Eugenie Marlitt

Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte


Скачать книгу

Lucile!« zürnte sie. »Um einer Laune willen das Kind aus seinem erquickenden Schlaf aufzuschrecken!«

      Aber schon hatte die kleine Frau förmlich erbittert die zurückhaltenden Hände abgeschüttelt; sie stieß die Tür auf und lief geräuschvoll in die Kinderstube hinein.

      Deborah saß strickend am Fenster, und die kleine Paula lag ausgekleidet in süßem Schlummer in ihrem Bettchen.

      »Dummheit!« zankte Lucile im höchsten Arger die schwarze Wärterin aus. – »Was fällt dir ein, das Kind zu einer kurzen Mittagsruhe bis aufs Hemd auszuziehen! ... Auch das noch!« stieß sie in namenloser Ungeduld hervor und stampfte mit dem Fuß den Boden.

      Sie riß die hingeworfenen Röckchen vom Stuhl und fing an, das Kind zu schütteln. »Paula, Paula, wach auf!« rief sie – es klang etwas wie Angst und prickelnde Unruhe aus diesen Tönen. Aber die Kleine schlief den Schlaf tiefster Ermüdung; sie schlug die Augen nicht auf, und das Köpfchen sank schlaftrunken auf das Kissen zurück.

      Inzwischen hatte sich die Schwarze erhoben und stellte sich beweglich bittend und protestierend vor die kleine Schlummernde.

      »Ich weiß nicht, was ich von dir denken soll, Lucile,« rief Donna Mercedes, ganz betroffen über das aufgeregte Gebaren ihrer Schwägerin.

      »Denke, was du Willst! ... Ich werde doch wahrhaftig so viel Recht haben, mein Kind mitzunehmen, wenn es mir beliebt!... Du wirft Paula sofort anziehen, Deborah!« befahl sie. – »Dabei wird die kleine Schlafmütze schon aufwachen.«

      »Das Kind bleibt in seinem Bett,« entschied Donna Mercedes mit kalter Ruhe.

      »Ach, Tante, was ist mit Paula?« rief José mit seiner schwachen Stimme ängstlich erregt herüber.

      Bei diesen Lauten erschrak Donna Mercedes. »Lucile, sei vernünftig,« sagte sie beschwichtigend, als spreche sie zu einem widerspenstigen Kinde. »Gehe später – dann kannst du Paula mitnehmen.«

      »Ich will aber nicht.« – Eine dunkle Röte bedeckte das zarte Gesicht unter dem Schleier, und es sah fast aus, als kämpfte die kleine Frau mit aufsteigenden Tränen.

      In diesem Augenblick trat die Kammerjungfer Minna in Hut und Schal auf die Türschwelle; sie hatte offenbar schon länger draußen gewartet und kam, ihre Dame an das Fortgehen zu erinnern. »Es ist sehr spät –« meldete sie unterwürfig, aber mit unruhig flackernden Augen – »und wenn die gnädige Frau heute wirklich das Geschäft noch abmachen wollen –«

      Lucile ließ sie nicht ausreden. Wie eine gereizte kleine wilde Katze sprang sie auf ihre Schwägerin los, als beabsichtige sie, ihr die Augen auszukratzen.

      »Du bist von jeher mein böser Geist gewesen,« zischte sie durch die Zähne. »Meine Triumphe hast du mir stets geschmälert, wenn nicht gestohlen, gelbe Zigeunerin, hochmütige Pflanzerprinzessin, du, indem du dich vordrängtest, indem du dich auf deine Baumwollsäcke stelltest – dagegen kommen bei euch drüben wirkliche Schönheit und Anmut natürlich nicht auf. Die dummen Leute bildeten sich nachgerade wirklich ein, die kleine Deutsche reiche dir das Wasser nicht, und schließlich haben sie dich auch noch zu meinem Zuchtmeister gemacht... Aber nun ist an mir die Reihe, Donna de Valmaseda! Nun sollst du sehen, was Lucile Fournier in Deutschland wert ist! ... Wenn ich bedenke, daß ich hier nur zu winken brauche, um alt und jung zu begeistern, so begreife ich selbst nicht mehr, wie ich's acht Jahre lang drüben in der Einöde, zwischen euren Reisfeldern und Zuckersiedereien ausgehalten habe.«

      Sie griff nach dem Sonnenschirm, den sie vorhin auf den Stuhl vor Paulas Bett geworfen hatte, und fegte mit ihrer seidenraschelnden Schleppe hinaus. Im Krankenzimmer huschte sie zu José hin und strich ihm mit schmeichelnder Hand das Haar aus der Stirn. »Mache, daß du aus dem Käfig da heraus kommst, Herzle!« sagte sie. »Du bist ja wieder gesund wie ein Fisch und könntest längst mit Pirat im Garten herumtollen ... Geh, sei ein rechter Junge und leide es nicht, wenn sie dich noch länger mit Spitalsuppen füttern wollen ... Adieu, Schatz!«

      Wenige Augenblicke darauf sah sie Donna Mercedes in Minnas Begleitung eiligst durch den Vorgarten schreiten. Drüben auf der Promenade wurde ein eben leer vorüberfahrender Mietwagen angerufen, und die kleine Frau fuhr nach der Stadt, um jedenfalls wieder einmal mit großen Einkäufen heimzukommen.

      Donna Mercedes sah ihr mit tiefverfinsterten Augen nach. Sie fühlte dieser gefallsüchtigen, vergnügungstollen Frau gegenüber oft das leidenschaftliche Verlangen, die Flinte ins Korn zu werfen und sich loszusagen. Auch jetzt durchfuhr ihr Herz der heiße Wunsch, der davonrollende Wagen möchte mit seiner schönen Insassin in die weite Welt hineinfahren, um – nicht wiederzukehren... Sie schrak zusammen und sah sich scheu um, als habe sie diesen blitzähnlich auftauchenden Gedanken laut ausgesprochen, und irgend eine in der Nähe lauernde böse Macht könnte sich seiner bemächtigen. Dabei fühlte sie den todestraurigen Blick ihres Bruders vorwurfsvoll auf sich ruhen, und beschämt gedachte sie der heiligen Versicherungen, die sie ihm gegeben, und unter denen er beruhigt die Augen für diese Welt geschlossen hatte ... O wunderliches Frauenherz! Unter den furchtbarsten Schicksalsschlägen ausdauernd und mit unerschöpflichem eigner Kraft sich immer wieder stählend, bäumte es sich gegen die Nadelstiche einer boshaften Zunge und fühlte den Mut erlahmen!... Dieses leichtfertige Schmetterlingsgeschöpfchen, die kleine Frau, die eben noch einmal im Davonfahren den Lockenkopf wie triumphierend nach dem Schillingshof zurückgewendet, sie war keine Erzieherin, kein Beispiel, kein Schutz für ihre Kinder; sie gefiel sich darin, durch heimliches Einflüstern, wie auch durch offenkundiges, rücksichtsloses Vorgehen das Wirken anderer in den jungen Seelen zu verwischen; und doch mußte alles geschehen, sie den Kindern zu erhalten, denn sie war und blieb die Mutter... Für Donna Mercedes selbst aber fielen noch mehr die immer aufs neue wiederholten inständigen Bitten ihres Bruders ins Gewicht, nach welchen sie alles aufbieten sollte, Lucile vor jeder Aufregung zu bewahren, damit sich ihr Brustleiden nicht weiter ausbilde. Wie oft hatte er angstvoll die Hände gerungen bei dem Gedanken, daß später unheilbare Schmerzen den zarten Körper heimsuchen könnten, den er bis zum letzten Atemzug über alles geliebt! ...

      Ruhiger geworden, setzte sich Donna Mercedes zu José und sprach mit leiser, sanfter Stimme zu ihm. Die laute, lebhafte Mama mit ihrem ungedämpft hohen Organ und den umherfegenden, seidenrauschenden Gewändern hatte den kleinen Patienten aufgeregt. Die dichten Fenstervorhänge mußten zugezogen werden, weil er sich selbst gegen das durch die verdüsternde Säulenhalle und den herabgelassenen Rollvorhang sehr gemilderte Tageslicht wieder empfindlich zeigte; er schrak beim leisesten Geräusch zusammen, und der Puls ging beschleunigter.

      Über dem Bemühen, die bösen Folgen der Aufregung zu beseitigen, war es Abend geworden. Deborah machte im großen Salon den Teetisch zurecht und fragte an, ob sie auch für Paula, die seit Josés Erkranken um diese Zeit stets bei ihrer Mama war, die Abendmilch herüberbringen dürfe; sie habe zwar drüben alles zum Tee vorgerichtet, aber die gnädige Frau sei noch nicht zurückgekommen.

      Donna Mercedes sah befremdet nach der Uhr – der Zeiger stand nahe bei acht; so lange war Lucile noch nie ausgeblieben... Ein unbestimmtes Bangen überschlich sie, eine leise Furcht vor jener geheimnisvollen Gewalt, die strafbare Wünsche, zu unserer eigenen Qual und Reue, oft blitzschnell verwirklicht...

      Sie trat an eines der Fenster des großen Salons und sah über den Garten hinweg. Noch war es tageshell; der Blütenschmuck der Rosenbäume, die Teppichbeete schimmerten farbenprächtig herüber, auf den Platanen lag ein letzter Goldhauch des Abendsonnenfeuers, die weißen Steinfiguren des Brunnenmonumentes hoben sich in scharfen Konturen von dem Samt des Rasenteppichs, und jenseits des Eisengitters, auf der Promenade, drängte sich ein reger Verkehr. Wagen rollten ab und zu, und Scharen von Spaziergängern strömten aus den benachbarten engen und heißen Straßen, um sich in der beginnenden Abendkühle der Kastanienallee zu erquicken.

      Wie töricht war es doch, sich zu ängstigen! Wäre irgend ein Unfall vorgekommen, es hätte längst Nachricht da sein müssen – die kleine Frau hatte sich offenbar in der Konditorei beim Naschen und Eisessen verspätet ... Aber es wurde allmählich dunkler; keiner der Mietwagen, die nur noch sehr vereinzelt von der Stadt herkamen, hielt am Gittertor, und das schwach herüberschallende Fußgeräusch auf den Gehwegen der Promenade war längst erloschen.

      Der