Eugenie Marlitt

Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte


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gelähmt – er brachte kein Wort zu seiner Verteidigung über die Lippen. Der Bediente Robert war entschlossener.

      »Dafür können wir Dienstleute nicht, gnädige Frau Baronin,« sagte er achselzuckend. »Mit Erlaubnis zu sagen, wir machen selbst die Faust in der Tasche über die polnische Wirtschaft, die wir nun seit so und so viel Wochen im Schillingshof mit ansehen müssen ... Die Haustür hat der einfältige Bäckerjunge, der die Abendsemmeln gebracht hat, wieder einmal offen gelassen – zuschließen darf man ja nicht, weil die Zugglocke – nicht verrostet, wie gnädige Frau Baronin denken – sondern einfach abgenommen ist. Das Gas draußen brennt nicht, die Brunnenröhren sind zugeschraubt, und das Stroh liegt auf den Wegen – kurzum, die ganze heillose Wirtschaft ist nur um deswegen, weil der fremde kleine Junge den Typhus, oder so was Ähnliches gehabt hat.«

      In Donna Mercedes wallte das Verlangen auf, hervorzutreten und der Dame zu sagen, daß die Krankheit des Kindes nicht der Typhus, überhaupt keine ansteckende gewesen sei; trotzdem blieb ihr Fuß wie festgewurzelt stehen, und instinktmäßig bog sie ihre Gestalt aus dem herausfallenden Licht, das sie streifte ... Nein, die erste Begegnung mit der Herrin vom Schillingshofe durfte nicht in Gegenwart der gehässigen Dienstboten stattfinden! ... Ob sie es überhaupt je über sich gewinnen würde, dieser Frau mit Worten der gebührenden Höflichkeit, des Dankes für die gewährte Gastfreundschaft zu nahen? – Etwas Abstoßenderes an Gestalt und Wesen, an Linien und Ausdruck, wie diese Heimkehrende mit dem unkleidsamen, grauumschleierten Glockenhut über dem langen Gesicht, ließ sich nicht denken. Und die Stimme, dieses Gemisch von weinerlicher Bosheit und schneidender Impertinenz, berührte sie, als werde ihr eine kalte, scharfe Messerklinge über bloßgelegte Nerven gestrichen.

      »Typhus?!« wiederholte die Baronin und fuhr mit dem Taschentuch durch die Luft – Donna Mercedes sah eine starke Röte wie infolge eines heftigen Erschreckens über ihr Gesicht hinfliegen. – »Ich will doch nicht hoffen, daß der Baron während dieser Zeit hier im Hause geblieben ist?«

      Die Leute sahen sich scheu an. »Der gnädige Herr kennt keine Furcht; er ist Tag und Nacht in der Krankenstube geblieben und hat das Kind gepflegt, als wenn's ein – eigenes wäre,« versetzte der Bediente mit dem Gesicht und der Haltung eines echten Duckmäusers.

      Ein zornmütiges Lächeln entblößte flüchtig die langen weißen Zähne der Dame – sie sah ihre Reisebegleiterin an, die den Blick mit einem gleichgültigen Achselzucken erwiderte. »Wundert dich das, Clementine?« sagte sie kalt.

      Die Baronin antwortete nicht. Sie schob mit der Spitze ihres Sonnenschirmes einen Strohhalm von ihrem Rockbehang. »Ist das Kind noch krank?« fragte sie mit einem halben Aufblick nach dem Bedienten.

      »Jawohl, gnädige Frau – an ein Aufstehen ist noch lange nicht zu denken.« »Mein Gott, wie verdrießlich! – Ich habe entschieden keine Lust, die verpestete Krankenluft zu atmen – sorgen Sie dafür, daß sofort Kohlenbecken mit Räucherung hier in der Flurhalle aufgestellt werden! ... Wo ist der Baron?«

      »Der gnädige Herr ist heute nachmittag mit dem Fünfuhrzug nach Berlin gereist,« berichtete er so prompt und eilig, als habe er schon längst auf diese Frage gewartet – er rieb sich vor innerer Genugtuung die Hände.

      Hatte er gehofft, seine Herrin werde vor Überraschung die Fassung verlieren, dann war er im Irrtum gewesen. Sie hatte seine Bewegung sehr wohl bemerkt und verzog keine Miene, wenn sie auch abermals die Farbe wechselte. Wieder richtete sie den Blick auf die schwarze Dame ... Lucile hatte stets behauptet, die Frau dort habe glanzlose, tote Augen; das war falsch – es glomm im Gegenteil ein intensives Feuer in den grauen Sternen; sie flackerten unruhig wie Irrlichter unter den halbzugesunkenen dünnen Augendeckeln. »Erinnerst du dich, im letzten Brief etwas über diese Abreise gelesen zu haben, Adelheid?« fragte sie ihre Reisebegleiterin anscheinend gelassen.

      Die Dame schüttelte den Kopf.

      »Ach, gnädige Frau Baronin, das ist wohl auch nicht gut möglich!« wagte der Bediente einzuwerfen. – »Heute morgen hatte noch niemand im Hause auch nur die blasse Ahnung von der Berliner Reise – die Sache hat sich ganz schnell gemacht. Das ist jetzt immer so bei uns, gnädige Frau. Vor ein paar Tagen ist auch die eine fremde Dame so schnell und heimlich nach Berlin abgereist, als ob – ja wirklich und wahrhaftig so ist's gewesen – als war' sie durchgebrannt.« Die letzten Worte sprach er im halben Flüsterton, wobei er scheu nach dem hinter der nördlichen Zimmerflucht hinlaufenden Gang schielte.

      Jetzt hatte er doch einen empfindlichen Nerv getroffen. Die Baronin fuhr empor. – Die zusammengesunkene Haltung verwandelte sich im Nu in eine hochaufgereckte; mit nervöser Hast griffen die langen, schlanken Finger prüfend nach der Hutschleife unter dem Kinn, oh sie noch festsitze, die Strohhalme wurden von der Schleppe geschüttelt, der Schleier über das Gesicht gezogen.

      »Wir fahren mit dem Neunuhrzug nach Berlin,« sagte sie kurz, aber mit fieberischer Aufregung in jedem Ton zu ihrer Reisebegleiterin.

      »Mit Nichten, Clementine – du bist erschöpft und bedarfst dringend der Erquickung, der Ruhe – wir bleiben hier,« versetzte die Dame vollkommen gelassen, mit jener ernsten, unerschütterlichen Würde, die ein tüchtiger Mentor gegen seinen widerspenstigen Zögling herauskehrt.

      »Ruhe?« lachte die Baronin leise auf – Donna Mercedes schrak in sich zusammen vor diesem Lachen, vor dem Blick, der es begleitete, es schien, als brächen Spuren des Irrsinns aus beiden hervor. – »Ich brauche keinen Schlaf! Ich habe weder Hunger, noch Schlaf! Ich will reisen, und zwar sofort!«

      Die schwarze Dame antwortete nicht. Sie trat der Baronin nur näher und griff nach einem großen, spannenlangen goldenen Kreuz, das auf ihrer flachen Brust funkelte. »Sieh da, Clementine!« sagte sie. »Um ein Haar konntest du dein Kreuz unterwegs verlieren – es hängt nur noch lose in der Schleife. Was würde unsere liebe Frau Äbtissin zu diesem Verlust gesagt haben? – Sie hat dir das Erinnerungszeichen mit eigenen Händen umgehangen.«

      Wie ein Erlöschen ging es über das aufgeregte Gesicht der Baronin; sie senkte den Kopf und zog maschinenmäßig das Kreuz an die Lippen, dessen Band ihr die andere Dame im Nacken fester knüpfte.

      »Gehen Sie rasch hinauf und legen Sie einen bequemen Schlafrock für die Frau Baronin zurecht!« befahl die letztere, sich nach der Kammerjungfer umwendend, die währenddessen, mit Reisesachen beladen, auch in die Flurhalle getreten war. – »Die Birkner soll sogleich die Zimmer droben aufschließen – wo ist sie?«

      »Hier, gnädiges Fräulein!« rief die Wirtschaftsmamsell, um die Ecke des Ganges biegend, mit einem tiefen Knicks. »Ich komme eben von oben – es ist alles in Ordnung. – Ach, was für ein Glück! – Gerade heute habe ich die Zimmer der gnädigen Frau Baronin reinigen und tüchtig lüften lassen!«

      »Wie – so« werden meine Befehle befolgt?« fuhr die Baronin auf – ein entschiedener Abscheu sprach aus ihren Augen beim Erscheinen der guten, dicken Person, die unter diesem Blick sichtlich die Fassung verlor. – »Habe ich nicht ausdrücklich befohlen, daß während meiner Abwesenheit niemand, ich sage niemand, meine Gemächer betrete? ... Nun wird man sich breit gemacht haben in meinem Eigentum – ich konnte mir das denken!«

      »Aber, wer sollte denn so dreist sein, gnädige Frau?« stotterte die Wirtschaftsmamsell. »Keine Menschenseele hat hinauf gedurft – ich hab' die Schlüssel gehütet wie meinen Augapfel. Aber der Sturm hatte neulich die Terrassentür aufgerissen – sie muß in der Eile bei der Abreise nicht ordentlich eingeklinkt worden sein – und da mußte ich nachsehen, denn das Auf- und Zuschlagen hörte gar nicht auf, und der Glaser hat auch neue Scheiben einsetzen müssen ... Der Staub lag fingerhoch, und die Luft war dick zum Ersticken, und das war mir schrecklich!«

      Sie war bei dieser von lebhaften Gesten begleiteten Auseinandersetzung näher herzugetreten. Die Baronin wich zurück. »Kommen Sie mir nicht zu nahe, Birkner!« wehrte sie mit ausgestrecktem Arm in kindisch weinerlicher Heftigkeit ab. »Sie haben überhaupt von nun an in meinen Zimmern nichts mehr zu suchen – durchaus nichts! Ich werde meinen Willen in ganz anderer Weise geltend machen als bisher – meine Langmut ist erschöpft! Mein Haus soll und muß rein werden von diesen verpestenden Elementen –«

      »Rege dich nicht auf, Klementine!«