Walter Serner

Die tückische Straße (19 Krimis)


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im Pitcher nicht. Da es jedoch diesmal um etwas anderes sich handelte, vermutete er einen Trick. Dessen Hinterlist vermochte er nicht zu begreifen. Seine Ohren wurden heiß und sein Wunsch, zu klingeln, ein unbezähmbarer Trieb. Und mit einem Mal stürzte er vor und stieß den Zeigefinger so schnell auf den Klingelknopf, daß die Gelenke knackend sich bogen. Während er sie nervös massierte, schnellte plötzlich die Tür auf.

      Whitehill fuhr zurück: in der Tür stand ein Herr im Smoking und schwarzem Cape, in der Hand einen Zylinder, weiße Glacéhandschuhe und eine langstielige rosa Rose.

      Am liebsten hätte Whitehill sich gesetzt. Seine Erregung hatte sich in die Beine entladen, die schwach wurden. Er glaubte, daß er wanke, und schämte sich.

      Der Herr setzte sich auf das Strapontin und wies ihn mit der Hand an, ihm gegenüber auf das Bett sich zu setzen.

      Whitehill starrte schluckend, während er sich niederließ, auf den kurzen spitzigen Schnurrbart, der zu zucken begann:

      »Wir hatten Sie schon lange im Verdacht, Whitehill. Einer meiner Leute folgte Ihnen auch gestern wieder und hat alles beobachtet. Allerdings nicht gehört, was Sie gesprochen haben. Ihren Genossen gelang es leider, zu entkommen. Deshalb wurde rasch dafür gesorgt, daß niemand auch nur an Ihre Befreiung denken kann. Sie befinden sich im Rog-house und haben den Chef des Geheim-Departments für die Sicherheit des Staates vor sich. Herren Ihres Schlages machen wir nicht einmal kurzen Prozeß, sondern gar keinen. Nur durch ein offenes Geständnis aller Machinationen Ihrer Bande können Sie Ihr Los mildern. Wenn alle Ihre Angaben sich als richtig erweisen, werden Sie nach Indien deportiert. Vielleicht später eine administrative Stelle. England werden Sie freilich nie wiedersehen.«

      Whitehill wunderte sich, daß er jedes Wort verstanden hatte. Denn es war ihm gewesen, als sähe er nur seine Hände, die bleischwer auf den Knien lagen. Als es ihm endlich gelang, aufzublicken, sagte er, ohne daß er später sich hätte erinnern können, es sich überlegt zu haben: »Ich kann kein Geständnis machen. Ich sollte ja gerade aufgenommen werden. Ich weiß also noch gar nichts. Nur, daß ich verloren bin.« Der Herr erhob sich. Dabei fiel ihm die Rose aus der Hand. »Geben Sie mir Ihre Waffe!«

      Whitehill durchfuhr es: ›Ich werde ihn niederknallen und dann – auf und davon!‹ Aber als seine Rechte nach der hinteren Hosentasche stieß, sah er in der Hand des Herrn einen kleinen, auf ihn gerichteten Browning.

      Nachdem Whitehill seine Waffe ausgeliefert hatte, verließ der Herr, die seine unverwandt schußbereit vor sich hinhaltend, langsam rückwärts gehend die Zelle und warf die Tür ins Schloß.

       Whitehill sprang sofort hinzu, drückte, rüttelte, fühlte sie ab. Erfolglos. Es blieb ihm ein Rätsel, wie sie von innen geöffnet worden war. Erst als er wieder auf dem Bett saß, mit den Fingern seinen Hals malträtierend, wußte er, daß er nur aus unvorstellbar gräßlicher Verzweiflung so lange mit der Tür sich beschäftigt hatte. Sein Kopf sank nach hinten. Der Körper fiel schräg nach.

      Es war finster, als er die Augen öffnete. Er hatte geschlafen. Ein seltsamer Geruch, der vordem nicht dagewesen war, zog ihm in die Nase. Whitehill roch ihn gierig. Es war wie eine unbekannte feine Speise, wie ein junger südländischer Wein … Whitehill lächelte: er hatte Hunger und was so seltsam roch, war die rosa Rose. Er tastete nach ihr, fand sie rasch und roch. Immer wieder. So lange und tief, daß es ihn fast umnebelte. Er wollte nichts denken. Es war ja aus. Vielleicht schon morgen, vielleicht schon … Er sah ein Bild, das ihm einmal in den ›London News‹ aufgefallen war: den im Hof von Rog-house gehängten Slings. Er sprang auf. Schweiß perlte ihm auf der Stirn. Seine Beine trugen ihn nicht. Es schauerte ihn bis unter die Bauchdecke. Da riß er den Kopf herum: »Der Klingelknopf!« gurgelte er heiser hervor. »Ich muß klingeln. Denn ich halte es nicht aus. Ich muß lügen. Denn ich will nicht …«

      Er taumelte zur Tür und preßte seine Faust dreimal gegen die Wand, bevor er den Klingelknopf fand. Dann glitt er zu Boden.

      Bald darauf wurde es in der Zelle hell. Whitehill hob langsam den Kopf: der Herr im Smoking, diesmal ohne Cape und ohne Zylinder, war eingetreten.

      »Sie haben geklingelt, weil Sie sprechen wollen. Ich höre.«

      Whitehill richtete sich auf. Als er stand, wurde ihm ganz klar, daß er, was immer er auch sagen oder tun mochte, verloren war: niemand, der einmal bei Broc gewesen war, hatte noch Pardon erhalten; und keiner noch war aus Rog-house ausgebrochen. Der brennende Wunsch, es nicht zu glauben, erfüllte ihn. Aber es gelang ihm nicht. Diese furchtbare Erkenntnis gab ihm sonderbarer Weise seine Kraft zurück. »Ich werde nicht sprechen. Machen Sie mit mir, was Ihnen beliebt.«

      Der Herr schlug sich auf den Schenkel. »Und wenn wir Sie nicht nach Indien schicken, sondern mit fünftausend Pfund auf die Straße?«

      Whitehill zuckte die Achseln: ein unerwartet plumper Trick. »Ich spreche nicht.«

      »Sie sind Mitglied der Anarchistenbande Broc und Zegarac. Der Society.«

      »Nein.«

       »Ich weiß, was Sie in der Conventry Street gesprochen haben.«

      »Der hat Sie angelogen wie alle Ghouls.«

      »In meiner Abteilung geht es schärfer zu. Wer lügt, der fällt.«

      Whitehill zeigte eine gewisse sauere Heiterkeit. »Und doch werden alle in Ihrer Stellung immer wieder angelogen. Aber das alles hat ja keinen Zweck.« Er ließ sich pfeifend auf das Bett niederfallen. Als er aufblickte, war der Herr nicht mehr in der Zelle.

      Whitehill wollte eben aufstehen, als eine elegante Dame hereinrauschte, sofort seinen Arm nahm und sich neben ihm aufs Bett setzte.

      Bereits an Überraschungen gewöhnt, reagierte Whitehill auf diesen Überfall mit Widerwillen. Das knisternde Taftkleid aber, der feine Duft von L’heure bleue und der immer wärmer spürbare Schenkel taten bald ihre Wirkung. Whitehill entzog sich nur mühsam den zarten Fingern, die seinen Arm umschmeichelten, und schlug sich nervös aufs Knie.

      Erst jetzt sprach die Dame. »Wie gefalle ich Ihnen?«

      Whitehill öffnete schmatzend den Mund: er genierte sich plötzlich wegen seines unrasierten Bartes.

      »So gut, daß Sie sichs etwas kosten ließen?«

      Whitehill verkniff verächtlich die Lippen. »Ich besitze fünf Schilling.«

      »Nicht so. Etwas anderes.« Die Dame rückte ihm nach, legte ihren Arm um seine Schultern und preßte Schenkel und Brust fest gegen ihn, so daß er ihren wohlriechenden Atem auf Mund und Nase fühlte. Mit einem Blick stellte sie fest, daß seine feindliche Spannung nachließ. »Sie tun, als wäre es Ihnen durch eine List geglückt, hier herauszukommen. Es wird Ihnen bei Broc großes Ansehen verschaffen. Sobald Sie uns die Bande übergeben haben, erhalten Sie die fünftausend und meine Natur. Für ein paar Tage. Oder so lange, wie Sie wollen. Nun?«

      Noch bevor er den Blick ihr hätte zuwenden können, fühlte Whitehill zwei heiße Lippen auf den seinen, eine weiche Hand an seinem Hals, die andere anderswo spitz und süß … und eine rote Flut schoß ihm in die Augen. Als er aber über diesen duftenden lockenden Leib sich stürzen wollte, entwand er sich ihm mit behender Kraft.

      »Alles hängt nur von Ihrem Ja ab.« Sie maß ihn mit ironischem Vorwurf, das Rouge ihrer Lippen mit dem Zeigefinger fassionierend.

      Keuchenden Atems mußte Whitehill seine Finger quetschen, um nicht blindlings zu toben. Der Schmerz machte ihn klar. ›Hätte ich sie jetzt gehabt, so hätte ich vielleicht ja gesagt. Dann lachte er auf: »Schlauheit ist oft das dümmste Kalkül. Ich danke. Ich bin die Maus. Sie sind die Katze.«

      Sie knickte ein bißchen ein. »Also unter keinen Umständen?«

      Whitehills Kopf verneinte unwirsch.

      Sie machte segnende Handbewegungen gegen ihn. »Man wird Sie foltern.« Sie setzte den Finger an den Klingelknopf.

      Aber Whitehill sah, daß sie ihn nicht niederdrückte. »Das halte ich für eine stupide Drohung. Sie prügeln nur noch von Zeit zu Zeit.« Er spürte freilich einen bitteren Geschmack im Mund.

      Da