißverständnis sein. Entschuldigen Sie mich einen Augenblick, ich will nach ihr sehen.«

      Rasch verließ sie das Zimmer und eilte in den Garten. Dort sah sie Brigitte auf einer Bank sitzen, die kleine Ursula fest in ihren Armen haltend.

      »Was ist denn nur los, Brigitte?« fragte sie ungehalten. »Weshalb bist du denn wie von Sinnen davongestürzt?«

      »Ach, Mutter«, erwiderte Brigitte noch ganz atemlos. »Du kamst und warst so aufgeregt, und da dachte ich, es wäre etwas mit Ursula…«

      »Welch ein Unsinn! Ich wollte doch nur sagen, daß Frau Schneider kommt! Du weißt doch, wie sie ist. Sie will uns sicher nur wegen deiner Scheidung aushorchen. Sei so gut, Brigitte, und bleib mit der Kleinen vorläufig im Garten. Es wäre mir peinlich, wenn du jetzt mit ihr zusammenträfst. Sie war sowieso schon ungehalten, daß du ohne Gruß an ihr vorbeigelaufen bist. Ach«, fuhr sie nach einer Pause fort, »wie ist das alles schrecklich!«

      Brigitte erhob sich, ihr Gesicht war schneeweiß.

      »Ihr sollt meinethalben keine Unannehmlichkeiten haben.« Tapfer verbiß sie die aufsteigenden Tränen. »Ich gehe. Lebt wohl! Grüß Vater!«

      »Brigitte – bleib doch!« forderte die Mutter sie auf, aber ihren Worten fehlte die Herzlichkeit.

      Brigitte nahm das verängstigte Gesicht des Kindes in ihre Hände und sah ihm ganz tief in die klaren Augen.

      »Komm, mein Liebling, wir gehen heim.«

      Wenige Minuten später verließ sie mit ihrer Tochter das Elternhaus.

      Jeden Schritt, den sie tat, spürte sie wie einen harten Stoß im Herzen. Sie fühlte, daß es ein Abschied für immer war.

      Ein Lied fiel ihr ein, das sie in ihrer Jugendzeit gehört hatte. Nur wenige Worte wußte sie noch davon, aber trafen diese nicht auf ihr Leben zu? Flüsternd sagte sie den Text vor sich her:

      »Die Nixe da unten im Wasser hat uns eine Wiege bestellt.

      Für uns blinkt kein Sternlein am Himmel. Wir haben kein Glück auf der Welt!«

      Fest drückte sie die kleine Hand, die sich so vertrauensvoll in die ihre schmiegte und neigte sich zu ihrem Kind hinab.

      »Nun habe ich nur noch dich, Ursula!«

      Ursula aber schlang die Ärmchen fest um den Hals der Mutter und versicherte innig:

      »Ich hab’ dich auch sehr lieb, Mami, sooo lieb!«

      Es war, als verstünde Ursula, daß die Mutter gerade jetzt wissen mußte, wie sehr sie sie liebte. Und mit ernsthaftem Kopfnicken bestätigte sie nochmals:

      »Sooo lieb, Mami!«

      Mit geschlossenen Augen nahm Brigitte dieses innige Bekenntnis in sich auf. Weshalb war sie eigentlich verzagt? War sie nicht zu beneiden? Gehörte der ganze Liebesreichtum des kleinen Kinderherzens nicht ihr – ihr allein?

      »Mein Liebling!« flüsterte sie zärtlich, wieder etwas ruhiger. »Meine Ursula!«

      Die Hand des Kindes fest in der ihren haltend, setzten sie ihren Weg fort. Es war sehr still zwischen Mutter und Kind. Ursulas kleiner Mund war verstummt. Ernst, fast feierlich blickte die Mutter drein.

      Das Kind fühlte deutlich, daß sie heute anders als sonst war. Aber es spürte auch die tiefe Liebe der Mutter, die es wie ein schützender Mantel umgab und schon in dem Druck der Hand spürbar wurde. Und willig schmiegte sie die kleinen Finger hinein. Sie unterdrückte auch tapfer alle Fragen darüber, warum sie so schnell von den Großeltern fortgegangen waren; sie hatte sich nicht einmal von Opa und Oma verabschieden können.

      Strahlend stand die Sonne über dem Birkenwäldchen, dem Brigitte zustrebte. Klar und wolkenlos wölbte sich der Himmel über den Bäumen. Ein starker, betäubender Duft strömte aus den Gärten, an denen ihr Weg vorbeiführte. Auf einem Weg, der in ein neues Leben führen sollte, in eine bessere Zukunft, die ganz allein ihr und dem Kind gehörte.

      Allmählich wurde Brigitte zuversichtlicher gestimmt. Sie ging schneller und elastischer, doch immer darauf bedacht, mit den trippelnden Kinderfüßchen Schritt zu halten.

      Auch ihre Erregung verebbte mehr und mehr. Neuer Lebensmut, neuer Lebenswille durchströmte ihren Körper.

      *

      Breit und behäbig ließ sich Anna Schneider in den Sessel nieder, den Kläre Freier ihr mit zitternden Händen zugeschoben hatte.

      »Wo ist denn Brigitte?« fragte sie jetzt. »Was hatte sie nur?« Dabei ließ sie ihre hellen wässerigen Augen umherschweifen. Der Tonfall ihrer Stimme war schleppend und stand im Widerspruch zu den Nadelstichen, die sie versetzen konnte. »Gerade zu Brigitte wollte ich.«

      Philipp Freier hatte noch nie Sympathie für die Frau empfunden, nur den nötigen Respekt brachte er ihr entgegen. Jetzt aber stieg ein empfindlicher