Kathrin Singer

Heimatkinder Staffel 4 – Heimatroman


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Die Ernte war eingebracht und die schwerste Arbeit des Jahres erledigt.

      »Wir werden heuer den Speisesaal ausbauen. Er ist viel zu klein für die vielen Leut. In der nächsten Woch kommt der Schreiner und nimmt das Aufmaß. Wennst bitt schön derweil keine neuen Gäst aufnehmen tätst, wär’s mir arg recht«, verkündete Marianne eines Tages bei einem der seltenen gemeinsamen Abendessen.

      Martin hob mißbilligend die Augenbrauen. »Bislang hat’s noch immer gereicht. Wir haben net so ein feudales Hotel wie deine Eltern. Unser Gästehaus ist weitaus bescheidener!«

      »Du bist hinter der Zeit, mein Lieber!« konterte seine Frau. »Kümmer du dich nur um Feld und Hof und ich kümmer mich um alles andere!« Damit war für Marianne das Thema beendet.

      Dem Bauern war der Appetit vergangen. Freilich, er mußte zugeben, daß Marianne es gut verstanden hatte, die bislang mäßigen Einkünfte erheblich zu steigern. Doch dem Geld stand ihre Herzlosigkeit gegenüber, die ihm mit der Zeit wie eine Bedrohung erschien.

      Was sprach eigentlich dagegen, sich von ihr scheiden zu lassen? Gründe hatte er genug, denn Marianne hatte mit dem Tage ihrer Hochzeit ihre Maske fallen lassen. Erst recht, nachdem das Kind auf die Welt gekommen war!

      »Weißt was, Marianne? Ich werd in der nächsten Woche die Scheidung einreichen. Jetzt ist das Maß voll,« preßte er zornig heraus und schlug zum erstenmal mit der Faust auf den Tisch.

      Martin hatte seine Frau unterschätzt. »Ha! Du und dich scheiden lassen! Mit welcher Begründung denn? Wer ist denn aus der Schlafstube ausgezogen? Das warst doch du, gell? Und wer hat denn dafür gesorgt, daß Roserl bei deinen Eltern im Anbau ein Zimmer bekommen hat? Geh, Martl, damit kannst mir net drohen! Was glaubst, was dich eine Scheidung kosten tät! Nein, mein Lieber, du wirst dich weiter in dein Schicksal dreingeben, weil ich sonst mit dem Roserl fortgehen werd!«

      Der Bursch stand sehr langsam auf, ging um den Tisch herum, packte Marianne bei den Schultern, zog ihr hämisch verzerrtes Gesicht dicht an das seine und zischte: »Bevor du mit dem Roserl fortgehst, bring ich dich um!« Er ließ sie auf den Stuhl zurückfallen und stürmte aus der Küche. Diese Hexe! dachte er zornentbrannt. Sie weiß genau, daß ich das Kind um keinen Preis der Welt hergeben werd!

      *

      »Wir müssen heuer mehr Bäume schlagen lassen, Martin. Der Xandl vom Sägewerk hat mich drauf angesprochen, er hätt so viele Bestellungen, daß er mit seinem Bestand net nachkommt.« Marianne sprach ungewöhnlich sanft auf ihren Mann ein.

      Martin wußte, warum sie diesen Tonfall anschlug. Der Kahlschlag oblag einzig und allein ihm, dem Bauern. Das war allen bekannt, auch dem Xandl Hochleitner. Der Sägewerksbesitzer wollte ihn schon lang dazu überreden, ihm ein schönes Stück vom Wald zu verkaufen.

      »Wir müssen gar nix, daß du’s weißt! Ich hab dem Xandl bereits gsagt, was er schlagen darf und was net. Mehr geht net wegen der Lawinengefahr.«

      Die junge Achnerbäuerin schlug heftig den Strudelteig auf die Tischplatte. »’s ist doch bisher auch nix passiert. Und für uns wär’s ein guter Profit.«

      »Profit! Profit! Hast denn nix im Hirn? Ich weiß schon, was ich tu. Und im übrigen – wie sagst selbst immer? Kümmer du dich ums Haus und ich kümmer mich um alles andre!« Martin freute sich insgeheim über das verblüffte Gesicht seiner schönen Frau. So hatte sie ihn noch niemals reden hören.

      Geschickt füllte Marianne den Strudelteig mit Äpfeln und Rosinen, rollte ihn vorsichtig mit dem Tuch ein. Scheinbar gleichmütig antwortete sie: »Wennst meinst.«

      Der Bursch schaute seine Frau lauernd an. Wenn er sie nicht so genau gekannt hätte, wäre er gewiß auf ihren versöhnlichen Ton hereingefallen. So, wie sie jetzt arbeitete in ihrer Schürze, sah sie wahrhaftig aus wie eine Bäuerin – nur waren diese Anblicke so selten, daß Martin ihr diese Rolle nicht mehr abnehmen konnte!

      »Weshalb ich eigentlich hereingekommen bin, Marianne: Ich wollt dir nur sagen, daß ich für ein paar Tag in die Stadt fahr. Hab dort was Geschäftliches zu erledigen.« Der junge Bauer stand bereits in der Tür und tat, als wär’s ihm grad erst eingefallen.

      »Was Geschäftliches?« Marianne sah ihren Mann mit weit aufgerissenen Augen an. Er wird doch net…? Aber nein, wenn er sich hätte scheiden lassen wollen, hätt er’s ja längst getan! Nein, da mußte etwas anderes dahinterstecken!

      »Hmm, was Geschäftliches! Wirst es schon noch rechtzeitig erfahren.« Der Bursch grinste schief und ließ seine verdutzte Frau einfach stehen.

      So ist’s recht, dachte er zufrieden. Sie wird sich umschaun, lang genug ist sie mir jetzt auf der Nas herumgetanzt!

      Martin Achner dachte an das kürzlich geführte Gespräch mit seiner alten Mutter.

      »Martl, ich glaub, ich pack das nimmer mit dem Roserl. Weißt, sie ist jetzt drei Jahr alt und ein sehr lebhaftes Dirndl. Sie braucht jemand, der sich den ganzen Tag um sie kümmert. Magst net mit der Marianne mal drüber reden?« hatte die alte Frau traurig gesagt und der Altbauer hatte hinzugefügt: »Schick doch das Weib endlich zum Teifi!«

      Die Worte der alten Bäuerin hatten in Martin einen Entschluß reifen lassen. Er war sich wohl bewußt, daß er Marianne nicht so ohne weiteres fortschicken konnte, denn sie würde ihre Drohungen wahrmachen. Aber er konnte ihr das Leben ebenso sauer machen, wie sie ihm in den letzten Jahren!

      Zum erstenmal nach dieser leidvollen Zeit faßte der Bursch neuen Mut. Fast beschwingt marschierte er durch das Dorf, löste am Bahnhof eine Fahrkarte in die Stadt und wartete geduldig, bis der Zug schnaufend einfuhr.

      Es war gerade Mittagszeit, die Sonne stand hoch am Horizont. Martin Achner genoß die Fahrt mit dem Bummelzug und atmete tief auf. Sanft ansteigende Wiesen und Felder neben steil aufragenden, bewaldeten Bergriesen flimmerten im gleißenden Sonnenlicht.

      Wie glücklich hätte er sein können in dieser idyllischen Heimat!

      Als der Zug in Berchtesgaden einfuhr, befiel den Burschen eine seltsame Unruhe. Ob er wohl diesmal ein bisserl Glück hatte?

      Sein Weg führte durch die prächtige Altstadt, vorbei an den alten Bürgerhäusern und der Stiftskirche, hinauf zur Anhöhe, auf der sich die mittelalterliche Klosteranlage befand. In einem der abseits gelegenen Bauten war das Waisenhaus und die Hauswirtschaftsschule eingerichtet.

      Ernst blieb er vor dem Portal stehen und zog kurz an der Glocke.

      Das kleine Holzfenster in der Tür wurde zur Seite geschoben und ein rundliches, freundlich lächelndes Gesicht schaute Martin wohlwollend an. »Was wünschen Sie, junger Mann?« Die Ordensschwester hatte eine warme, helle Stimme.

      »Entschuldigens, bitt schön, Schwester. Ich wollt fragen, ob Sie net ein braves Dirndl wissen, das mein Töchterl betreuen kann.« Er kratzte sich verlegen im Nacken.

      Die Schwester lächelte verständnisvoll. Das kleine Fenster wurde zugeschoben, die Türen des Portals schwangen auf und vor ihm stand eine wohlbeleibte, schwarz eingehüllte Frau, die ihn mit einer einladenden Geste hereinbat. »Kommen Sie nur herein. Ich bring Sie gleich zur Mutter Oberin. Sie kann Ihnen gewiß helfen.«

      Martin blieb vor der Tür stehen, hinter der die freundliche Schwester verschwunden war.

      Kurz darauf erschien sie wieder, bat ihn ins Zimmer.

      »Grüß Gott!« Der Bursch verneigte sich ehrerbietig vor der zierlichen Gestalt mit den klugen hellen Augen.

      »Nimm Platz, mein Sohn. Du möchtest also ein Kindermädchen für deine Tochter?«

      »Ja. Mein Roserl ist drei Jahr alt. Meine Mutter packt’s nimmer.«

      »Hm. Ist deine Frau gestorben?«

      Martin bekam einen hochroten Kopf. »Nein, nein. Nur – sie hat halt zuviel am Hals mit dem großen Haus und den Gästen und…«, stotterte er verlegen.

      Die Oberin schwieg eine Weile. Sie betrachtete den Burschen nachdenklich. Um seinen etwas zu groß geratenen Mund hatten sich feine Falten eingegraben, seine dunklen