Armen hinaustrüge?«
»Hinaustragen?« – Er sprang förmlich zurück. »Darüber wollen wir in vierzehn Tagen sprechen, gnädige Frau. Vorläufig darf weder hinsichtlich des Zimmers, noch der Pflege irgend ein Wechsel eintreten – noch liegt Gefahr in der außerordentlichen Schwäche des kleinen Patienten.«
Er empfahl sich, und Baron Schwing, der ihn an die Türe begleitete, kehrte zurück. Donna Mercedes stand noch am Schreibtisch; ihre zarte Hand lag zusammengeschmiegt, in leuchtender Blässe wie ein Teerosenblatt, dicht vor der jugendlichen Männergestalt im ovalen Bronzerahmen, und der Blick der schönen Frau war starr auf das Bild ihrer Mutter gerichtet – es sah aus, als habe sie sich in die stolzgesättigte Atmosphäre dieses abgeschlossenen Winkels gleichsam gerettet.
»José schläft,« sagte sie, den Hereinkommenden gewissermaßen zurückhaltend, als er direkt auf die Tür des anstoßenden Zimmers zuschritt. Sie wandte den Kopf nicht nach ihm, kaum daß ihn der Blick aus dem Augenwinkel seitwärts streifte, um sich dann auf das Bild zu senken, neben welchem ihre Hand lag.
Er trat sofort dicht an den Schreibtisch, so daß er ihr in das Gesicht sehen konnte – der in dieser Ecke konzentrierte Schein der Kugellampe fiel grell und voll auf ihn. »Was ist vorgefallen?« fragte er, sein Erstaunen über ihr Verhalten kurz und bündig in diese drei Worte fassend.
Bei seiner raschen Bewegung war sie leicht in sich zusammengeschreckt – sie mußte sich sagen, daß er die plötzliche Wandlung ihres Wesens nicht ruhig hinnehmen würde; aber noch nie waren ihr so ohne Umschweife die Beweggründe ihres Handelns abgefordert worden.
»Ich verstehe Sie nicht, mein Herr!« antwortete sie mit verletzender Kälte und hob die Augen von dem Männerkopf im Bronzerahmen – welch ein Kontrast zwischen dem Gesicht mit der seinen, schmalen Adlernase, dem durchsichtig bleichen Kolorit, dem dünnlippigen, korallenroten, kleinen Mund, und den starken, dunkelgefärbten Zügen dessen, der ihr mit seiner hochgewachsenen Gestalt den Ausblick in das Zimmer wehrte. In Damentoilette, eine Spitzenmantille über das dicke, glattliegende Seidenhaar geworfen, hätte jener leicht das schönste spanische Mädchen vorstellen können, während dem Mann im vollen, krausen Bart der Eisenhut auf der kantigen Stirn sehr wohl angestanden haben würde.
»Ich verstehe Sie nicht, mein Herr –« hatte sie gesagt. Diese lässige, ausweichende Antwort im Verein mit dem vergleichenden Blick, den er sehr wohl bemerkt hatte, trieben ihm eine flüchtige Röte in die Wangen.
»Toll ich glauben, daß Sie das Kind da drüben, das wir beide vergöttern, ohne irgend welchen schwerwiegenden Grund der Gefahr eines Rückfalles aussetzen wollen?« fragte er, seinen verdüsterten Blick fest auf sie heftend. »Auf Ihren Armen wollten Sie José hinaustragen? Wohin? –«
Welche Art zu fragen! So direkt auf das Ziel los. Das war wieder einmal die deutsche Art, die jeder diplomatischen Ausflucht einen Knüppel über den Weg wirft, um sie stolpern zu machen ... Sie konnte ihm doch unmöglich gestehen, daß sie seine Dienstboten, wenn auch unabsichtlich, belauscht habe, daß dieser Bedientenklatsch imstande gewesen sei, »Donna de Valmaseda« von der stolzen Höhe ihres Selbstbewußtseins herabzuschleudern, ihr die Herrschaft über das empört aufstürmende, leidenschaftliche Blut zu rauben. Vorhin, in der Flurhalle hatte es ihr allerdings auf den Lippen geschwebt, ihm in das Gesicht hineinzusagen: »Ich will mit dir nichts zu schaffen haben, mit dem verheirateten Mann, zu dem mich die Gemeinheit anderer in ein zweideutiges Licht bringt! Du trägst die Schuld, weil du dich zu der Pflege des Kindes gedrängt, weil du mich von der ersten Stunde an verhindert hast, ein Haus zu verlassen, dem die Herrin fehlt, dem sie böswillig den Rücken gekehrt hat!« – Aber jetzt, wo diese tiefen Augen so nahe auf sie herabsahen, daß sie meinte, durch das köstlich schimmernde, dunkle, und doch so klare Blau in seine Seele hineinsehen zu können, jetzt fand sie nicht den Mut, dem Mann, der ihr in treuer Hingebung Stab und Stütze gewesen, dessen jedesmaliges Erscheinen sie zuletzt selbst ersehnt, egoistisch die ganze Verantwortung aufzubürden und ihm mit schneidendem Undank zu lohnen...
»Warum noch ein Wort über die Gründe verlieren, die der ärztlichen Entscheidung gegenüber selbstverständlich fallen müssen!« sagte sie achselzuckend und sah auf die feinen Fingernägel ihrer Rechten.
Er lächelte ironisch, bitter über dieses abermalige Ausweichen. »Ja, dieser Ausspruch hat verfügt, daß weder hinsichtlich des Zimmers, noch der Pflege irgend ein Wechsel eintreten soll,« wiederholte er langsam betonend, und sein Blick ???finerte durchdringend, fast wie in lauernder Prüfung, das Gesicht, das sich ihm plötzlich zuwandte.
»Darüber werde ich doch noch ein Wort mit dem Doktor sprechen,« sagte sie rasch. »Oder vielmehr, wir, die Pflegenden, müssen uns über vorzunehmende Änderungen verständigen ... In den furchtbaren Leidenstagen war ich selbstsüchtig genug, Opfer anzunehmen, wo sie mir geboten wurden – das muß aufhören. Ich darf nicht länger dulden« – eine jäh aufsteigende Blutwelle überflutete ihr das ganze Gesicht – »daß Sie sich an der Pflege beteiligen –«
»Also doch Laune, wie ich richtig vermutete!« fiel er kalt ein.
Sie zuckte zusammen. Er hatte eine wehe Stelle in ihrem Herzen berührt, die Stelle, wo die Reue leise schlummert, um bei irgend einem Klang, einem Wort aufzuschrecken ... Ja, sie war einst, in den strahlend schönen Tagen, wo noch der breite Strom des Glückes und die Wogen des üppigsten, sonnenhellsten Lebens sie geschaukelt, launenhaft, übermütig gewesen! Alle diese Toten, die da im Bild die Ecke füllten, sie hatten die einzige Tochter des Hauses vergöttert und verzogen und dafür unter ihren wechselnden, unberechenbaren Launen oft genug gelitten! –
»Die Lebensgefahr ist vorüber, und da gewinnen die bösen Geister die alte Macht,« fuhr er fort. »Sie wollen mir wehe tun, wie Sie vielleicht stets gewohnt gewesen sind, mit den armen Seelen zu verfahren, die in Ihren Lichtkreis treten mußten. Aber Sie dürfen nicht vergessen, daß Sie es hier mit einem schwerfälligen Deutschen zu tun haben – wir wissen mit dem pikanten Lustwesen ›Laune‹ – nichts anzufangen und suchen nach ehrlichen Gründen ... Und so möchte ich doch noch einmal fragen: Warum soll ich verbannt werden?«
Sie sah deutlich, ihm kam nicht die leiseste Ahnung von ihren Beweggründen – er fühlte sich jedenfalls zu rein in seinen Absichten, um zu deuten, daß ein böses Licht auf seinen Verkehr im Krankenzimmer fallen könne. Nun führte er aber alles auf Launen ihrerseits zurück, und dieses Unrecht erbitterte sie; allein ihr unbändiger Stolz, der sie in solchen Fällen stets verhärtete, litt es auch jetzt nicht, daß sie sich auch nur zu einem Schein von Rechtfertigung herablasse ... Der böse Zug grenzenlosen Hochmutes, der die Dame im violetten Samt da oben charakterisierte, glitt in verblüffender Ähnlichkeit, abstoßend und verhäßlichend auch um den Mund der Tochter.
»Ich habe es bereits gesagt – es widerstrebt mir, fernere Opfer anzunehmen,« versetzte sie in eintönig frostiger Wiederholung, aber ohne aufzusehen.
Er trat mit einer ungestümen Bewegung vom Schreibtisch weg. »Ich könnte Ihnen entgegnen, daß Felix sein Kind so gut unter meinen Schutz gestellt hat, wie unter den seiner Schwester, so daß da, wo die Pflicht gebietet, von einem freiwilligen Opfer gar nicht die Rede sein kann – wir erfüllen eben beide nur unser gegebenes Wort,« sagte er, ihr das Gesicht über die Schulter zuwendend. »Ich habe aus dem Grunde dieses Zimmer –« er zeigte nach der Krankenstube – »bisher als vollkommen neutralen Boden betrachtet, auf dem wir einmütig wirkten: und müßte ich befürchten, daß mit meinem Ausscheiden aus der Pflege auch nur der mindeste Nachteil für José erwüchse, so wiche ich nicht um eine Linie von meinem Posten – sicher nicht! Ich weiß jedoch das Kind wohlbehütet, und so gehe ich! –«
»Sie gehen im Zorne!« sagte sie mit blassen Lippen: allein sie stand da, als sei ihre schlanke Gestalt zu Marmor geworden – sie machte nicht die leiseste Bewegung, ihn zurückzuhalten; auch ihre Stimme klang trotzig und gereizt, fast, als gefalle sie sich im Widerstand. »Ja, ich grolle; aber zumeist mit mir selber, mit meiner Vertrauensseligkeit, die mich täppisch, gegen besseres Wissen, in eine demütigende Lage gebracht hat... Ich habe schon böse Worte von Ihren Lippen gehört – Sie haben mich schnöde verurteilt, ohne den geringsten Einblick in die wahre Sachlage –«
Sie dachte cm ihre rücksichtslosen Bemerkungen im Atelier,