traf, um mit Ursula einen schönen Ausflug in den Wald zu machen, wurde sie durch ein Schellen an die Wohnungstür gerufen.
Sie stand einem jungen Mädchen gegenüber, das freundlich grüßte und fragte:
»Sind Sie Frau Markhoff?«
Brigitte vermochte es nur durch ein Kopfnicken zu bestätigen. Etwas preßte ihr die Kehle zusammen; eine Ahnung, ein Schreck durchzuckte ihr Herz.
»Ich soll diesen Brief abgeben und auf Antwort warten.«
Zögernd nahm Brigitte den Brief, ließ das junge Mädchen eintreten und wies auf den Korbsessel am Fenster in der kleinen Diele.
»Bitte, nehmen Sie einstweilen Platz!«
Wie aufgezogen ging sie ins Wohnzimmer, setzte sich in die Ecke der Couch und öffnete den Umschlag. Ihre Hände zitterten dabei so heftig, daß ihr der Brief entfiel und zu Boden flatterte.
Sie wußte: Dieser Brief kam von Fred. Sie stöhnte leise, als sie sich niederbeugte und ihn aufhob.
Liebe Brigitte!
Da ich Sehnsucht nach Ursula habe, bitte ich Dich, mir das Kind für eine Stunde zu schicken.
Sie lehnte den Kopf an die Wand. Für eine Stunde! Ihre Augen irrten umher, blieben an dem duftigen Kinderkleidchen hängen, das über den Stuhl gebreitet war und das sie in der Nacht noch fertig genäht hatte, damit Ursula es heute tragen sollte.
Und nun verlangte Markhoff das Kind!
Doch gleich schalt sie sich töricht. Sie zwang Angst und Entsetzen nieder. Nur für eine Stunde! Sie durfte ihm Ursula nicht verweigern. Er war dazu berechtigt, sie zu sehen, zu sprechen. Trotzdem, die bittere Enttäuschung blieb.
Schwerfällig erhob sie sich, und schwerfällig ging sie in ihr Schlafzimmer, wo auch das Bett der Tochter stand.
»Ursula!«
Das Kind öffnete die Augen, blinzelte verschlafen und lächelte dann die Mutter an.
»Fahren wir jetzt schon, Mami?«
Traurig schüttelte Brigitte den Kopf, hob das Kind aus den Kissen und nahm es auf ihren Schoß.
»Hör mal gut zu, Ursula! Dein Vati ist von der Reise zurückgekommen und will dich sehen. Du bist doch schon groß, du wirst jetzt nicht weinen, sondern mit dem Mädchen, das dich zu ihm bringen wird, gehen.«
Ursula schaute verständnislos in Brigittes Gesicht.
»Vati will mich sehen?« Sie lächelte. »Aber Mami, dann braucht er doch nur herzukommen!«
»Das geht leider nicht, Ursula. Komm, ich mach’ dich recht schön«, redete sie auf das Kind ein, dabei war ihr das Herz so schwer.
Ursulas eben noch strahlendes Gesicht verfinsterte sich.
»Ich will nicht, Mami! Ich will doch mit dir in den Wald gehen! Wir wollen doch mit der Eisenbahn fahren – ich hab’ mich doch sooo gefreut!«
»Sei lieb, Ursula! Nur eine Stunde will Vati dich sehen. Mach es mir nicht so schwer, mein Liebling!« Sie strich dem Kind zärtlich eine dicke braune Locke aus der Stirn und küßte es innig. »In einer Stunde bist du wieder bei mir. Ich warte hier am Fenster, bis du kommst. Wir machen trotzdem unseren Ausflug.«
Ursula lehnte das Köpfchen an Brigittes Schulter.
Wortlos kleidete Brigitte die Kleine an, wusch und kämmte sie sorgfältig und streifte ihr das neue Kleid-chen über. Dann schob sie Ursula vor den Spiegel.
»Schau, Ursula, wie hübsch du bist!« sagte sie und zwang ein Lächeln auf ihre Lippen.
Mit großen Augen bestaunte Ursula ihr Spiegelbild. Sie stellte sich auf die Zehen, damit sie alles überblicken konnte, und strahlte die Mutter an.
Mit den Tränen kämpfend, schob Brigitte das Kind zur Tür.
»Nun komm, Liebling, draußen wartet man auf dich.«
Das Mädchen sprang auf, als es das liebliche Kind erblickte, Ursula reichte ihr nicht sofort die Hand, schaute erst eindringlich zu der Fremden auf.
»Nun, Ursula, willst du nicht gu-ten Tag sagen?« mußte Brigitte mahnen.
Zögernd gab Ursula daraufhin dem Mädchen die Hand und sagte höflich, aber ohne Freude:
»Guten Tag! Werden Sie mich auch wieder hierherbringen?«
Das Mädchen nickte.
»Ich heiße Gerda, und du bist Ursula, nicht wahr?«
Sie nahm Ursula an die Hand und stieg mit ihr die Stufen hinab. Dabei hatte das Kind aber den Kopf der Mutter zugewandt.
Brigitte las die ganze Traurigkeit aus den großen grauen Augen. Es schnürte ihr fast die Kehle zu. Sie wollte noch ein Scherzwort nachrufen, brachte aber nur ein Winken zustande.
Dann eilte sie ans Fenster und sah der Kleinen nach, wie sie zögernd mit der Fremden ging. Keinen Blick ließ Brigitte von ihrer Tochter, bis sie hinter den Bäumen der Straße verschwunden war.
Auch dann rührte sie sich noch nicht. Tränen rannen über ihre Wangen.
»Nur für eine Stunde! Nur für eine Stunde«, murmelte sie, um sich zu beruhigen.
Die Wohnung erschien ihr auf einmal kalt und leer. Ursula fehlte ihr mit ihrem herzlichen Kinderlachen.
Sie stützte sich auf die Fensterbank und starrte aus glanzlosen, tränenschweren Augen in den Himmel, der sich in leuchtender Bläue über der Stadt spannte.
In einer Stunde war Ursula wieder da!
Mit diesem Trost machte sie sich ans Aufräumen der Wohnung, um sich abzulenken und die Gedanken von Ursula loszureißen, aber sie liefen hinter dem Kind her.
Was für Eindrücke würde die Kleine heimbringen?
Gerda konnte sich nicht sattsehen an dem hübschen, stillen Kind, das gehorsam neben ihr her trippelte.
Auch die junge Frau war sehr schön gewesen, genau wie das Kind. Sie hatte das gleiche leuchtende Haar und dieselben großen grauen Augen.
Eigentlich war die geschiedene Frau ihres Arbeitgebers viel schöner und vornehmer als jene Frau, die jetzt bei Herrn Markhoff aus und ein ging, überlegte Gerda.
Wie gut sie dem Kind zugeredet hatte. Sie sah zärtlich auf Ursula hinab, deren Gedanken bei der Mutter waren.
Ob Mami sich inzwischen schön machte? Sie würde Vati bitten, sie mit dem Auto zu Mami zu fahren, damit sie ja nicht zuviel Zeit verlieren würden.
Ach, wenn es doch erst soweit wäre! Sie seufzte tief auf, so daß sich Gerda lachend zu ihr hinabbeugte.
»Das war aber ein schwerer Seufzer, Ursula.«
»Ich wäre so gern bei Mami geblieben. Ob Vati dann wohl sehr böse gewesen wäre?«
Gerda dachte an die gelegentlichen Wutausbrüche ihres Brotherrn und nickte überzeugt.
»Ganz gewiß!«
»Dann wollen wir recht schnell machen«, erklärte Ursula und lief noch rascher.
Mit der Straßenbahn fuhren sie zu Fred Markhoffs elegantem Haus.
Ursula staunte über den breiten, dicken Läufer auf der Treppe, über das blitzende Nickelzeug, über die Spiegel, die das Treppenhaus schmückten. Ihre Augen hatten so viel Neues zu schauen, daß ihre Gedanken vorübergehend von der Mutter abgelenkt wurden.
Dann trat sie in das Zimmers ihres Vaters.
Fred Markhoff saß, in eine seidene Hausjoppe gehüllt, in einem tiefen Sessel am Fenster und erhob sich rasch bei Ursulas Eintritt.
Er hatte die letzte Stunde in ziemlicher Erregung verbracht, aber nicht, weil die Sehnsucht nach Ursula ihn allzusehr geplagt hätte. Es war die Neugierde, ob Brigitte ihm wirklich das Kind schicken würde.
Als