Kathrin Singer

Heimatkinder Staffel 4 – Heimatroman


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nun Gelegenheit, von einem Kostümfest zum andern zu hüpfen oder mit ihren Eltern einige Tage in den noch vom Schnee bedeckten Bergen zu verbringen. Denn der Winter hatte sich mal wieder von seiner hartnäckigen Seite gezeigt.

      Als Frank Bahrings Limousine in den Park des Hotels Ludwigshöhe einbog, knirschte der Schnee unter den Rädern.

      Anette saß neben ihm. »Uiii, Frank! Hierhin führst du mich aus!? Du lieber Himmel! Das wird was kosten!«, stieß sie aus, um dann schnell einzuatmen. Sie brauchte diese Atemzüge, um sich zu entspannen, wie immer, wenn sie neben ihm saß.

      Denn in seiner Nähe begann es immer in ihr zu kribbeln. Sie wusste, dass es das Verlangen nach ihm war. Allein seine sonore Stimme! Und der Duft, der von ihm ausging, ließ sie fast durchdrehen. Das hatte sie noch nie erlebt. Ob sie ihrem Verlangen trauen durfte, weil sie wirklich so in ihn verliebt war?

      »Aber Anette!« Frank lachte. Er lachte an diesem Tag zum ersten Mal, aber das konnte sie nicht wissen. Sie wusste ja auch nicht, dass er seine Kinder heute zur Maschine nach London gebracht hatte. Und wie konnte sie ahnen, wie schmerzlich er unter dem Abschied gelitten hatte und dass er sich Trost und Ablenkung von diesem Abend mit ihr versprach?

      »Wenn ich ein armer Schlucker wär’, könnte ich mir eine so schöne Frau wie dich doch gar nicht leisten«, flachste er gut gelaunt.

      Sie senkte verlegen den Blick. Ob er sie wirklich schön und begehrenswert fand? Sie kannten sich schon seit Wochen, und ihr erschien jede Stunde wie ein Fest, von dem sie nicht immer wusste, ob es sich als schöner Traum entpuppte.

      »Ja, du bist schön. Für mich bist du die schönste Frau der Welt!«

      Er parkte vor dem Hotel ein. Ein Wagen reihte sich hier neben den anderen. Die ›Ludwigshöhe‹ war ausgebucht. Wie gut, dass er einen Tisch hatte reservieren lassen.

      »Und deine Frau? Sie war gewiss auch sehr schön?«, wollte Anette plötzlich wissen. Frank stellte den Motor ab. Dann sah er sie lange an, bis sich ein kleines Lächeln in seinen Augen festsetzte. »Entschuldige, Frank. Ich wollte dir nicht wehtun!«, fiel ihr sofort ein.

      »Das kannst du gar nicht, Anette. Ja, meine Frau war eine anziehende Erscheinung. Aber ganz anders als du.«

      Sie nickte. Ob er ihr mal Fotos zeigte? Dann musste er sie ja erst mal in seine Münchner Wohnung bitten. Und so weit waren sie noch nicht. Sie hatte gemeinsam Konzerte besucht, waren im Theater und Kino gewesen und hatten Abende in Restaurants verbracht. Sie kannte ihn recht gut. Aber kannte sie ihn gut genug, um Hoffnung in ihr Herz zu lassen?

      »Bezaubernd!«, stellte er fest, als er ihr an der Garderobe den Umhang abnahm und darunter ein Festtagsdirndl zum Vorschein kam. Es war in rot und schwarz gehalten, und die zarte Silberstickerei auf dem Mieder glitzerte im sanften Licht. »Du hast es noch nie getragen!«, stellte er bedauernd fest. »Dabei steht es dir so gut.«

      »Ich …, ich wusste ja nicht, ob du Trachtenkleider magst«, verhaspelte sie sich. Das passierte ihr oft, wenn er ihr ein Kompliment machte und sich wieder Zweifel in ihr regten, womit sie diesen Traummann verdient hatte.

      »Jetzt weißt du es!« Er legte den Arm um sie.

      Das Restaurant der ›Ludwigshöhe‹ bestand aus mehreren Räumen. Im blauen Residenzsaal nahmen sie an dem reservierten Tisch Platz. Anette sah sich um.

      »Angeblich soll Ludwig, der Schlösserkönig, hier einmal übernachtet haben. Weil es ihm hier nicht groß und prächtig genug war, reifte in dieser Nacht der Entschluss in ihm, Neu-Schwanstein zu erbauen.« Sie zog die Brauen hoch und hob das Näschen. Und ihre Mundwinkel zuckten ein wenig, als traue sie diesem Gerücht selbst nicht ganz.

      »Was du nicht alles weißt!«, flüsterte Frank ihr zu. »Ein Abend mit dir als Lehrerin – und mir schwirrt der Kopf.«

      »Das ist nicht nett!«

      Man legte ihnen die Speisekarten vor. Frank bestellte einen Aperitif. Kaum waren sie wieder allein, neigte er sich zu ihr.

      »Verzeih! Aber du bist die bezauberndste Lehrerin, die mir in den letzten Jahren begegnete.«

      »In den letzten Jahren?« Sie kicherte. »Das will ich hoffen. Deine Schulzeit liegt lange zurück. Und Kinder hast du nicht.« Damit widmete sie sich der Karte und entschied sich für Fasanbrüstchen auf Champagnerkraut. »Heute habe ich die Zwischenzeugnisse ausgeteilt«, verriet sie fröhlich. »Nun muss ich eine ganze Woche lang keine Lehrerin mehr sein.«

      Wie nachdenklich sein Blick sie traf. Dabei ärgerte Frank sich nur über sich selbst. Er hätte schon letzte Woche im Hotel ›Ludwigshöhe‹ eine Suite reservieren sollen, um dort endlich eine Liebesnacht mit ihr zu verbringen. Jetzt war natürlich jedes Zimmer des Hotels belegt. Fast hätte er geseufzt.

      Aber die bevorstehende Trennung von seinen Kindern hatte ihm so zu schaffen gemacht, dass ihm beinahe die Vorfreude auf die Zeit mit Anette verging. Das war jetzt vorbei. Sie saß neben ihm, sah hinreißend aus, und alles an ihr verriet, wie sehr sie ihn mochte. Und verriet ihr zärtlicher Blick nicht schon oft, dass sie sich mehr als gemeinsame Abende mit ihm erhoffte?

      Es wurde wieder ein wunderschöner Abend. Die Stunden flogen nur so dahin. Anette strahlte ihn so glücklich an, während sie sich mit Champagner zuprosteten, dass er es kaum auf seinem Sessel aushielt. Der zarte Schimmer ihrer Haut, der Glanz ihres Haares und ihre zarte, mädchenhafte Stimme erweckten das wilde Begehren eines jungen, verliebten Mannes in ihm.

      Nur, sollte er ihr nicht vorher von seinem Schicksal erzählen? Noch fehlte ihm der Mut dazu. Anette ahnte ja nicht, wie viel sie ihm jetzt schon bedeutete. Sie wurde so leicht verlegen, und dann stieg eine zarte Röte in ihre Wangen. So warmherzig, wie sie sich zeigte, konnte sein Geständnis sie verwirren. Oder sie würde ihn bemitleiden und auch einen jämmerlichen Versager in ihm sehen wie viele seiner Münchner Bekannten. Furchtbar!

      Nein, das ertrug er heute nicht. Nicht, bevor er in ihren Armen ihre Hingabe und ihr Verlangen genossen hatte.

      »Mmm!«, machte Anette neben ihm, weil ihr das Dessert serviert wurde. »Bayerische Creme mit tropischen Früchten, Frank!«, fügte sie leicht jubelnd hinzu. »Und das mit Champagner!« Sie hob ihr Glas. Ihre Blicke versanken in­einander. Da konnte er nicht anders.

      »Du hast mein Herz erobert, Anette!«

      Sie schlug den Blick fast kokett zu ihm auf. »An einem Abend wie diesem ist das keine Kunst.«

      Frank lachte verhalten. Sie war einfach hinreißend, und er war glücklich. Aber würde er es bleiben, wenn Ben und Sara sich für ein Leben bei ihrer Mutter entschieden? Er sollte sich Anette ­anvertrauen, aber was wurde dann aus diesem romantischen Abend?

      Als sie die ›Ludwigshöhe‹ verließen, war es frostig kalt. Am Himmel glitzerten die Sterne, und Anette lehnte sich fröstelnd gegen ihn. »Du hast einen Aperitif und jeweils zwei Gläser Wein und Champagner getrunken. So lass ich dich nicht nach München fahren.«

      Er nickte. »In Altendorf gibt es bestimmt einen Gasthof. Bis dahin erwischt mich keiner.«

      »Der Gasthof heißt ›Altendorfer Hof‹.« Das klang kühl. Anette konnte ihre Enttäuschung kaum verbergen. Warum fragte er nicht, ob er bei ihr bleiben könne? Liebte er sie nur als hübsche Begleiterin? Reichte seine Liebe nicht für eine gemeinsame Nacht?

      Vor dem Haus mit der Apotheke hielt Frank. Hier unten hatte er sie erwartet. Hier musste er sie gehen lassen. Er sah sie an, legte den Arm um sie und zog sie an sich.

      »Jede Stunde mit dir ist ein Geschenk für mich, Anette.«

      Und dann küsste er sie. Seine Lippen berührten ihre erst sanft, dann stürmischer und schließlich so verlangend, dass sie erbebte. Sie hielt die Augen noch geschlossen, als er leise flüsterte: »Vielleicht brauche ich eine Zahnbürste. Hast du eine? Ich bin nicht sicher, ob es im ›Altendorfer Hof‹ eine gibt.«

      »Ja, ich habe eine.«

      Nach einer Weile entwand sie sich seiner Umarmung und stieg aus dem Auto. Sie suchte den Hausschlüssel in ihrer Tasche und fand ihn. Und dann, vor der