wandte sich ab. Wenn er an Marianne dachte… Sie bekam niemals genug. Es mußte immer noch mehr sein, mehr Erfolg, mehr Geld, mehr Grund und Boden! Wie sehr sehnte er sich nach Frieden und Geborgenheit. Die Gegenwart des jungen Dirndls machte ihn froh, er konnte aufrichtig mit ihr sein, brauchte sich nicht zu verstellen und erhielt dafür ein verständnisvolles Lächeln.
Noch ehe sie in das kleine Dorf am Fuße des Watzmanns einfuhren, wußte Martin Achner, daß er recht gehandelt hatte. Er würde sein Töchterl einem Dirndl anvertrauen, das dem Kind Liebe und Geborgenheit geben konnte!
»Sepherl, nun müssen wir noch ein gutes Stück auf den Berg, dann sind wir endlich auf dem Hof!« Er zeigte hinauf in die Richtung, in der man das Bauernhaus nur vermuten konnte, denn von hier unten war es nicht auszumachen.
Sie mußten durch das Dorf gehen, um auf der anderen Seite zum Aufstieg zu gelangen.
Die Dämmerung war hereingebrochen. Nur hier und da begegnete ihnen einer der Dorfbewohner. Auf dem Marktplatz angelangt, sah Martin den Krankenwagen. Zwei Sanitäter trugen eine Bahre heraus und schoben sie vorsichtig in den Wagen. »Wer…«
»Martin! Martin Achner! Welch ein Glück, daß du mir über den Weg läufst!« Der kleine Doktor Baumann lief aufgeregt auf den Burschen zu, der wie versteinert auf dem Fleck stehenblieb. Josepha blieb bescheiden zurück.
Doktor Baumann zog Martin am Ärmel, hin zum Krankenwagen. »Du mußt mit ins Spital fahren! Wegen der Formalitäten.«
»Wegen welcher Formalitäten? Doktor, so reden Sie doch endlich! Was ist denn geschehen?«
»Auf, steig ein! Ich erklär dir alles auf der Fahrt!« bestimmte der Arzt.
Martin wandte sich zu Josepha. »Dirndl, es tut mir leid. Aber du wirst wohl auf mich warten müssen, bis ich zurück bin. Ich weiß selbst net, was los ist. Geh hinauf zur Praxis und unterhalt dich derweil mit Schwester Barbara.«
Wenn es der Doktor so dringend machte, mußte wohl etwas Arges passiert sein. Er setzte sich neben Doktor Baumann und sah ihn ratlos an. Die schmale Gestalt auf der Bahre war unter einem weißen Tuch verborgen. Bei ihrem Anblick hatte Martin eine grausame Ahnung erfaßt. Der alte Mann nickte. »Ja, Martin, es ist Marianne. Sie wurde am rückwärtigen Hirschbichl gefunden.«
»Am Hirschbichl? Was… Wie schlimm steht es um sie?« fragte er mit zitternder Stimme.
»Es steht schlimm. Sie hat sehr viel Blut verloren. Ich weiß net, ob sie die Nacht übersteht.«
Der junge Achnerbauer schlug die Hände vors Gesicht. Er hatte es wahrhaftig nicht leicht gehabt an Mariannes Seite, aber dieses Unglück hatte er ihr nicht gewünscht! Was hatte sie nur zum Hirschbichl getrieben? Der war doch ein ganzes Stock vom Hof weg!
Der Doktor legte beruhigend seine Hand auf Martins Arm. »Martl, die Holzknechte haben sie gefunden. Sie muß den Steilhang hinabgestürzt sein bis zum Plateau. Gewiß hat Marianne genau gewußt, wo sie war. Sie ist ebenso in dieser Gegend groß geworden wie du. Also gräm dich net. ’s war halt ein Unglück!«
Langsam ließ Martin die Hände sinken. Ihm kam in den Sinn, daß ihn Marianne auf den Kahlschlag angesprochen hatte, bevor er gefahren war. Ja, der Xandl hätt noch Aufträge, die er nicht erfüllen kann, weil ihm das Holz fehlt! Das war es also! Sie war hinter seinem Rücken zum Hirschbichl gegangen, weil es dort den dichtesten Baumbestand gab!
Und nun hatte der Herrgott ihren Verrat gestraft!
*
Der Oberarzt Doktor Falkner ging verbindlich lächelnd auf die Neuankömmlinge zu. Die Schwerkranke war inzwischen auf die Intensivstation gebracht worden. »Grüß Gott, Herr Kollege, grüß Gott, Herr Achner. Ich muß Sie bitten, wieder heimzufahren. Ihre Frau wird versorgt und vor morgen früh können wir gar nichts sagen. Es hätte wenig Sinn, wenn Sie sich die Nacht um die Ohren schlagen.«
Martin sank in sich zusammen. Sollte er nun für seine Gedanken gestraft werden? Nein, er wollte, daß Marianne am Leben blieb, sie durfte nicht sterben! Liebte er sie noch? Aber wie unwichtig war angesichts dieser Tragödie die Frage nach Liebe!
Der Bursche haderte mit sich, weil er seine Frau nicht daran gehindert hatte, alles an sich zu reißen. Er war einfach nicht Manns genug gewesen, sie auf ihren Platz zu verweisen!
Doktor Baumann riß ihn aus seinen schweren Gedanken. »Komm, Martin. Der Doktor hat recht. Laß uns heimfahren.« Er schob den erschütterten Burschen zur Aufnahme. »Schwester, bitte besorgen Sie uns ein Taxi.«
Während sie auf das Taxi warteten, fragte der Dorfarzt: »Sag einmal, Martin, wer war eigentlich das Dirndl? Ich hab sie vorher noch nie hier gesehen.«
»Das neue Kindermädchen. Hab sie grad aus der Stadt mitgebracht«, erwiderte der Bursch tonlos.
»Welch ein Glück! Du kannst jetzt ein fleißiges Dirndl brauchen, wo Marianne ausfällt!« Der Doktor konnte nicht ahnen, welch einen Sturm von Gefühlen er damit in Martin auslöste.
»Doktor! Wie können Sie das grad jetzt sagen?!«
»Das Taxi ist da!« Die Schwester bedachte den aufgebrachten Burschen mit einem mißbilligenden Blick.
»Danke, Schwester. Komm Martin. ’s war net bös gemeint!«
Schweigend fuhren die beiden Männer ins Dorf zurück. Am liebsten wäre Martin ohne Josepha auf den Hof gegangen, aber weil er sie nun einmal hergebracht hatte, mußte er sich auch um sie kümmern!
Doktor Baumann übernahm die Aufgabe, dem Dirndl mit wenigen Worten den Sachverhalt zu erklären.
»Wär es da net besser, wenn ich noch ein bisserl im Dorf bleiben würd, Doktor?« fragte Josepha einfühlsam. Sie ahnte, daß das Geschehen den Bauern schwer getroffen haben mußte und er jetzt ganz gewiß keinen Kopf für sie hatte.
»Im Gegenteil, mein Kind, ich glaub gar, daß es für alle das beste ist, wennst mit hinaufgehst. Auch wenn sich Marianne net arg viel ums Roserl gekümmert hat, wird das Kind dennoch mitbekommen, daß sie fort ist.«
Josepha folgte widerstrebend dem Rat des Arztes, der sich fürsorglich um all »seine« Kinder sorgte.
Martin war in brütendes Schweigen verfallen. Voll quälender Selbstvorwürfe stapfte er durch den finsteren Wald voraus, in dem er jeden Strauch, jede Wurzel kannte, und führte das Dirndl sicher zum hell erleuchteten Haus.
»Martin! Martl, es ist was Schreckliches passiert!« Die alte Bäuerin warf sich schluchzend an die breite Brust ihres Sohnes.
Mechanisch strich er seiner Mutter übers Haar. »Weiß schon, Mutterl. Der Doktor hat mich getroffen und gleich mit ins Spital genommen.« Nach einer Weile fiel ihm Josepha ein.
»Ich hab ein Kindermädchen für Roserl aus der Stadt mitgebracht, Mutterl. Sie heißt Josepha.« Er nickte dem Dirndl aufmunternd zu, während er aus der Stube ging, hinauf in seine Kammer, die er seit mehr als drei Jahren allein bewohnte.
Anna Achner fing sich schnell. Sie ging auf das Mädchen zu und begrüßte es herzlich. »Morgen in der Früh wirst du meinen Mann kennenlernen. Wir haben unser Roserl arg lieb und wünschen uns nur, daß jemand sich mit ihm beschäftigen kann, weißt. Es kann net den ganzen Tag im Haus herumtollen und für lange Spaziergänge sind wir einfach schon zu alt«, erklärte sie lächelnd dem neuen Kindermädchen.
»Darf ich das Dirndl anschaun, Bäuerin?« fragte Josepha zaghaft.
»Freilich. Aber zuerst zeig ich dir dein Zimmer.« Insgeheim war die Bäuerin dem Herrgott zutiefst dankbar, daß er dem Martin den guten Einfall mit dem Mädchen eingegeben hatte!
Niemand bemerkte, daß Martin den Haflinger sattelte und um Mitternacht vom Hof ritt.
Es war wie ein Zwang, daß der Bursch zum Spital preschte. Eine innere Stimme sagte ihm, daß er sich beeilen mußte, wenn er seine Frau noch einmal lebend sehen wollte.
Die Nachtschwester in der Aufnahme sah ihn groß an, kam nicht mehr dazu, ihn nach seinem Anliegen zu fragen, sondern konnte nur noch