Eugenie Marlitt

Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte


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Gründe müssen wirken, um die kleine Frau nachgiebiger zu machen.«

      »Nun wohl, ich bin damit einverstanden, und – ich danke Ihnen!« Wie weich und innig klangen diese drei letzten Worte, wie so ganz anders als die, mit welchen sie neulich in ihrer furchtbaren Aufregung die gebotene kleine Blumenspende zurückgewiesen hatte!

      Er aber schien diesen Gegensatz nicht zu fühlen; er überhörte den Dank vollständig; er sah auch nicht, daß sie ihm die zarten Fingerspitzen hinstreckte – mit einem Blick nach der Uhr zog er kräftig an der Klingel, daß sie widerwärtig von allen Wänden schrillte.

      Er befahl dem eintretenden Bedienten, mit dem Gepäck nach der Bahn vorauszugehen; dabei hing er sich eine kleine Ledertasche um und griff nach seinem Hut. – Es war in der Tat alles zu seiner sofortigen Abreise vorbereitet gewesen; aber er hatte gehen wollen, ohne Donna Mercedes zu benachrichtigen, ohne ein Wort des Einverständnisses mit ihr gewechselt zu haben – der Schritt wäre einzig und allein in Ausübung seiner Pflichten dem verstorbenen Freund gegenüber geschehen. Dieser Überzeugung konnte sie sich nicht verschließen, und deshalb war auch ihr Dank übel angebracht gewesen.

      Mit tiefverfinstertem Gesicht trat sie in das Glashaus, während er die in das Atelier führende Tür verschloß. Er warf noch einen letzten Blick durch die Vorhanglücke über den Raum drinnen, dann drückte er sich im Fortgehen den Filzhut auf das krause Haar und zog die Handschuhe aus der Tasche.

      Donna Mercedes schritt ihm voraus und streifte dabei achtlos und hart an einer Pflanzengruppe hin – ein rosenfarbener Gloxinienkelch knickte ab und fiel auf den Asphaltboden. Die junge Dame wurde so rot wie die Blume zu ihren Füßen, und mit einem Ausruf des Bedauerns bückte sie sich, um sie aufzuheben – aber Baron Schilling kam ihr zuvor.

      »Lassen Sie doch!« – sagte er frostig. »Solch eine kleine Blumenseele ist nicht so empfindlich wie der Mensch – sie freut sich ihres Lebens weiter, auch wenn man sie plötzlich in das kalte Element versetzt.«

      Damit legte er die Blume auf den Rand des Beckens, so daß ihr Stengel die Wasserfläche erreichte.

      »Bis wann dürfen wir Sie zurückerwarten?« fragte Donna Mercedes draußen vor der Tür des Glashauses in bebendem Tone.

      »Je nachdem Frau Lucian Schwierigkeiten erhebt – möglicherweise in drei Tagen.« – Er zog den Handschuh über die Rechte.

      Ihre Wimpern lagen tief auf den Wangen – sie blickte auf ihre Fußspitze nieder, die schmal unter dem Kleidersaum herumkam, und sich spielend in den Kiessand grub. »Das wird José unerträglich lange erscheinen!« sagte sie stockend; »er fragt und verlangt unaufhörlich nach Ihnen.« – Sie hob langsam die Lider und sah ihn doch nicht an – es war unverkennbar, sie rang und kämpfte mit sich selber. – »Wollen Sie den kleinen Rekonvaleszenten nicht erst noch einmal sehen?«

      »Nein, nein!« – Jetzt sah sie ihm bestürzt in das Gesicht, welches die innere Kraft der Empfindungen ehrlich widerspiegelte – ein zornig funkelnder Blick begegnete dem ihren. – »Ich habe die schmerzvolle Sehnsucht überwunden und werde das Wiedersehen mit meinem kleinen Liebling nur unter den grünen Bäumen hier feiern.«

      Er zog grüßend den Hut, und sie reckte sich mit hartgeschlossenem Mund empor; sie schüttelte ungestüm die vornüberwogenden, lockigen Haarmassen aus der Stirn, nahm ihre Schleppe auf und ging mit einem stolzen Neigen des Hauptes rasch an ihm vorüber in die Platanenallee, während er quer durch das Fichtenwäldchen hinter dem Atelier schritt. Dort führte eine Tür in der Mauer nach der öden, menschenverlassenen Straße, die das Grundstück des Schillingshofes begrenzte – sie lief nach dem Stadtteil, in welchem der Bahnhof lag.

      24.

       Inhaltsverzeichnis

      Blaß und hastig, wie auf flüchtenden Füßen, war Donna Mercedes in das Säulenhaus zurückgekehrt. Sie hatte eigenhändig alles zur Reise Vorgerichtete wieder weggeräumt, war einige Zeit bei José verblieben, der mit matten Händen ein kleines, hölzernes Pferd auf seiner Bettdecke hin und her spazieren ließ, und sah nun in sich gekehrt vor dem Schreibtisch im Fensterbogen. Ein Sturm ging durch ihre Seele, während die Hände ruhig gefaltet in ihrem Schöße lagen und die Lider über die Augen gesunken waren, als schlummere sie.

      Da kam die kleine Paula, ihre Puppe im Arm, aus der Kinderstube, sie lehnte sich an die Knie der Tante und sah mit großen, fragenden Augen zu ihr auf... Das waren in verblüffender Ähnlichkeit die glänzenden, in einem Gemisch von Grün und Braun schillernden Sterne, die Felix Lucian aus seiner Lebensbahn gerissen und in einen frühen Tod getrieben hatten, jene begehrlichen Augen, aus denen jetzt das heißersehnte, berückende Bühnenlicht elektrische Funken lockte.

      Und dieses Kind – noch blickte es unschuldsvoll und lieblich wie ein Seraph unter dem wundervollen Goldgelock in die Welt hinein – es sollte unter jenen Irrsternen aufwachsen? – Niemals – niemals! – Sie schlang die Arme um die Kleine und drückte sie in leidenschaftlicher Zärtlichkeit an sich ... Wie oft hatte Felix »seinen Augentrost«, »sein Prinzeßchen« zu sich auf das Leidensbett heben lassen und sein blasses, schmerzverzogenes Gesicht tiefatmend in die blonde Haarflut gedrückt!«Hüte mir die Kinder, Mercedes, hüte sie!« – hatte er angstvoll immer wieder gebeten.

      – »Ich glaube, ich kann nicht ruhig in der Erde bleiben, wenn sie irre gehen!« – Und mit der letzten Kraft hatte er eigenhändig alle Verfügungen und auch einen letzten Brief voll heißer Bitten an seine Mutter niedergeschrieben ... Diese Schriftstücke waren ja in den Händen seiner Schwester – sie waren die Schranke, gegen welche die leichtfertige, pflichtvergessene, in die weite Welt entlaufene Frau vergebens anstürmte.

      Wie zu ihrer eigenen Beruhigung griff Donna Mercedes in die Ecke des unteren Schreibtischfaches, wo der kleine silberne Rokokokasten mit den Dokumenten stand – sie wußte, daß ein einziger flüchtiger Blick in die Papiere ihr den letzten Rest von Besorgnis verscheuchen mußte – aber das Kästchen war nicht da ...

      Bestürzt sprang sie auf. Ihr erster schreckensvoller Gedanke, der ihr den Herzschlag stocken machte, war der, daß Lucile einen Raub begangen habe. Die kleine Frau wußte ja, daß der Rokokokasten die schriftlichen Vollmachten für ihre Schwägerin enthielt – ohne diese Papiere war sie machtlos, und der Mutter fiel das uneingeschränkte Recht über die Kinder zu ...

      Mit fliegenden Händen rückte und schob Donna Mercedes an all den Gerätschaften und Bücherstößen, die den Schreibtisch und seine offenen Fächer füllten – vergebens!

      Sie rief nach Deborah. Die Schwarze hatte das Abstauben des Tisches zu besorgen,– das tat sie stets mit peinlicher Genauigkeit – nie war ein Stäubchen zu sehen, und dabei behielt jeder Gegenstand, bis auf die kleinste Stahlfeder, seinen Platz ... Sie fuhr erschrocken zurück, als sie in das schreckensbleiche Antlitz ihrer Herrin sah, und erklärte sofort mit aller Bestimmtheit, daß das Kästchen bereits seit dem Morgen nach Josés Erkranken fehle. Das sei ihr wohl im ersten Augenblick aufgefallen, denn die Fachecke habe außer ihm keinen Gegenstand enthalten; allein ihre Dame schließe ja häufig Dinge, die oft wochenlang auf dem Schreibtisch gelegen hätten, wieder weg; zudem sei sie damals vor Jammer über das todkranke Goldkind in ihrem alten Kopfe ganz wirbelig gewesen und habe bis zur Stunde nicht wieder an den kleinen Kasten gedacht.

      Also Lucile hatte die Dokumente nicht ... Nun fing auch Deborah an zu suchen; Hannchen kam aus dem Krankenzimmer, und Mamsell Birkner, die eben einen Teller voll eingemachter Früchte für die Kinder gebracht hatte, sah auch mit langem Halse in den Salon und trat über die Schwelle, um zu helfen. Man durchsuchte die Schubfächer der Kredenzen und schob die Möbel geräuschlos von den Wänden, und Donna Mercedes durchwühlte selbst die kleinen Lederkoffer, die sie stets in nächster Nähe unter dem Schreibtisch stehen hatte – es war alles vergeblich!

      Mamsell Birkner fragte schüchtern nach der Beschaffenheit des Kästchens, und Deborah versicherte, es sei von«fingerdickem« Silber gewesen, und der Spitzbube, der es habe, könne sich gratulieren.

      »Es enthielt unersetzliche Familienpapiere,«