Eugenie Marlitt

Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte


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Sie drückte die in den Garten führende Tür zu, drehte den Schlüssel um und steckte ihn, als genüge ihr nur diese Art von Sicherheit, in die Tasche.

      Donna Mercedes verhielt sich lautlos wie eine Tote. Nur das Myrtengezweig trennte sie von dem Frauengesicht, dessen Atem sie nahezu streifen konnte – nie hatte sie den Verheimlichungstrieb so abstoßend, so wahnwitzig gesteigert ausgeprägt gesehen, als in der Art und Weise, wie die Frau den Schlüssel verbarg.

      Sie befand sich in einer höchst peinlichen Lage – sie war gefangen. Ihr stolzer Sinn, ihr ganzes Empfinden empörte sich gegen die Mitwissenschaft dessen, was die Baronin in Abwesenheit ihres Mannes hier trieb; allein noch unerträglicher war ihr der Gedanke, jetzt erst hervorzutreten und der Frau den Schlüssel abzunötigen – sie beschloß, still auszuharren, vielleicht entfernten sich die Damen bald wieder.

      Die Baronin war, ohne sich umzusehen, in das Atelier zurückgekehrt. Und nun huschte sie von Schrank zu Schrank; keine der Türen war verschlossen; die meisten Schubfächer erwiesen sich als leer, oder sie waren mit Zeichnungen und Entwürfen gefüllt, welche die gierig wühlenden Hände stets verächtlich wieder hineinstopften. Es war abscheulich zu sehen, wie die lange Gestalt sich katzenartig an den Schränken und Kredenzen emporreckte, wie sie auf die Zehen trat und zwischen dem klirrenden Geschirr auf den Simsen und Borden jedenfalls nach irgend einem achtlos liegengelassenen Brief tastete.

      Währenddessen war die Stiftsdame an die Staffelei getreten. Anfänglich hatte sie in regungsloser Überraschung wie angewurzelt gestanden – aber nun entfuhr ihr ein Ausruf der Entrüstung. Sie rauschte um einige Schritte von dem Bilde weg, und ihr Blick suchte nach der umherhuschenden Frau. »Ich bitte dich, Klementine, lasse doch dieses widerwärtige Spionieren!« rief sie in zürnender Ungeduld. »Komm lieber hierher und sieh, was du durch deine Gleichgültigkeit verschuldet hast!«

      »Mein Gott, was hast du denn wieder?« antwortete die Baronin ärgerlich über die Schulter hinüber. Sie hatte eben eine Schranktür zurückgeschlagen, hatte ein leeres Kuvert in einem der Fächer gefunden und schien jeden Buchstaben der Adresse mit den Augen zu verschlingen. »Ist das nicht von Damenhand?« fragte sie, eilig das Atelier durchschreitend, und hielt der Stiftsdame das Kuvert hin.

      »Ich berühre anderer Briefe grundsätzlich nicht,« entgegnete diese in herber Rüge und hob abwehrend die Hand. »Wozu diese häßliche Art von Indiskretion? – Selbst wenn dir der Inhalt einen augenfälligen Beweis der Untreue in die Hände lieferte,« – eine Flamme innerer Erregung schlug bei diesen Worten über das Gesicht der Baronin hin – »er würde deinen Mann bei den Unseren weniger schuldig erscheinen lassen als dieses Bild hier – das bricht ihm den Hals! –Sieh her!«

      Sie trat wieder hinter die Staffelei, während die Baronin unter einem Gemisch von Scheu. Verdruß und Widerspruch sich nicht von der Stelle bewegte.«Ach was – ich mag nicht!« versetzte sie störrisch. »Du berührst seine Briefe nicht, und ich sehe grundsätzlich seine Bilder nicht an.«

      »Ja, leider! – Da rühmst du dich, weil du noch nie das Atelier betreten hast, und jetzt weiß ich, daß du stets und immer in dieser Werkstätte hättest zugegen sein müssen, um einen Weltskandal zu verhindern!« – Sie streckte die Rechte gegen das Bild aus. »Das ist das abscheulichste Tendenzgemälde, das je in die Welt hinausgegangen ist!« rief sie tief erregt. – »Diese hier« – sie zeigte auf die herrliche Mittelgruppe – »die Abgefallenen, die Ketzer, die vor Gottes Angesicht Verstoßenen, sie tragen den Nimbus himmlischer Verklärung, und die Getreuen dort, die in Glaubensinbrunst die Waffen ergriffen, um den Fels der Kirche von dem hinaufkriechenden Gewürm zu säubern, sie kommen da hervorgestürzt, als mord- und blutgierige Teufel! ... Und das konnte in seinem Kopfe entstehen, während du an seiner Seite gingst! Es durfte ungehindert Form und Farbe annehmen, dieweil du kein anderes Ziel verfolgtest, als den spröden Ehemann als schmachtenden und sklavisch unterwürfigen Liebhaber zu deinen Füßen zu sehen!«

      Die Baronin trat mit einer heftig unterbrechenden Bewegung auf sie zu; mit diesen zwei raschen Schritten aber stand sie auch vor dem Bilde, dessen Anblick sie bisher vermieden hatte. Einen Augenblick schwieg sie, offenbar vor Bestürzung: dann aber fuhr sie zornig mit der flachen Rechten wie auslöschend über die Mädchengestalt im Nachtgewande, deren wundervolle Büste der mitleidig übergeworfene schwarze Schleier nur halb verhüllte. »Schändlich! Was für eine abscheuliche Phantasie er hat!« stieß sie hervor. »Und da tut er so zurückhaltend und aszetisch und treibt doch insgeheim sündhaften Kultus mit solchen Nacktheiten!«

      Donna Mercedes sah durch zwei sich kreuzende starke Zweige die beiden Frauen wie in einem Rahmen stehen. Das kühne Profil der Stiftsdame hob sich scharf, in fast antiker Linie von dem Hintergrunde des Ateliers. Die junge Dame hinter dem Myrtenstrauch konnte deutlich jeden Zug erkennen, sie sah auch, wie die zwei nachtdunklen Augen mit einem verächtlichen Blick die erbitterte Frau seitwärts streiften.

      »Das sehe ich kaum!« sagte sie kalt und achselzuckend. »Ich halte es auch für keine Sünde – die frömmsten Mönche haben den menschlichen Körper in unverhüllter Schönheit auf ihre Bilder gebracht. Hier« – sie hob abermals die Hand gegen das Gemälde – »sündigt allein die Tendenz!... Mir kocht das Blut, wenn ich denke, daß auch von hier aus ein Schlag gegen den Katholizismus geführt werden wird, wie es jetzt überall in Wort und Bild aufrührerisch gegen Rom und seine Getreuen anstürmt – von hier, von dem Grund und Boden aus, den sie der Kirche gestohlen haben!.. Was frage ich nach den besiegelten Dokumenten der Schillings und der Ketzerfamilie drüben auf dem Klostergut! Der Fleck Erde, auf den die Kirche einmal ihren weihenden Fuß gesetzt hat, ist unveräußerlich – er bleibt ihr, und wenn sie auch Jahrhunderte hindurch der brutalen Gewalt und Willkür weichen mußte, einmal kommt sie wieder Zu ihrem Rechte! Und ihr darin beizustehen, ist die heilige Pflicht eines jeden eifrigen Katholiken.«

      Mit einer Gebärde des ausgesprochensten Hasses wandte sie dem Bilde den Rücken, und ihr fester Tritt hallte von dem Steinfußboden. »Mir dürften hier die Rechte der Ehefrau, die Befugnisse der Eigentümerin zustehen,« fügte sie, noch einmal den Schritt hemmend, hinzu, und das Haupt ausdrucksvoll vorgeneigt, stieß sie die Fingerspitzen der Rechten gegen ihre Brust – »ich zerbräche dem Frevler die Pinsel vor seinen Augen, ich schüttete ihm die verräterischen Farben vor die Füße – das Bild dort müßte verschwinden, und sollte ich jede Faser der Leinwand mit den Zähnen zernagen!«

      Donna Mercedes beugte sich unwillkürlich, mit stockendem Atem vor. Wie eine Hohepriesterin stand sie dort, die imposante Gestalt, beseelt von fanatischer Glaubensinbrunst. Nicht ein Zug des Gesichts, nicht ein Laut dieser in tiefgehender Leidenschaft gleichsam wogenden Modulation der Stimme ließ an Heuchelei oder Berechnung denken. Das war echte, wildauflodernde Glaubensglut; das war eine jener fanatisch gesteigerten Frauenseelen, die den schönen, üppigen Leib steinigen und zerstückeln lassen, um die Palme zu gewinnen, die aber auch ebenso kalten Mutes die Brandfackel in den Scheiterhaufen zu schleudern vermögen, auf welchem ein Widersacher ihres Bekenntnisses den ketzerischen Geist verhauchen soll.

      Die gewaltige innere Kraft dieser Walkürenerscheinung mußte eine unwiderstehliche Gewalt über andere Seelen haben – die Baronin ging von der Staffelei weg wie eine Gestrafte. Sie nahm ihren schleppenden Gang wieder an und kehrte nach dem Schranke zurück; aber einen Schritt davon blieb sie stehen und preßte die Hand auf das Ohr. »Ich möchte den lärmenden Hund da draußen vergiften!« rief sie in ihren hohen, nervös ärgerlichen Tönen.

      In diesem Augenblick vergrub sich Donna Mercedes förmlich zwischen den schützenden Zweigen – ihr Herz schlug heftig. Der Lärm draußen war ein tolles Freudengebell; sie hörte auch, daß Pirat losgekettet sein mußte, und jenseits des Ateliers näher und näher kam. Es konnte nur Baron Schilling sein, dem das freigelassene Tier drüben auf der in das obere Gelaß führenden Treppe voraussprang. Er war zurückgekehrt, und die Frau dort, die, noch das konfiszierte Kuvert in der Hand, vor dem eigenmächtig geöffneten Schranke stehen geblieben war, ahnte nicht, daß sie von dem Beargwohnten in dieser kompromittierenden Stellung überrascht werde.

      Jenes schöne, echt weibliche Gefühl, das die Beschämung in so augenfälliger Weise nicht mitanzusehen vermag, wallte in Donna Mercedes auf – ein warnender Laut drängte sich auf ihre Lippen; aber schon war es zu spät – Baron Schilling trat auf die