gehorchte, die Beine krümmend, mit haßerfüllt zuckenden Augen.
Doch gerade, als Jabert ihm etwas ganz Unglaubliches befehlen wollte, flog mit einem Krach die Tür auf: die beiden Colts, stämmig und untersetzt, traten ins Zimmer, Revolver in den Händen. Als sie Debast auf dem Boden erblickten, schossen beide. Cuttler fiel lautlos über die Tote auf das Bett. Da krachten hintereinander zwei Schüsse. Die beiden Colts taumelten, heulten auf und ringelten sich wimmernd aneinander nieder. Sobald sie sich nicht mehr bewegten, streichelte Jabert seinen Browning. Noch nie hat er so gut geschossen wie diese Nacht. Und zweimal war er verfehlt worden. Doch sofort befiel ihn der Aberglaube seiner Zunft, der fordert, daß, wer dem Tod entging, den des andern respektieren müsse. Deshalb berührte er weder Debast noch den, der auf ihn geschossen hatte. Bei Cuttler fand er acht Schilling, bei dem anderen Colt drei Pfund. Als er wenige Minuten später die Treppe hinunter eilte, war die Portierloge leer, die Haustür offen und nirgends jemand zu sehen …
Der fünffache Mord in Shearns Hotel ging monatelang unter dem Titel ›The mistery of Tottenham Court Road‹ durch die englischen Zeitungen. Die Polizei stand zwar nur teilweise vor einem Rätsel, da Debast und die beiden Colts ihr als Schwerverbrecher und Homosexuelle bekannt waren, aber den wahren Hergang vermochte sie nicht zu rekonstruieren. Um so weniger als Shearns Anhang und seine Angestellten jene Nacht in der nur wenige Häuser entfernten Horse Shoe Bar zugebracht hatten, um irgendeinen Geburtstag zu feiern. Die Annahme, daß dies im Einverständnis mit Debast geschehen war, drängte sich fast von selber auf, war aber nicht zu begründen. ›The mistery of Tottenham Court Road‹ blieb unaufgeklärt. Auch als Jabert vier Monate später verhaftet wurde.
Jene Nacht war ihm doch zum Unglück geworden. Die Macht und der Rausch, den er genossen hatte, hatten ihn unvorsichtig gemacht, ja verwegen. Bei einem simplen Wohnungsdiebstahl wurde er überrascht. Da man ihm noch drei schwere Einbrüche nachweisen konnte, erhielt er sechs Jahre Coop.
Las Tortilleras
Ljungdahl umwickelte seine blutende Hand mit dem Spitzentaschentuch, das Ramona ihm auf den Tisch geworfen hatte, bevor sie Cristina gefolgt war. Als er die Zipfel verknüpfte, kam Ramona wieder an den Tisch. Sie schlug, etwa fünfzehnmal und überaus schnell, die Zähne auf einander: »Sie sind nicht mein Typ. Außerdem habe ich mich schon mehr verteilt, als mir zuträglich ist. Aber Cristina gefallen Sie doch so sehr. Kann man es deutlicher beweisen?« Sie schnellte den kleinen Finger vorsichtig auf seine verbundene Hand. »Übrigens ist sie schöner als ich.«
Ljungdahl hob ablehnend die Hand, die sofort schmerzte. »Ihr Hut, Ramona, paßt nicht zu Ihrer Stimme.«
Ramona setzte kurz ihre perlweißen Zähne auf die Unterlippe. »Es freut mich, daß Sie sich bekehren.«
»Fast alle Frauen bekommen ohne Hut einen blöden Ausdruck. Sie würden gewinnen.« Ljungdahl umkrallte mit der unverletzten Linken ihren Schenkel oberhalb des Knies.
Ramona zischte: »Wiederholen Sie diesen Griff nicht!«
Ljungdahl rieb seine brennenden Finger, die ein heftiger Fächerschlag getroffen hatte. »Ich glaube Ihnen die kalte Schulter nicht. Sie verbergen mir etwas.«
Ramona spie sich achselzuckend auf den Unterarm, schmierte eine trockene gelbe Creme darauf, rieb sie mit dem Zeigefinger zu Brei und mit einer geschickten Wendung auf Kinn, Nasenspitze und Stirn, wodurch sie Lichter erzielte, welche ihr ganzes Gesicht gleichsam nach innen zu verkürzten und jenen scharfen Ausdruck, in den Ljungdahl wie vernarrt war, noch verstärkten.
»Ist Cristina überhaupt Spanierin?«
»Sobald Sie wollen, führe ich Sie zu ihr.« Ramona überpuderte ihre Arbeit mit staunenerregender Geschwindigkeit.
Ljungdahl stupste ihr den Mittelfinger auf den Oberarm. »Cristina ist ja vielleicht schöner. Aber im Ernstfall zählt das Detail mehr. Ich liebe ihr grausames Gesicht.«
»Gerede!« Ramona parfümierte sich den berührten Oberarm.
»Jede Gier ist unbegreiflich.« Ljungdahl mußte miteins lachen, da er Ramonas Geste verstand. Dabei lockerte sich das Taschentuch, so daß das Blut wieder zu fließen begann.
Ramona schob ihm das Taschentuch von der Hand, zerriß es zwischen den Zähnen und verband die Wunde. »Cristina hatte schon wilde Jahre gehabt, bevor sie nach Cordoba kam. Sie heißt allerdings Ferretti. Ihre Mutter war Italienerin. Aber ihr Vater Spanier. Torero.« Sie neigte den Mund über seine Hand, um die Zipfel des Taschentuches, deren einen sie zwischen die Zähne klemmte, fest zuziehen zu können. »Sie ist ein uneheliches Kind. Noch heute trägt sie um den Hals ein kleines Medaillon mit der Miniature ihres Vaters. Damit hat es eine eigene Bewandtnis. Wollen Sie nicht danach fragen?« Sie stieß, da er nicht antwortete, seine eben noch mit größter Behutsamkeit behandelte Hand brutal von sich, pfiff aber sofort, als bereue sie es. »Es war ein Wunder, daß niemand sah, wie sie Sie gestochen hat. Und es kam doch sofort Blut. Das ist ihr erster Gunstbeweis. Und ich kann Ihnen versichern, daß Sie ihr imponiert haben, als Sie das Glas auf den Tisch schlugen und dem Kellner ruhig sagten, Sie hätten sich geschnitten.«
Ljungdahls Zunge leckte flau: es war Ramona nun doch gelungen, seine Begehrlichkeit abzulenken und seiner Eitelkeit zu schmeicheln.
Ramona speichelte, als hatte sie es ihm vom Gesicht gelesen, sich den Zeigefinger ein und strich mit ihm über seine Lippen. »Wie kann man ein Weib wie Cristina auslassen? Andere müssen schwer zahlen.«
Ljungdahl schnappte nach ihrem Finger.
Aber Ramona, mit dem Blick bei der Sache, war schneller. »Sie wollen also? Sie wollen, nicht wahr? Sie wollen!«
›Als würde sie dafür bezahlt‹ dachte Ljungdahl, aber er hütete sich, es auszusprechen; und er hörte sogar auf, es anzunehmen, als er die herrische Geste sah, mit der sie ihren Busen arrangierte. »Der Stolz ist hier fast ein Laster.«
Ramona nahm es als Zustimmung. Ihr pralles Posterieur zog sich ein. Plötzlich stand sie steil und mit hochgezogenen Schultern. Ihre Unterlippe rollte ein bißchen.
Sie verließen die Terrasse des Circulo Mercantil und gingen den Paseo Gran Capitan hinunter. Vor ihnen flammten die Bogenlampen auf, eine nach der andern. An der Ecke der Calle de Burgos begann Ramona vorauszugehen und eigentümlich die Arme zu bewegen. Flüchtig war es Ljungdahl, als gebe sie damit irgendein Zeichen. Da der schweigsam zurückgelegte Weg ihn zudem ernüchtert hatte, entschloß er sich, so rasch wie möglich sich zurückzuziehen. Es sofort zu tun, wagte er nicht, die spanische Empfindlichkeit kennend.
Ramona trat nach wenigen Schritten in ein Haus und durch eine niedrige eiserne Gittertür in einen atriumähnlichen, mit einigen halb zerbrochenen Petunientöpfen kärglich geschmückten Vorraum, in dessen einer Ecke hinter gelblichem Milchglas ein Talglicht brannte. Es roch nach Weihrauch und Urin.
Zum ersten Mal lächelnd, ergriff Ramona Ljungdahls Hand und zog ihn schnell durch eine Seitentür in einen schmalen Gang, wo sie viermal an eine Tür pochte, durch deren Ritzen Licht drang. Ein Riegel wurde zurückgestoßen. Im Rahmen der Tür erschien Cristina in einem zu langen und fast grotesk geschnittenen Hemd, Über das ihr aufgelöstes langes schwarzes Haar hinabwallte. Sie preßte sogleich ihren Körper an den Ljungdahls und machte eine rasche Drehung, so daß dieser ins Zimmer zu stehen kam.
Ramona schloß von draußen die Tür.
Ljungdahl hatte ihr Gesicht noch gesehen: sie hatte immer noch gelächelt. ›Sie hat vielleicht gar nicht aufgehört, zu lächeln‹, ging es ihm kurz durch den Kopf.
Cristina warf ein bereits sehr schadhaftes Seidentuch sich übers Hemd, schlüpfte in einen kurzen Unterrock von rotem Flanell, den sie über das Tuch band, und stieß die nackten Füße in dunkelgrüne Pantöffelchen. »Schau mich an!«
Ljungdahl tat es ohnedies. Aber er sah nicht viel, da sie vor dem Licht stand; nur, daß sie den rechten Fuß hob, mit dem sie seine verbundene Hand beinahe berührte.